Ein Vierteljahrhundert Pharmamas Apotheke

25 Jahre bin ich nun in der öffentlichen Apotheke. Und ich habe schon so einiges erlebt dabei.

Diebstähle und verhinderte Diebstähle. Wenn ich einen Diebstahl mitbekomme, halte ich die Videoaufnahme fest und nutze sie um die Mitarbeiter über die Methoden zu insturieren und das Bild des Diebes, damit sie vorgewarnt sind, falls die Person wieder kommt. Häufiger sind das nicht einzelne Vorfälle, wer es einmal versucht oder gemacht hat, macht das häufig wieder. Diebstahl hinterher anzeigen ist oft … unbefriedigend, da meist die Identität nicht festgestellt werden kann, man das Produkt oder den Schaden nicht ersetzt bekommt und das Ganze einfach nur viel Zeit braucht. Aufwand und Ergebnis einer Anzeige stehen in keinem Bezug. Am besten ist immer noch Vorbeugung. Aufmerksame Mitarbeiter, die Kunden nicht alleine shoppen lassen (tut mir leid, für alle, die sich dadurch genervt fühlen). Direktes Ansprechen, wenn einem etwas komisch vorkommt. Im Zweifel grad vor Ort die Polizei beiziehen, bei nachgewiesenem Diebstahl Hausverbot aussprechen. Auch wenn diese Leute bei uns häufig nicht lange genug bleiben, damit man die Personalien aufnehmen kann … in der Apotheke will ich die nicht mehr haben – und das sollen sie wissen. Interessant sind die Ausreden, die nach so etwas kommen. Von „ich kann nichts dafür, ich bin Kleptomanin“, über „habe ich vergessen, dass ich das eingesteckt habe“ bis „hätte ich schon noch bezahlt“ … Und was da weggkommt? Ausser Parfüm, Läuseshampoo, ätherisches Öl, die Verbandsklammer aus der Verbandspackung, Nippes aus der Drogerieabteilung, Rasierklingen. Dass richtige Medikamente verschwinden ist eher selten – sicher wegen der Platzierung.

Es gab aber einen Kunden, der bei uns ein rezeptpflichtiges Medikament aus den Apothekenschubladen geklaut hat und nach draussen geflüchtet ist. Er wusste woher, weil er es bei einem früheren Besuch schon ohne Rezept beziehen wollte und man beim Arzt deswegen angefragt hat. Der Arzt hat abgelehnt dafür ein Rezept auszustellen, da er das Medikament missbraucht. Von dem Besuch haben wir allerdings seinen Namen gehabt – und ihn nach Rücksprache mit dem Arzt angezeigt. Patientendossiers sind echt brauchbar.

Die Stammkundin, mit der wir regelmässig Diskussionen wegen ihrem absolut überzogenem Abführmittel-Bezug hatten. Sie war immer sehr aggressiv und hat dann behauptet, dass sie ausser für sich noch für ältere Personen, die sie betreut, Dulcolax einkauft. Irgendwann habe ich ihr gesagt, dass sie nur noch mehrere Packungen bekommt, wenn ich mit den Personen sprechen kann (per Telefon). Die Frau muss pro Tag fast 20 Tabletten (selber) genommen haben – wenn man von den Bezügen nur bei uns ausgeht. Danach hat sie es noch einmal versucht – und als die Pharmaassistentin fragen gegangen ist bei der Apothekerin (hinten) hat sie ein Duschmittel eingesteckt. Das gab dann eine Anzeige. Ein paar Monate später kam von der Staatsanwaltschaft ein Bescheid wegen den Ermittlungen in dem ausser unserer Apotheke noch etwa 15 andere Geschäfte aufgeführt waren, von denen sie ebenfalls angezeigt wurde (!).

Klauende Mitarbeiter. Der Lehrling, dem ich (im letzten Lehrjahr) erklären musste, dass es Diebstahl ist, wenn man Produkte mitnimmt, ohne sie zu bezahlen. Ja, auch wenn man es nicht ausgebucht hat, weil „man nicht wollte, dass das auffällt, dass man das nimmt“ … Es handelte sich um ein missbrauchsgefährdetes Medikament für Tiere, das damals noch nicht mal als rezeptpflichtig gekennzeichnet war.
Oder auch die PA, die 15 Tester (Originalpackungen) von ihrem Kosmetikdepot eingesackt hat. Auch sie musste darauf aufmerksam gemacht werden, dass die vielleicht gratis erhalten wurden, sie aber zum Gebrauch für die Apotheke (und deren Eigentum) sind und nicht zum einfach mitnehmen.

Betrugsversuche. Falsche Geldnoten, Umtauschversuche von Produkten, die nicht von uns verkauft wurden, Umtauschversuche von Produkten, die kurz vorher vorne aus dem Regal genommen wurden, Umtauschversuche von Babynahrung, die von jemand anderem gespendet wurde, Scam-Briefe und -Faxe und -Mails, Phishing Mails, Fake-Bestellungen per mail und Kreditkarte (machen wir nicht!), Vorschläge, die Krankenkasse zu betrügen, indem man etwas umdatiert … und natürlich Rezeptfälschungen.

Der Kreditkartenbetrüger, der einem Touristen am Bahnhof die Kreditkarte geklaut hat, nachdem er ihn bei der PIN-Eingabe beobachtet hat. Der kam dann bei uns in die Parfümerie gross einkaufen. Weil der Dieb den PIN kannte, hatte der Tourist den Schaden, obwohl er den Diebstahl und die missbräuchliche Verwendung der Karte praktisch instant nach Benachrichtigung durch die App gemeldet hat. Wir haben der Polizei alle Beweise (Videos, Ausdrucke) gegeben. Aber das Beste war, als der Dieb 1 Monat später bei uns in der Apotheke mit einer neuen geklauten Kreditkarte nochmals versucht hat. Blöderweise (für ihn) kam er dabei an dieselbe Drogistin, die nach dem Vorfall informiert war – und ihn gemeinsam mit den anderen so lange hingehalten hat, bis die gerufene Polizei vorbei kam. Das erste und einzige Mal, dass ich jemanden in Handschellen aus der Apotheke gehen sah.

Einbruch, oder besser unerlaubtes Betreten. Durch den damals ungenügend gesicherten Hintereingang, war jemand nachts in der Apotheke und hat … eine überraschende Unordnung hinterlassen, als er ein paar Sachen mitgenommen hat. Erstaunlicherweise war er weder am Geldschrank noch am Betäubungsmittelschrank und wurde wegen ausgelöster Alarmanlage noch vor der Apotheke von der Polizei erwischt. Uns war es eine Lehre – und irgendwie tat er mir auch leid. Die Person war wirklich eher psychisch krank als kriminell und kam sich nachher sogar entschuldigen. Offenbar hat er seine Medikamente (Antipsychotika, kein Patient bei uns) nicht genommen.

Viele Feueralarme – gebrannt hat es bei mir in der Apotheke zum Glück noch nie. Als ehemalige Feuerwehrfrau und heutige SiBe (Sicherheitsbeauftragte) weiss ich wie wir uns verhalten müssen und wie löschen, aber alles was wir hatten, waren (diverse) Fehlalarme. Die sind gut hörbar und eine Brandschutzwand senkt sich beim Eingang. Erstaunlich finde ich immer, wie ungeniert die meisten einfach weitermachen, als wäre nichts. Wir schliessen grad laufende Verkäufe ab und schicken die Leute dann direkt nach draussen – was bei einigen enorm Überzeugungsarbeit kostet. Sogar dann, wenn Rauch in der Luft riechbar ist.

Überschwemmungen. Inzwischen ist es nicht ein, sondern zwei Mal passiert, dass wegen einer Fehlfunktion der Sprinkleranlage die Apotheke unter Wasser gesetzt wurde. Zum Glück kam das Wasser aber nicht direkt von oben, so war der Schaden nicht ganz so gross. Das erste Mal hat mir die anwesende älteste Drogistin in Panik angerufen, was sie denn machen soll, das zweite Mal habe ich selber gearbeitet. Wen es interessiert: alles elektrische vom Boden auf die Tische stellen (Computer, Drucker, Shredder…), dann was Wasser ziehen und kaputt gehen kann wegnehmen, dann die Feuerwehr anrufen. Bis die kommt, versuchen das Wasser aufzuhalten (geht schlecht) und dann das Wasser aufsaugen … ausser den professionellen Pumpen der Feuerwehr eignen sich dafür eventuell vorhandene Teppichreinigungsgeräte bestens. Danach kommen Wischmob und Tücher zum Einsatz. Und anschliessend Gebäudetrocknungsgeräte – die kann man mieten von Baufirmen.

Ein Erdbeben. Kein grosses – etwa 3.5 auf der Richterskala, aber gut spürbar. Alle Flaschen in den Regalen haben gewackelt und sind klirrend aneinandergestossen, nur 2 Sachen sind umgekippt. Weniger Schaden (ausser dem psychologischen „die Erde ist nicht sicher“) als das Biotta-Flaschen-Regal, das nachts den Geist aufgegeben hat und den Boden mit kaputten Glasflaschen und viel buntem Saft überzogen hat.

Stromunterbrüche. Vor ein paar Jahren hatten wir einen Sommer, in dem wir mehrmals Stromunterbrüche hatten. Das ist in der Apotheke aus verschiedensten Gründen unangenehm, nicht nur weil dann das Licht und die Klimaanlage ausfällt. Der Kühlschrank hat ein Notaggregat (inkludierte Batterie), der läuft noch *etwas* weiter, aber der Inhalt darf wirklich nicht über 8 Grad (sonst muss ich das meiste entsorgen oder schauen, wie lange man es noch brauchen kann – die Verfalldaten gelten nach so etwas nicht mehr). Ohne Strom auch keine Computer – und damit kein Zugang zu Patientendossiers, Internet und alle Info, die man sonst noch drauf hat, wie zum Beispiel den Medikamentenpreisen (die heute für nicht frei verkäufliches wegen rascher Wechsel nicht mehr auf der Packung stehen). Das Telefon funktionierte da noch und wir mussten dann die Preise bei jedem Verkauf (nur Bar möglich) bei der Partnerapotheke nachfragen. Heute haben wir einen Notfallplan und Handys, mit denen wir über das (hoffentlich noch laufende Netz) Informationen vom Internet ziehen können … und Twint Zahlungen annehmen via QR Code. Ausserdem haben wir einen grossen Akku um die aufzuladen und viele Lampen (Stirn-, Stab- und Stehlampen), die geladen parat liegen. Trotzdem … das brauche ich nicht so schnell wieder.

Ausser-ordentliche Kunden und Patienten:
Leute, die Mitarbeiter angespuckt haben. Zwei – das erste Mal eine ältere plus-minus Stamm-Patientin, die über eine Auskunft unzufrieden war, das zweite Mal ein Nicht-Kunde, der beim Versuch zu klauen erwischt wurde. So Verhalten führt bei mir übrigens zu Instant-Hausverbot.

Die Kundin, die beim Anblick unserer Sommer-Sonne-Strand Ausstellung (komplett mit Sonnenliege und Sonnenschirm) angefangen hat, sich ihrer Kleider stückweise zu entledigen, während sie auf den Liegestuhl zusteuerte. Die Pharmaassistentin konnte sie kurz vor dem BH aufhalten.

Der Kunde, der unseren Desinfektionsmittelspender zum Hände waschen (nein, nicht desinfizieren) missbrauchen wollte, nachdem er sich vorher mit den Händen die Schei**e aus der Unterhose gefischt hat und sie auf den Boden fallen liess. Eklig. Und: nein, damit alleine bekommt man keine Kotreste von den Händen entfernt.

Diverse medizinische Vorfälle in und vor der Apotheke, von extremen Asthma-Anfall bei einem Kind über lebensbedrohliche allergische Reaktionen (auf Essen) beim Erwachsenen, abgeschnittenen Fingerteilen, Herzinfarkt, Epileptische Anfälle, Erbrechen, Kreislaufkollaps, ein Schlaganfall … bei einigen musste die Sanität gerufen werden, wogegen sich manche erstaunlich gewehrt haben.

Die Erfahrung, dass es Leute gibt, die so gut wie jedes Mittel missbrauchen. Bei manchen ist mir schon klar weshalb (Schlaf- und Beruhigungsmittel, starke Schmerzmittel, Amphetamine, Gabapentinoide, Betablocker), andere fand ich überraschender: Akineton (Mittel gegen Parkinson), Loperamid (Mittel gegen Durchfall), Antidepressiva. Manche finde ich absolut unerklärlich: Daflon (Flavoniode für Venenleiden), Atorvastatin (Cholesterinmittel) – dazu habe ich bis heute keine Erklärung, ausser, dass jemand hamstert. In dem Zusammenhang auch gefälschte Rezepte. Viele. Und interessante Reaktionen der Leute darauf, wenn sie ertappt werden.

Lehrlinge und Auszubildende aller Arten, inzwischen etwa 30 (durchschnittlich 1 pro Jahr, manchmal 2). Mit den allermeisten hatten wir Glück und es war toll zu sehen, wie sie sich im Lauf der Ausbildung gewandelt haben und zuversichtlicher, sicherer und erwachsener wurden. Ausnahmen gab es auch – den klauenden Lehrling und einen, den wir im ersten Jahr wieder gehen liessen, weil seine Drogensucht und Verhalten dem gegenseitigen Vertrauen nicht zuträglich war. Am meisten enttäuscht hat mich aber die Person, die wir als Lehrling angenommen haben und die uns dann 3 Wochen vor Lehrbeginn mitteilte, dass sie aufgrund guter Schulnoten jetzt doch beschlossen hätte ans Gymnasium zu gehen. Sowas weiss man vorher – und in der Zeit finden wir auch keinen neuen Lehrling (den man dann ja auch in der Schule anmelden muss etc.).

Gute und nicht so gute Mit-Betriebsleiter. Inzwischen durfte ich 7 kennenlernen. Das hört sich nach viel an, aber man bedenke: in 25 Jahren. Mit den meisten habe ich noch Kontakt. 2 wurden danach Pharma-Vertreter, 4 haben die Leitung einer Drogerie woanders übernommen und sind wegen der Gelegenheit und/oder Familie weggegangen / dorthin gezogen. Nur bei 2 habe ich den Abgang nicht bedauert, die eine fand ich persönlich schwierig zum zusammenarbeiten (aber professionell), die hat sich anschliessend sehr unfair gegenüber anderen Mitarbeitern benommen. Die andere war kein guter Chef, überfordert, micro-managend, kein Vertrauen und hat uns am Ende monatelang und ohne Erklärung hängen lassen, indem sie sich einfach wiederholt krank schreiben liess.

Gesetzesänderungen und Änderungen im Medikamentenmarkt. Neues Chemikaliengesetz, neues Biozidgesetz, neues Kosmetikgesetz, neues Heilmittelgesetz, neues Lebensmittelgesetz … betrifft alles direkt die Apotheke und man muss immer up to date bleiben. Ich darf manche Sachen, die ich früher so nicht durfte (rezeptpflichtiges ohne Rezept abgeben, Dienstleistungen wie Impfen, Medikamente selber ersetzen, ev. importieren), ich darf Sachen nicht mehr machen, die ich durfte (auffüllen, gewisse Chemikalien und Mittel abgeben, Alkohol zum desinfizieren selber herstellen), manches wurde stark kompliziert (Hauskosmetik herstellen, überhaupt Herstellungen und Etikettieren, Bio-Produkte führen). Dann die ganzen Änderungen bei den Medikamenten – Neuerfindungen, alte werden obsolet, es gibt viel mehr Generika, es wird schwerer manches zu beschaffen, Limitationen bei den Kassen undsoweiter

Grundsätzlich ist es auch in der Apotheke so: es bleibt fast nichts, so wie es ist. Aber solange ich mich an die Veränderungen anpassen kann, bleibe ich euch in der öffentlichen Apotheke erhalten. Auch wenn mir das zunehmend schwerer fällt.

5 Kommentare zu „Ein Vierteljahrhundert Pharmamas Apotheke

    1. Kommt draufan, wie hochprozentig der ist. Bier ist erlaubt bis 200 Liter/Jahr (glaub ich 😉), Brennen darf man Privat nur, um seine Kühe damit einzureiben 😂

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  1. „Das erste und einzige Mal, dass ich jemanden in Handschellen aus der Apotheke gehen sah.“

    Frage fürs 3. Staatsexamen: Nennen Sie ein eisenhaltiges Abführmittel! – Handschellen… ;-)

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