Lieferengpässe – wenn Medikamente Mangelware werden

Langsam scheint das Thema Lieferschwierigkeiten auch in den Medien anzukommen. Es ist nichts bahnbrechend neues – und im Medikamentenbereich warnen diverse Leute schon seit Jahren permanent deswegen. Es wird nur aktuell grad wieder schlimmer. Einiges schlimmer!

Die Nicht-Lieferbar-Liste unserer Apotheke umfasst inzwischen über 300 Produkte und wird fast täglich länger. Gesamtschweizerisch sind es noch mehr. Man kann die Liste nicht lieferbarer Medikamente hier nachschauen: Drugshortage.ch Herr Martinelli ist Spitalapotheker und betreibt die Seite seit Jahren, unter anderem auch, weil es keine Meldepflicht der Pharmafirmen dafür gibt und keine sonstige zentrale Stelle, die das sammelt. Da sieht es aktuell so aus:

Bei den betroffenen Wirkstoffen ist alles dabei – von Antibiotika über Blutdruckmittel bis zum Zytostatikum. Für die Öffentlichkeit am sichtbarsten wird das momentan bei den Erkältungsmedikamenten, die immer wieder fehlen. Bei Schmerz- und Fiebermitteln (speziell Säfte oder Zäpfchen für Kinder), Nasensprays, Hustenmitteln. Die Schweiz ist ein kleiner Markt und wir haben da meist wenig Ausweichmöglichkeiten. Wenig beruhigend ist es, dass es in Deutschland genau gleich aussieht. Die haben viel mehr an verfügbaren Pharmafirmen und Generika.

An was liegt es?
Die Ursachen sind nicht überall genau gleich. Hier ein paar Erklärungen:

Allgemeiner Grund 1: Es wird fast nichts mehr in Europa produziert. Die allermeisten Wirkstoffe kommen aus Asien (China und Indien). Die Produktion wurde dorthin verlagert, da es billiger ist dort zu produzieren – Arbeitskräfte und auch weil sie weniger Rücksicht auf die Umwelt nehmen. Gibt es bei der Herstellung eines Wirkstoffes ein Problem (Firma brennt ab oder wird überflutet, Arbeiter fallen aus, da krank) wirkt sich das auf weitere Firmen aus, die aus dem Wirkstoff Tabletten / Kapseln / Injektionslösungen etc. machen. Dann fällt oft die ganze Wirkstoffklasse weg.

Ebenso fallen Rückrufe darunter wegen Qualitätsmangel. Es kommt (immer häufiger?) vor, dass wir Rückrufe von Medikamenten haben, weil festgestellt wurde, dass die Firma nicht nach QMS gearbeitet hat / dass (giftige) Stoffe gefunden wurden, die nicht da rein gehören / dass es neu Stabilitätsprobleme gibt / der Wirkstoffgehalt nicht dem deklarierten entspricht … Da fallen dann oft gleich Medikamente von mehreren Firmen weg, weil die alle den Wirkstoff vom selben Ort haben.

Hierunter fallen auch Probleme mit dem Lieferweg. Wenn Covid oder Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Tsunami etc. den internationalen Verkehr praktisch lahmlegen, ein Schiff in einem der Haupthandelsrouten für Container feststeckt (Suezkanal), sie Routen wegen Krieg umplanen müssen – dann hat das Auswirkungen auf alles, was da transportiert wird. Auch Medikamente.

Allgemeiner Grund 2: Medikamente müssen bestellt und dann produziert werden. Das braucht Zeit, deshalb werden sie etwa 1 Jahr vorher bestellt dafür. Impfstoffe wäre ein klassisches Beispiel, aber auch Erkältungsprodukte. Für manches wird die Herstellerfirma vielleicht überrascht durch eine vermehrte Nachfrage. In Deutschland kommt dazu noch das Problem der Rabattverträge: Wenn die Krankenkassen mit den Formen Ausschreibungen veranstalten, welches Medikament sie (möglichst günstig) übernehmen, dann werden die Verlierer-firmen das natürlich nicht mehr in so grossen Mengen herstellen. Wenn die Gewinner-firma dann nicht mehr liefern kann wegen unerwarteter Nachfrage (kommt häufiger vor), ist das Medikament halt gar nicht mehr erhältlich.
In der Schweiz haben wir eher das Problem, dass manche Medikamente tatsächlich so billig werden (hier!) dass es sich für die Firmen nicht lohnt, das im Vertrieb zu halten. Die gehen dann „ausser Handel“ – neustes Beispiel: Digoxin. Das mag mit auch ein Grund sein, dass es bei uns weniger Generika gibt als in anderen Ländern. Muss alles ja auch zugelassen werden (kostet), abgepackt mit speziellen Vorschriften (Beipackzettel in 3 Landessprachen) …

Ein paar Beispiele ohne Namensnennung
– denn das führt nur dazu, dass wir in der Apotheke überrannt werden:

Wichtiges Medikament gegen Diabetes. Es wird aber Off-label (ausserhalb der Packungsbeilage) auch als Mittel zum Abnehmen verwendet. Dann wird es zwar nicht von der Krankenkasse übernommen (wenn die das merken) und muss selber bezahlt werden. Die Nachfrage ist riesig, so dass es inzwischen schon 2x dann über Wochen nicht mehr erhältlich war.

Freiverkäufliches Mittel bei Durchfall bei Kindern. Es wird auf Tik tok gehypt als Mittel gegen den Kater nach Alkoholmissbrauch und in der Folge dermassen häufig verlangt, dass für die Kinder nichts mehr übrig bleibt.

Mittel gegen stabile Angina Pectoris. Einiges ging vor Jahren ausser Handel, es sind hier in der Schweiz sowieso nur noch die retardierten Tabletten erhältlich und auch nur noch von 2 Firmen. Von einem Tag auf den anderen nicht mehr erhältlich (ohne Angabe eines Grundes). Kein Generikum, es ist nicht einmal mehr via Deutschland zu besorgen – da es dort auch fehlt.

Starke rezeptpflichtige Schmerzmittel. Die nicht zu haben oder bestellen zu können, ist wirklich katastrophal. Momentan pflästerlen wir da mit Lieferungen, die wir aus der Reserve des Bundes erhalten. Ich hoffe, die hält noch etwas.

Was machen wir in der Apotheke damit?
Einen schlechten Eindruck erst Mal… auch wenn wir nur der Überbringer der schlechten Nachrichten sind.

Lieferengpässe und nicht lieferbare Medikamente bereiten uns sehr viel Mehrarbeit! Das fängt schon damit an, dass wir, wenn wir etwas nicht an Lager haben bei jetzt allem, was wir für den Patienten bestellen müssen gleich nachschauen gehen, ob es lieferbar ist. Das sind zwar nur ein paar Klicks am Computer und etwas Zeit und sicher besser, als dem später nachrennen zu müssen und den Patienten zu informieren, aber das läppert, da: jedes einzelne Medikament!

Das Medikament ist nicht lieferbar. Dann fängt es an:

Kann ich es mit etwas ersetzen? Etwas gleichwertigem / ein Generikum? Vorwiegend etwas, das ich an Lager habe?
Wenn nicht an Lager: Ist es bei einem anderen Lieferanten / Grossisten bestellbar?
Wenn auch nicht bestellbar: Hat es eine andere Apotheke noch an Lager? – Ich kann das nur für die Apotheken derselben Kette nachsehen. Ich kann das nicht sehen für andere Apotheken – da müsste einzeln abtelefoniert werden.
Wenn auch keine Apotheke das mehr hat: Geht vielleicht eine andere galenische Form? (Zum Beispiel Tabletten statt Flüssig, unretardiert mit anderem Einnahmeintervall…)
Wenn auch so nicht ersetzbar: Kann ich das vielleicht aus Deutschland importieren? Die Krankenkasse muss es dann dem Patienten nicht mehr bezahlen, aber das ist dann ein anderes / nächstes Problem.
Wenn auch nicht importierbar: Kann ich das durch einen anderen Wirkstoff ersetzen? Die Umstellung der Therapie muss allerdings durch den Arzt erfolgen – also muss da Rücksprache gehalten werden.

Wenn wir bis dahin eskaliert haben, ist Ende Fahnenstange. Und die ist leider jetzt schon häufiger erreicht, als mir lieb ist.

Aktuell ist es so, dass ich bei etwa jedem 10. Medikament (oder jedem 3. Patienten) etwas nicht so „einfach abgeben“ kann, sondern ersetzen, nachschauen, abklären muss.
Mangelverwaltung nenne ich das.

Und es wird immer schlimmer.

Krieg ich das hier (nicht)?

Einer der aktuell grössten Unterschiede was Apotheken in der Schweiz und in Deutschland betrifft ist die Abgabe rezeptpflichtiger Medikamente OHNE ein Rezept in der Apotheke.
Wir dürfen das nämlich in den verschiedensten Fällen. Ohne danach Strafen durch den Gesetzgeber fürchten zu müssen.
Wir müssen das aber nicht. Auch das zieht keine Folgen nach sich. Ausser vielleicht einem enttäuschten Patienten oder Patientin. Der hat aber, wenn er denkt, dass wir ihm etwas geben „müssen“, wahrscheinlich nicht verstanden, dass er hier kein Anrecht darauf hat.
Er / sie hat ja alternativ immer die Möglichkeit, den Arzt selber zu kontaktieren um sich ein Rezept ausstellen zu lassen (und das der Apotheke zukommen zu lassen). Es gibt Telemedizinmodelle – mit iPad aus der Apotheke, zu Hause telefonisch oder man geht halt vorbei. Vor dem Ausstellen des Rezeptes muss in der Schweiz ein Patientenkontakt stattgefunden haben.

Wir haben aber vom Gesetzgeber in den letzten Jahren zunehmend Rechte bekommen, mit denen wir auch rezeptpflichtige Medikamente abgeben dürfen. Das entlastet das Gesundheitssystem, weil es zu weniger Arztbesuchen führt und die Patienten trotzdem durch medizinische Fachpersonen beraten werden. Die Apotheken sind wichtige erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen (Stichwort Hausärztemangel), können beurteilen, ob etwas selbst behandelt werden kann (Stichwort Eigenverantwortung und Selbstkosten) oder zum Arzt, Notfall oder Spezialisten gehört (Stichwort Triage).

Ich gebe zu, die Rechtslage ist unübersichtlich für Leute, die nicht in der Apotheke arbeiten, aber hier ist, was ich wann darf:

Der Patient hatte ein Dauerrezept für ein Medikament. Das Dauerrezept ist abgelaufen.
– Es gibt für mich hier 2 Möglichkeiten: Ich verlängere als Apothekerin nach Absprache mit dem Patient das Rezept um (maximal) weitere 6 Monate und empfehle dem Patienten in der Zeit zum Arzt zu gehen. So alle 1 1/2 Jahre sollte man aber als chronisch Kranker trotzdem beim Arzt vorbei schauen. Oder ich mache einen Vorbezug für eine Packung und empfehle dem Patienten in den nächsten paar Tagen mit dem Arzt Kontakt aufzunehmen und ein neues Rezept zu besorgen. Bekomme ich das Rezept, kann ich das Medikament ebenfalls weiter der Krankenkasse verrechnen. Beides ist erlaubt und macht Sinn – wenn die Therapie weiter geführt werden muss und sich nichts wesentliches geändert hat. Es führt zu weniger Arztbesuchen und entlastet ihn.

Der Patient möchte ein Medikament, das er einmalig vom Arzt verschrieben bekommen hat, aber für das er kein neues Rezept hat.
In dem Fall schaue ich, ob ein erneuter Bezug Sinn macht. Ein Antibiotikum 2 Monate nach der Infektion werde ich nicht wieder abgeben. Ein Diclofenac-Schmerzpflaster, weil die Packung nicht weit genug gereicht hat und noch etwas Schmerzen vorhanden sind, schon. Medikamente der Liste A oder dem Betäubungsmittelgesetz unterstellte Medikamente wiederhole ich nicht auf Rezept. Ich kann das bis 1 Jahr nach der Erstverschreibung.

Der Patient möchte ein rezeptpflichtiges Medikament mit einem ausländischen Rezept:
Die Schweiz gehört nicht zur EU, ausländische Rezepte müssen nicht anerkannt werden. Ich kann meist weder nachprüfen, ob es den Arzt wirklich gibt, noch ob er den Patienten (wie hier vorgeschrieben) vor Ausstellen des Rezeptes wirkich gesehen hat. Ich behandle das also wie eine Abgabe ohne Rezept und muss jeweils überlegen, ob die Abgabe sinnvoll ist. Medikamente die missbraucht werden oder die dem Betäubungsmittelgesetz unterstehen, gebe ich keine ab. Dafür muss die Person, wenn sie hier ist, zum Arzt hier und wenn es für das Ausland ist, hat sie sowieso wahrscheinlich ein Problem, das danach über die Grenzen zu bringen. Über die Krankenkasse kann das nicht abgerechnet werden – die Medikamente müssen in der Apotheke bezahlt werden.

Medikamente, die für einen Arzt selber sind (pro Medico):
Der Arzt mit Praxisbewilligung kann auf jedes Stück Papier ein Rezept ausstellen für jemanden anderen – und ich kann das abgeben und über die Krankenkasse abrechnen. Ist es für ihn/sie selber, oder für Familienangehörige, braucht er/sie kein Rezept (und die Krankenkasse bezahlt es uns auch nicht). Man sollte davon absehen, sich oder nahe Angehörige als Arzt selber zu behandeln, aber … die Medikamente bekommt man so. Ich muss die Abgabe nur dokumentieren. Falls es sich um missbrauchsgefährdete Mittel handelt und der Arzt selber keine Praxisbewilligung hat oder ein ausländischer Arzt ist, muss ich die Abgabe melden an die Gesundheitsdienste.

Medikamente, die für einen Medizinstudenten sind:
Rechtlich gesehen sind das noch keine Ärzte (egal in welchem Studienjahr). Wir behandeln das also wie jede Abgabe ohne Rezept für einen normalen Patienten. Das heisst: wo es Sinn macht. Die Beratung passen wir an den Wissensstand an, aber so kommt man nicht an Beruhigungsmittel, Betablocker oder Ritalin zur Prüfungsvorbereitung.

Medikamente der Liste B minus (ehemals Liste C, aufgelistete Medikamente, B-):
Bis vor wenigen Jahren war die Einteilung der Medikamente so: Liste A (verschärft rezeptpflichtig), Liste B (rezeptpflichtig), Liste C (Apothekenpflichtig), Liste D (auch in Drogerien). Nun wurde die Liste C aufgehoben und die meisten Medikamente in die Liste D heruntergestuft. Einige Medikamente sind aber neu Rezeptpflichtig geworden mit der Option, dass die Apothekerin das nach einer (kurzen) Beratung und Dokumentation trotzdem abgeben kann. Voraussetzung: kein Missbrauchsverdacht und der Patient muss anwesend sein, damit wir ihn fragen können. Dazu gehören nun die Mittel mit Codein, gewisse desinfizierende Augentropfen, Kalium, Mittel gegen Übelkeit … die Liste findet sich hier auf der Seite des BAG, zusammen mit der B+ Liste).

Medikamente der Liste B plus (auf der Liste freigegebener / zur Behandlung häufig auftretender Erkrankungen, B+):
Das sind Medikamente, die immer noch rezeptpflichtig sind, aber bei denen Indikationenweise für häufig gebrauchte Erkrankungen Wirkstoffe freigegeben wurden zur Abgabe durch die Apothekerin. Die Abgabe benötigt aber nicht nur die Kontrolle, sondern die Kompetenz der Apothekerin. Das bedeutet: wenn ich nicht genau weiss, auf was ich bei der Indikation und dem Medikament bei der Abgabe achten muss, dann mache ich das nicht. Ich bilde mich regelmässig dafür weiter, also kann ich inzwischen das abgeben: Notfallkontrazeption, so ziemlich alle Mittel gegen saisonale allergische Rhinitis, diverse Augenerkrankungen, viele Hautprobleme, Krätze, Triptane und andere Schmerzmittel gegen Migräne, Orlistat zur Unterstützung einer Diät, Sildenafil bei Potenzsstörungen … Aber das ist je nach Apothekerin, die vor einem steht unterschiedlich und da es dafür teils ausgiebige Beratung benötigt, kann es sein, dass ich das aus Zeitgründen verschieben muss (oder einfach nicht machen kann). Hier kosten die benötigten Abklärungen etwas. Es gibt inzwischen Krankenkassenmodelle, die das so durch die Apothekerin abgegebene Medikament bezahlen, die Beratung aber meist nicht.

Medikamente im dokumentierten Ausnahmefall:
Das ist sehr speziell. Damit *darf* praktisch alles abgeben – wenn ich erklären und darlegen (dokumentieren) kann, dass es nötig ist und ich das Hintergrundwissen (erworbene Kompetenz zum Beispiel in Weiterbildungen) habe. Es unterliegt damit meiner Verantwortung Einfaches Beispiel: Ein Antibiotikum (wie Fosfomycin) das sonst Liste A ist bei einer einfachen Blasenentzündung bei einer Frau. Wenn ich das bei einer erweiterten Befragung im Beratungsraum abkläre, ob ich das abgeben kann. Sie muss Medikament und Abklärungen bezahlen, die Krankenkasse übernimmt das nicht. Extremes Beispiel hier: die Patientin mit Krebs und Schmerzen am Wochenende, die kein Opioid-Schmerzmittel mehr hat. Da kann ich ohne Rezept als begründeter und dokumentierter Ausnahmefall eine kleine Packung abgeben. Ich versuche natürlich danach ein Rezept zu bekommen vom Arzt, aber falls ich keines bekomme, muss ich das einfach (innert 5 Tagen) melden – an die Gesundheitsdienste.

Man sieht also – wenn ein Rezeptpflichtiges Medikament nicht ohne Rezept abgegeben wird, dann hat das (gute) Gründe und sollte so akzeptiert werden. Es ist nie Bosheit – wir haben mehr davon, wenn wir etwas abgeben können.

Von Problemlösungen und Dienstleistungen – oder dem Mangel an denselben

Teil meiner Jobbeschreibung (als Apothekerin) sollte sein „Problemlöserin“. Speziell für medikamentöse Probleme, natürlich, aber ausser der Beratung und Lösungsfindung fallen darunter die Entscheidung ob etwas rezeptpflichtiges gebraucht wird (und ob ich das abgeben kann und unter welchen Bedingungen), Beschaffungsprobleme, Ersatzmöglichkeiten. Und daneben habe ich täglich mit Personalproblemen, Hard- und Softwareproblemen und einigem mehr anderem zu tun.

Alles okay – was mich aktuell allerdings immer mehr nervt: die Leute scheinen nicht zu verstehen, dass ich grundsätzlich helfen *will* – es liegt meist auch in meinem Interesse eine Lösung zu finden, etwas (auf Rezept) abzugeben oder zu verkaufen. Aber es gibt Grenzen, innert deren ich meine Arbeit mache. Gesetzliche und wirtschaftliche. Eine Apotheke ist auch Detailhändler – in einem sehr spezialisierten und stark geregeltem Sektor. Und wenn ich „Nein“ sage – dann ist das so. Akzeptiert meine Lösungsvorschläge oder geht. Aber bitte diskutiert nicht. Ich hab keine Zeit dafür. Und langsam auch keine Nerven mehr.

Situation Freitag abend, kurz vor 7 Uhr. Wir sind noch zu zweit in der Apotheke – aktuell ich und die Apothekerassistentin im Praktikumsjahr. Ein Pärchen kommt rein, sie mit dick geschwollener Backe. Etwas mühsam erklärt sie mir nuschelnd, was sie will: etwas mit Arnika sei ihr empfohlen worden. Zur besseren Heilung. Gut – wenn sie das denn will: ich zeige ihr die Arnika-Globuli. Ich bin zwar nicht begeistert, aber … des Menschen Wille ist sein Himmelreich und so. 

Als ich sie frage, für was sie das braucht, zeigt sie auf ihre Backe. Das sei von heute, ihr Weisheitszahn musste herausgenommen werden, es schmerze zwar noch nicht, aber wenn …. 

Ich empfehle ihr statt dessen ein richtiges Schmerz- und Entzündungshemmendes Mittel. Sagt sie: „Ja, mein Arzt hat mir auch etwas verschrieben, das und ein Mittel zum gurgeln. Ich habe das Rezept aber zu Hause vergessen und keine Lust, es zu holen.“

Ok, blöd, aber muss ja nicht sein: ich kann ihr beides auch ohne Rezept verkaufen. Plus: hierzulande zahlt die Krankenkasse ja keine Zahnarztrezepte, also hätte sie sowieso zahlen müssen.

Will sie nicht, weil: „Es soll aber genau das sein, was auf dem Rezept steht.“ 

Gut, dann brauche ich das Rezept hier. Sie soll es holen. 

Das will sie nicht. *Ich* soll doch jetzt beim Arzt anrufen und das Rezept verlangen / nachfragen, was er verschrieben hat.

Nein. Das will / kann ich dafür jetzt nicht. Es ist nach 5 Uhr an einem Freitag abend. Mir fehlt die Zeit dafür. Der Arzt ist wahrscheinlich schon im Feierabend. Wenn sie meine Ersatzvorschläge nicht akzeptieren will, nur „genau das verschriebene“ will und nicht weiss, was es ist … dann kann sie das selber versuchen herauszufinden. Ich drücke ihr unsere Visitenkarte in die Hand, wo (falls sie jemanden erreicht) das Rezept oder die Info hin soll und wünsche ihr viel Glück.

Es … stösst etwas auf Unverständnis, dass ich das nicht mache.

Ich weise sie noch einmal auf die Zeit hin, die Tatsache, dass ich das Personal dafür jetzt nicht habe und die Schlange aus 5 Personen, die sich in der Zwischenzeit hinter ihr gebildet hat. Sie will diskutieren. Schliesslich wende ich mich dem nächsten Kunden zu um weiterzumachen.

Als ich nach weiteren 2 Kunden wieder schaue, was sie machen, sind sie nicht mehr in der Apotheke. Ich höre (nicht unerwartet) auch nichts mehr von ihnen.

Ich habe schon Ärzten angerufen wegen Rezepten – das bedingt aber eine gewisse Wichtigkeit und macht hier aus den verschiedenen (erwähnten) Gründen keinen Sinn.  Ausserdem: so Dienstleistungen brauchen Zeit. Und Personal. Da es momentan an beidem mangelt, kann ich das nicht bieten.

Aber die Patienten und Kunden sehen das nicht. Bis so etwas merkbar wird für die Kunden, dauert es lange – denn wir kompensieren so gut wir können. Wir machen, was möglich ist, priorisieren (hauptsächlich auf die anwesende Kundschaft) derweil im Hintergrund sich viel Arbeit ansammelt zu der man kaum mehr kommt. 

Ich wünschte, die Leute hätten etwas mehr Verständnis auch für unsere Situation.

Auf diese Liste will keiner (2)

2 Monate vergehen. Wir erinnern uns: Frau Bündchen mit Dauerrezept für Tramadol-retard Tabletten bei uns (und vielleicht noch wo anders?) und Frau Bündchen Senior, deren Dauerrezept für Tramadol-Tropfen (die die Tochter immer für sie bezogen hat) das storniert wurde.

Wir erhalten ein neues Dauer-Rezept für Frau Bündchen über Tramadol Tropfen mit einem Abbau-Schema als Dosierung.

Ja, jetzt bin ich verwirrt. Für die Tropfen hatten wir bisher nur für ihre Mutter Rezepte. Und das Abbau-Schema … das ist schon möglich, nur … ist das demnach anstatt der Retard-Tabletten (wäre logisch, aber nirgends erwähnt) oder hat der Arzt das mitbekommen, dass sie nebenher die Tropfen der Mutter genommen hat und das ist statt denen?

Vielleicht konstruiere ich da nur ein Problem, aber ich nehme das dennoch zum Anlass der Praxis anzurufen und diesmal will ich den Arzt direkt sprechen.

Nun – das war das spannendste und mehr als aufschlussreiche Telefon-Gespräch, das ich seit langem hatte. Ich versuche etwas zusammenzufassen, da der Arzt und ich Anfangsschwierigkeiten hatten zu verstehen, von was wir beide jetzt reden.

Pharmama: „Guten Morgen! Ich rufe an wegen dem neuen Dauerrezept für Tramadol-Tropfen für Frau Bündchen, das sie uns gefaxt haben. Ich habe gesehen, das ist ein Abbauschema … heisst das, dass das anstatt den Tramadol retard Tabletten ist?“

Arzt: „Nein, die nimmt sie ja schon eine Zeitlang nicht mehr. Das ist der Ersatz für das letzte Tramadol-Tropfen Rezept vom (1 Monat her).“

Pharmama: „Oh. Ich habe aber für Frau Bündchen bisher kein Rezept für Tramadol Tropfen erhalten. Das ist das erste Rezept für Tropfen für sie, das ich hier sehe.“ (meine Betonung auf FÜR SIE), das von der Mutter darf ich ja nicht erwähnen.

Arzt: „Wir haben ihr ein Tramadol Dauerrezept für Tropfen mit der Dosierung (…) am (1 Monat her) ausgestellt. Das Rezept hier ersetzt dieses Rezept.“

Pharmama: „Das ist interessant. Weil … dieses Rezept für Tropfen ist nie bei uns angekommen. Sie hat aber ein laufendes Dauerrezept für Tramadol Tabletten, das sie in der Zwischenzeit, also sei (1 Monat her) 2x bei uns weiter bezogen hat.“

Arzt: „…“

Pharmama: „Ausserdem … da war vor ein paar Monaten doch noch ein Zwischenfall bei ihr, wo sie das neue Dauerrezept für Tramadol Tabletten direkt der Patientin gemailt haben. Damit könnte sie theoretisch jetzt ausser bei uns auch noch in anderen Apotheken das beziehen. Wir haben keine Möglichkeit das Nachzuprüfen.“

Arzt: „Also sie bezieht immer noch die Tabletten bei ihnen? Das letzte Dauerrezept für die Tropfen ist nicht zu ihnen gekommen, das bezieht sie wahrscheinlich andereswo … und es existieren eventuell noch weitere laufende Dauerrezepte für das Tramadol in anderen Apotheken?“

Pharmama: „…“ (das muss man mal sacken lassen.) „Ja.“

Der Arzt überlegt etwas, dann bestimmt: „Bitte stornieren sie das Dauerrezept für die Tabletten und auch das für die Tropfen jetzt. Ich werde mit der Patientin Kontakt aufnehmen und schauen, wie das weiter geht. Falls sie vorher zu ihnen kommt, sagen sie ihr, sie muss mit mir Kontakt aufnehmen. Ich werde versuchen herauszufinden, wo die anderen Rezepte sind und von jetzt an nur noch einzelne Rezepte für sie ausstellen, keine Dauerrezepte mehr. Vielleicht setze ich sie auf die Sperrliste, wenn sie mir nicht angibt, wo sie noch bezieht.“

3 Tage später meldet sich Frau Bündchen selber bei uns, um superfreundlich zu fragen, ob sie die Tramadol Tabletten ausnahmsweise 2 Tage früher holen kann, da sie wieder über Wochenende weg ist.

Ich musste das verneinen und habe sie wie besprochen an den Arzt verwiesen.

Seitdem ist Funkstille, weder von ihr noch vom Arzt haben wir etwas gehört. Ich bin noch nicht sicher, dass sie auf der neusten Sperrliste ist, aber grundsätzlich: das ist eine der Möglichkeiten, da drauf zu landen.

Mehr vom Patientengeheimnis in dem Sampler hier. https://pharmama.ch/2016/06/07/vom-geheimnis-des-patienten-sampler/

Auf diese Liste will keiner (1)

Vor ein paar Jahren habe ich hier gelernt, dass auch die Krankenkassen so etwas wie Sperrlisten führen. Das heisst, sie kontrollieren die Medikamente darauf, ob die Dosierungsintervalle plausibel sind – und wenn jemand exzessiv darüber geht (vor allem bei Medikamenten mit Limitatio wie Bezodiazepinen) dann bekommt der Patient erst mal einen Brief mit einer Warnung … bevor ihm die Medikamente dann irgendwann nicht mehr bezahlt werden. Da die meist sowieso nicht so teuer sind, führt das wahrscheinlich meistens einfach dazu, dass die Patienten das dann in der Apotheke halt selber zahlen. Problem gelöst – für die Kasse zumindest.

Eine Sperrliste (Namen sicher unterschiedlich) existiert intrakantonell und wird von den Gesundheitsdiensten geführt. Da landen die Personen drauf, die mehrfach Rezepte ge- oder verfälscht haben, Ärzte- und Apothekenhopping betrieben haben und (trotzdem) so aufgefallen sind, dass versucht wird, ihrem Missbrauch entgegenzutreten. Die werden dann „gesperrt“ für bestimmte Medikamente, die sie dann nur noch von einem bestimmten Arzt und einer bestimmten Apotheke beziehen dürfen. Es ist nicht ganz einfach auf der Liste zu landen. Es ist fast schwerer, da wieder runter zu kommen, obwohl ich im letzten Jahr das tatsächlich mehrmal gesehen habe. Auffallend, dass beim letzten Update grad 3 gestrichen wurden, die gestorben sind.

Wie man auf der Liste landet, dazu habe ich ein Beispiel aus unserer Apotheke (Info verändert, wie immer):

Auftritt Frau Bündchen. Frau Bündchen ist mittleren Alters (um die 45), hat keine Familie, kümmert sich aber um die Mutter, die ebenfalls in der Nähe wohnt. Sie selber ist soweit gesund, bis auf ein Schmerzproblem, für das sie vom Arzt Tramadol retard verschrieben bekommen hat, als Dauermedikation. Die Mutter ist (für ihr Alter nicht ungewöhnlich) polymorbid und bekommt eine Vielzahl Medikamente. Sie hat ausserdem die Hauspflege, die hauptsächlich für sie sorgt und die auch Medikamente von uns bezieht. Sowohl Frau Bündchen als auch ihre Mutter sind also bei uns Patienten – auch wenn ich die Mutter nie gesehen habe. Die Rezepte und Bestellungen der Medikamente sprechen für sich.

Frau Bündchen ist immer sehr nett, wenn sie in der Apotheke ist – sie redet sehr viel, macht Smalltalk, wenn sie ihr Medikament abholt, oder etwas für die Mutter … und erklärt auch sehr viel, warum sie (diesmal) wieder zu früh dran ist mit dem Tramadol-Tabletten-Bezug.
Das häuft sich. Ferien? Wochenendausflug? Spitalaufenthalt der Mutter? – Wir machen, was wir immer machen in so Fällen: Wir machen deutlich auf die verschriebene Dosierung aufmerksam (die hier sehr am oberen Ende des Möglichen liegt). Beim nächsten Mal machen wir darauf aufmerksam, dass es danach zu früh ist und dass das nicht sein sollte bei dem Medikament und der Dosierung. Und vom nächsten Mal an schreiben wir auf die Dosierungsetikette drauf, wie lange die Packung halten muss / ab wann der nächste Bezug möglich ist.
Frau Bündchen durchgeht die Stufen recht schnell und zeigt sich auch sehr verständlich (wenn auch gerne diskutierend und auf Ausnahmen bedacht).

Wer nimmt die Tropfen?
Dennoch fällt das auf. Was auch auffällt: ich habe ja geschrieben, dass sowohl die Hauspflege als auch sie Medikamente für ihre Mutter bei uns beziehen. Die Hauspflege bezieht alles mögliche: Blutdruckmittel, Diuretika, Cholesterinmittel, Inkontinenzprodukte etc. Frau Bündchen holt dafür praktisch ausschliesslich das Schmerzmittel: Tramadol-Tropfen. Zwischendurch auch mal ’ne Packung Tena, aber sonst: immer Tramadol-Tropfen. Und auch hier: in Mengen, dass wir auch bei denen bald anfangen müssen die Abgabeintervalle auf die Dosierungsetikette zu schreiben. Dazu brauchte ich hier die Dosierung, die ich auf Nachfrage auch beim Arzt bekomme. Auch da eher obere Grenze der Empfehlungen. Und auch hier: das wird ausgeschöpft: Frau Bündchen steht immer rechtzeitig zum „Termin“ zum Abholen in der Apotheke.

Die misstrauischeren unter meinen Lesern denken jetzt vielleicht dasselbe wie wir nach einer Weile: ist es wirklich die Mutter, die die Tropfen nimmt? Tramadol ist ein Opioides Schmerzmittel für mittelstarke bis starke Schmerzen. Sie können Abhängig machen. Die retard Tabletten haben eine langsame Aufnahme und längere Wirkung im Körper. Die Tropfen werden schnell aufgenommen und wirken schneller und können ein „High“ machen, was bei den retardierten Tabletten schwierig/er ist. Unser Verdacht ist, dass die Tochter das Medikament für sich nimmt, aber aus Gründen des Patientenschutzes ist das Nachfragen dazu etwas „delikat“. Die Haushilfe wurde beim Bezug der anderen Medikamente einmal gefragt, ob sie auch das Tramadol mitnehmen will? Das hat die Frau von der Haushilfe mehr als verwirrt: laut ihr hat Frau Bündchen senior nämlich gar keine Schmerzmittel. Jedenfalls habe sie nichts auf der Liste der Sachen, die sie ihr geben. Etwas später kommt Frau Bündchen selber in die Apotheke: „Die Haushilfe weiss nichts von dem, weil sie (die Tochter) für die Gabe der Tropfen der Mutter verantwortlich zeichne und das mache. Da ist alles okay.“ Offenbar hat die Haushilfe da nachgefragt …

Neue Rezepte benötigt
Zeit vergeht, ohne dass sich gross etwas ändert. Ein neues Rezept vom Arzt wird nötig für Frau Bündchen. Der Arzt schickt uns eines – per Fax, aber es ist kein Dauerrezept.
Wir machen sie bei der nächsten Abgabe darauf aufmerksam und sie verspricht dafür zu sorgen, dass ein Dauerrezept ausgestellt wird. Sie will nicht, dass wir den Arzt dafür kontaktieren.
20 Tage gehen um, kein neues Rezept erscheint, aber Frau Bündchen steht wieder hier für die nächste Packung: „Oh, ich war sicher, er hat es inzwischen geschickt. Ich frage noch einmal nach.“ Noch am selben Nachmittag steht sie mit vor ein paar Tagen neu ausgestelltem Dauerrezept wieder da.
Aber: das Rezept ist ein (Farb-)Ausdruck. Die Unterschrift nicht Original. Kein Stempel. Auf Nachfrage erklärt sie, dass der Arzt ihr das Rezept per Email zugesendet habe. Damit habe ich ein Problem – siehe auch hier: ist das elektronische Rezept gültig?
Ich will sie jetzt nicht da drauf ansetzen das zu missbrauchen, also sage ich bei ihr nicht viel weiter, aber ich kontaktiere danach doch den Arzt, respektive die Praxis – ich muss mich ja versichern, dass das ein richtiges Rezept ist … und ausserdem möchte ich ihn darauf aufmerksam machen, dass er weiss, wie regelmässig sie das bezieht, respektive wie häufig.

Das Telefonat war aufschlussreich auf verschiedenen Ebenen. Zuerst einmal, dass die Praxis darin kein Problem sieht, Rezepte per email an die Patienten zu schicken. Das machen sie offenbar häufiger. (Sie sind nicht die einzigen, ich glaube auch, die meisten Apotheken haben es aufgegeben da zu informieren und geben die Medikamente einfach trotzdem ab, ausser vielleicht, es handelt sich um etwas das missbraucht werden kann. Dazu gehört auch Tramadol). Ich erkläre also mein Problem damit und bekomme die Antwort, die mich tatsächlich laut lachen lässt am Telefon: „aber Tramadol wird doch nicht missbraucht.“ Hahahah…doch. Frau Bündchen, zum Beispiel ist klar davon abhängig und holt das regelmässig in der nach der Dosierung maximal erhältlichen Menge – also alle 20 Tage. Bei uns. Auf das Dauerrezept. Mit dem von ihnen per email erhaltenen Rezept kann sie es mehrmals ausdrucken und in mehrere Apotheken das beziehen gehen. Vor allem auch, wenn die nicht so gut drauf schauen, ob das jetzt nicht etwa ein Farbausdruck ist und kein Original. Ich empfehle dringend (und allgemein) deshalb Rezepte nur direkt an die Apotheken zu faxen oder emailen. Sie versprach mir, zumindest einen Kommentar bei der Patientin zu machen, aber das Rezept sei gültig.

Kleiner Einschnitt: Es IST ein Problem. Es gibt keine zentrale Datenbank auf die Apotheken oder Ärzte Zugriff haben, wer für was wo ein Rezept hat. Ich kann nicht bei einer anderen Apotheke Einblick halten, ob dort schon etwas bezogen wurde. Wenn das über die Krankenkasse verrechnet wird, fällt das eventuell (!) auf – aber nicht unbedingt bei etwas, das keine hinterlegte Limitation hat, wie beim Tramadol. Wenn die Person bei verschiedenen Ärzten das Rezept holt und das in verschiedenen Apotheken einlöst kann das sehr lange dauern, bis so was überhaupt auffällt. Und wenn es auffällt …. dann liegt es am Engagement der Apotheke, ob und wie schnell da etwas gemacht wird. Denn auch wenn da im Gesetz steht „Missbrauch ist entgegenzutreten“ – an nicht abgegebenen Medikamenten verdienen wir auch nichts.

Mehr Ungereimtheiten
In der Zwischenzeit wird auch für die Mutter, Frau Bündchen Senior ein neues Tramadol-Tropfen-Rezept nötig, für die restliche Dauermedikation haben wir eines bekommen. Auch hier will Frau Bündchen nicht, dass wir den Arzt (einen anderen) kontaktieren: sie mache das. Zur Sicherheit mache ich sie darauf aufmerksam, dass das Rezept bitte direkt zu uns gesendet wird. Tatsächlich kommt es kurz darauf zu uns – per Email. Ein Dauerrezept.
Aber: keine Dosierung angegeben. Und die brauche ich – wie gesagt, das wird genauso regelmässig in der Maximaldosierung bezogen, wie die Tabletten. Grund bei der Praxis nachzufragen!

Auch dieses Telefonat war interessant. Die medizinische Praxisassistentin meinte erst nur, „nach Bedarf“, erst als ich ihr mein Problem damit erklärte und die bisher verschriebene hohe Dosierung, die regelmässig in der Maximaldosierung bezogen wird (von wem darf ich nicht sagen, oder?) und dass die Haushilfe, die sie sonst betreut auch nicht weiss, wie viel sie nimmt, da das die Tochter unter sich hätte. Sie verspricht mir das mit dem Arzt anzuschauen und sich wieder zu melden.
Die Rückmeldung ein paar Tage später bringt mir die Antwort: in der gleichen Dosierung wie bisher, sie wollen das aber mit der Patientin selber noch anschauen.

Es vergehen 2 Monate, bis sie das offenbar wirklich tun – wir erhalten nur die Meldung, dass das Dauerrezept gestoppt sei. Frau Bündchen Senior benötige keine so starken Schmerzmittel (mehr).
Die Tochter wirkt einigermassen überrascht von dem, insistiert jedoch nicht auf einer weiteren Abgabe, nachdem sie informiert wurde. Das ist einerseits erfreulich (vielleicht haben wir uns ja getäuscht), andererseits frage ich mich, ob sie da nicht noch andere Bezugsquellen hat. Seit dem „Dauerrezept-mail an Patient“-Vorfall scheint sie selber nicht mehr ganz so zeitig in der Apotheke zu stehen, die Tabletten abzuholen…

Wird fortgesetzt ….

How it is going

Zum Titel: ihr kennt vielleicht die Memes „How it startet … How it’s going“? Junior (Teenager jetzt) ist grosser Meme Fan und abends zeigen wir uns gerne, was wir interessantes gefunden haben.

Seit Mitte Februar also keine Maskenpflicht mehr in der Schweiz. Inzwischen nicht nur jegliche Innenräume, sondern auch nicht mehr im ÖV und selbst in den Altes- und Pflegeheimen und in den meisten Spitälern wurde das aufgehoben, zusammen mit allen anderen Massnahmen. Die Pandemie ist in den Augen der Öffentlichkeit vorbei. Das heisst nicht, dass niemand mehr krank wird. Im Gegenteil, würde ich meinen. Natürlich nicht (nur) Covid. In den letzten Monaten holt man sich wieder alles, was man in den letzten 2 Jahren kaum mehr gesehen hat. Zu den vielen normalen Erkältungs-erkrankungen und der aktuell starken Pollen-allergie-Saison kamen noch Magen-Darm-Krankheiten, die man sonst mehr in den WIntermonaten sieht, Läuse und auch Kinderkrankheiten wie Windpocken machen ein Come-Back.

Diese Leute kommen alle in die Apotheke. Sie husten, niesen, schnupfen, haben Magenkrämpfe, Ausschlag … und alle finden es normal, auch dass sie ohne Maske kommen. Ich und eine Mitarbeiterin (schwanger) tragen noch Maske … und kommen uns zunehmend blöd vor. Den Leuten ist es egal – egal, ob sie jetzt Covid haben, oder etwas anderes. Egal ob sie sich anstecken könnten oder ansteckend sind. Covid ist vorbei – und das, was jetzt noch rumgeht ist ja offiziell „mild“.

Die Einstellung der Leute lässt sich schön in dem Kunden gestern zeigen, der (natürlich maskenlos) mit Erkältungssymptomen und andauerndem Husten zu uns in die Apotheke kam.
Als ich ihn nach den Beschwerden frage, meint er : „Halsschmerzen, etwas Fieber, Husten … Nicht Corona-bedingt.“
Ich: „Woher wissen sie das? Haben sie getestet?“
Er: „Nein.“
Ich: „Dann können sie das nicht wissen.“
… Darauf war er ein bisschen angemieft, hat dann aber trotzdem die (pflanzlichen) Lutschtabletten und den Tee gekauft.

Irgendwo kann ich die Reaktion der Leute verstehen. Ich musste selber nachschauen gehen, was denn die aktuellen „Empfehlungen zum Verhalten“ sind. Die Bilder stammen von der offiziellen BAG Seite: https://bag-coronavirus.ch.

Da steht: Mit der Aufhebung der Massnahmen gewinnt die Verantwortung jedes Einzelnen an Bedeutung. Wie man sich selbst und andere schützt, hängt vom eigenen Verhalten ab. WENN SIE SICH WEITERHIN SCHÜTZEN MÖCHTEN, KÖNNEN Sie sich an folgenden Grundprinzipien orientieren: Impfen, Maske tragen, regelmässig lüften, Hände waschen oder desinfizieren, In Taschentuch oder Armbeuge husten und niesen, auf Händeschütteln verzichten.

„WENN und KÖNNEN“ – steht da. Ergebnis: Maske trägt fast keiner mehr. Jeder umarmt sich wieder und schüttelt die Hände. Das einzige, was ich noch sehe, das häufiger gemacht wird, ist das Händedesinfizieren. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Säule mit dem Desinfektionsmittel noch oft am Eingang der Geschäfte steht. Tendenz allerdings auch stark abnehmend … und ehrlich: das Virus wird hauptsächlich über die Luft und Aerosole übertragen, das ist Gewissensberuhigung, sonst nix.

Zum Impfen: die Nachfrage nach der Impfung (sicher, immer noch guter Schutz vor Komplikationen) ist total eingebrochen und wer die 4. will, muss hart darum kämpfen und sie wahrscheinlich selbst bezahlen. Unter 5jährige können offiziell immer noch nicht mit der Impfung geschützt werden, da sie noch immer nicht dafür zugelassen ist.

Von Testen steht da übrigens gar nix. Weder Selbststests, noch PCR – und für was soll man das auch machen? In Quarantäne oder Isolation muss man nicht mehr. Es wird auf der BAG Seite noch erwähnt, dass „es in folgenden Situationen noch sinvoll sein KANN sich testen zu lassen“: Wenn Sie Symptome haben und zu den besonders gefährdeten Personen gehören bzw. engen und regelmässigen Kontakt zu besonders gefährdeten Personen pflegen. / Wenn Sie Kontakt zu einem bestätigten Fall hatten und zu den besonders gefährdeten Personen gehören bzw. engen und regelmässigen Kontakt zu besonders gefährdeten Personen pflegen.

Übrigens: Zertifikate. Die Zertifikatspflicht wurde mit der Maskenpflicht aufgehoben. Zum Reisen braucht man sie teils noch. Ein Genesenen-Zertifikat wird nun nicht mehr nach einem Antikörpertest ausgestellt, es kann aber nach einem positiven PCR oder neu auch Schnelltest ausgestellt werden (dafür müsste man aber bei Symptomen testen gehen …)

Dementsprechend sehen die Zahlen zu Covid aus (insoweit sie überhaupt noch erfasst werden): Tests: eingebrochen, Positive Tests: sinkend, Positivrate (sinkend … ACHTUNG: in der letzten Woche wieder steigend, trotz allem).
Immerhin: Krankenhauseinweisungen, Leute auf der Intensivstation und Todesfälle sind seit März stetig gesunken (aber immer noch 3 x höher als Sommer 2020, als wir alle noch vorsichtig waren. Das ist der Effekt von Impfschutz und nicht mehr so gefährlichem („mildem“) Virus und vielleicht einer gewissen Immunität – wobei ich letzteres anzweifle ob der vielen, vielen Berichte von Wiederansteckungen innerhalb weniger Wochen.

Nicht erfasst werden die Long-Covid, oder wie die WHO und BAG es nennen: Post-Covid-Fälle. Dabei wäre DAS für mich der wichtigste Grund sich jetzt noch (und weiterhin) möglichst vor einer Infektion zu schützen. Wie sind die aktuellen Zahlen? Etwa 10% Chance auf Post-Covid nach jeder Infektion, anscheinend auch wenn geimpft. Immerhin hat es dazu eine BAG-Seite: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/aktuelle-ausbrueche-epidemien/novel-cov/krankheit-symptome-behandlung-ursprung/long-covid.html

Aber was wirklich vergessen geht bei all dem – und das wäre das wichtigste:
Sobald man symptomatisch wird (=Beschwerden bekommt, die auf Covid oder auch sonstige Erkrankungen deuten), sollte man sein Verhalten ändern. Sofort.
Dann bitte wirklich eine Maske anziehen, wenn man rausgeht / einkaufen / in die Apotheke.
Dann bitte nicht auf Massenveranstaltungen oder ohne Maske ins Restaurant.
Dann bitte nicht zur Arbeit (vor allem nicht, wenn man mit Patientenkontakt arbeitet).

Könnten wir das wieder mehr propagieren? Bitte?

Aus der Apotheke gesendet. Mit immer noch regelmässig ausfallenden Mitarbeitern.