Immer mehr: die Krankenkasse will das nicht bezahlen!

Oder: Bürokratie vor gesundem Menschenverstand (und wahrer Wirtschaftlichkeit)

Als Apotheker hat man die Aufgabe die Bevölkerung mit der richtigen Medikation zu versorgen. Die Krankenkassen bezahlt das anhand der Verträge, die sie gemacht haben. Da wären die Leistungen anhand der LOA, die Medikamente anhand der Spezialitätenliste SL, Nicht-Medikamente wie Verbandmaterial, Inkontinenzprodukte etc. anhand der Mittel-und Gegenstände-Liste MiGeL und hergestellte Rezepturen anhand der Arzneimittel-Liste mit Tarif ALT.

Es zeigt sich, dass die Krankenkassen diese Verträge vermehrt eng nach Wortlaut auslegen – das Ziel: Nicht bezahlen müssen. So geschehen schon bei mir in der Apotheke mit für den Patienten auf Arztrezept hergestellte Salbe deren einer Bestandteil nicht in der ALT war. So geschehen im letzten Jahr vermehrt mit Material das auf der MiGeL ist, aber von Pflegepersonal angewendet wird (im Heim oder zu Hause).

Herr Martinelli berichtet von zwei Fällen aus der Spitalapotheke, bei der die Krankenkasse etwas nicht zahlen wollte. In dem Fall betrifft es den „Off-Label“ Bereich, also einen Einsatz von zugelassenen Medikamenten ausserhalb der in der Packungsbeilage beschriebenen Anwendung.

Fall Eins: Ein Medikament gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs, das aus dem Ausland importiert werden muss und deshalb Off-label ist. In so einem Fall muss man bei der Krankenkasse anfragen, ob sie das Medikament dann auch bezahlen (Kostengutsprache). Eingesetzt werden sollte ein Generikum, also ein günstigeres Nachfolgerpräparat. Die Antwort der Krankenkasse war etwas überraschend: Das (günstigere) Generikum wird nicht bezahlt, da sie keinen Vertrag betreffend einer Rückvergütung mit dieser Firma hätten. Sie haben aber einen mit dem Originalhersteller, dieses würde übernommen.

Für mich hört sich das stark nach den Rabattverträgen der Krankenkassen in Deutschland mit verschiedenen Firmen an. Sehr seltsam ausserdem, dass das in dem Fall mit dem Original gemacht wurde – wo bleibt denn da die Wirtschaftlichkeit?? Die ausführende Apotheke kann das nicht wissen. Wenn in diesem Fall die dringend nötige Behandlung schon mit dem Generikum angefangen wurde, hätte die Apotheke die Behandlung dann auch total (!) nicht erstattet bekommen.

Fall Zwei: Ein Medikament gibt es nicht in der gebrauchten Dosierung. Es handelt sich um 25mg Tabletten, gebraucht würden 5mg. Die Anwendung ist deshalb „Off label“, weil es im Spital in der Dosierung zur Beruhigung eingesetzt wird und nicht bei Shizophrenie / manisch-depressiven Episoden. Die Lösung hier: Man stellt Kapseln her. Das können wir in der Apotheke, indem wir die vorhandenen Tabletten pulverisieren, strecken und auf die Kapseln in der richtigen Dosierung verteilen – das ist ziemlich arbeitsaufwändig. Im Spital wird das Medikament recht viel gebraucht, weshalb sie es extern in Auftrag geben. Der Lohnhersteller macht die Kapseln mit dem Wirkstoff selber und ist günstiger. Nun kommt die Krankenkasse und will die Kapseln nicht (mehr) bezahlen – da der Wirkstoff zwar auf der SL ist, aber nicht in der ALT steht. Wenn die Kapseln aus den Originaltabletten (teurer) hergestellt werden würden, dann würden sie es bezahlen!

Hier steht noch aus, ob sich die Krankenkasse überzeugen lässt, das zu übernehmen. Wenn nicht, werden die Kapseln in Zukunft wieder aus den Originaltabletten hergestellt auch wenn das wirtschaftlich unsinniger ist.

Ich sehe da eine deutliche Entwicklung, dass die Krankenkassen zumindest bei den Apotheken immer genauer hinschauen, was sie bezahlen, respektive Wege suchen, das nicht (mehr) zu tun – und das, obwohl der Anteil der Gesundheitskosten, die durch die Apotheken verursacht werden bei nur 6.4% liegt (siehe hier S. 71). Die Medikamentenpreise (und damit die Apothekenleistungen) sind halt der am leichtesten beeinflussbare Faktor. Die Sparmassnahmen (aktuelle und geplante) haben inzwischen gravierende und negative Auswirkungen auf die Apothekendichte und unsere Arbeit. Wie das oben. Der Mehraufwand der damit verbunden ist (Telefonate, Abklärungen, Dokumentationen) wird nämlich überhaupt nicht vergütet und hält uns vermehrt von der eigentlichen Arbeit (Patienten richtig beliefern und beraten) ab

19 Kommentare zu „Immer mehr: die Krankenkasse will das nicht bezahlen!

  1. Ich finde die Entwicklungen im Gesundheitswesen immer Besorgnis-erregender. Es wird an allen Ecken und Enden „gespart“. Ich höre Dinge von den Physios und Ergos, die auf keine Kuhhaut gehen. Die Apotheker werden nicht bezahlt, Operationen wollen nicht übernommen werden und und und.

    (wir mussten Gründe „suchen“, damit unsere Patienten stationär bleiben konnten nach den OPs. a) weil unser KH sonst sich nicht mehr finanzieren konnte und die „kleinen Sachen, die ambulant gemacht werden können laut neuen KK-Gesetzen“ uns ein grosses Loch ins Budget gerissen haben. Die Fixkosten für den OP, Assistenzärzte etc. sind mit den neuen Tarifen teils kaum abgedeckt. b) Auch für den Patienten ist es nicht immer angenehm und managebar, wenn ambulant operiert wird. Dafür sind dann abends die Notaufnahmen voll. Auch blöd).

    Ja, unsere Bevölkerung wird immer älter und damit summieren sich auch gewisse Kosten. Aber wo genau geht eigentlich unser Geld hin? Achja, z.B. in „Versicherungsmakler-Entschädigungen“, damit wir mit Telefonterror genervt werden. Oder in massive Manager-Löhne.

    Und die „normal im Gesundheitswesen arbeitenden“ müssen rumtricksen, damit unsere Patienten ihre Behandlung und Therapie korrekt bekommen. Als Arzt muss man mehr „Tricks“ kennen (sei es für die Übernahme von wirklich benötigter Physiotherapie oder Medikamente, Material etc), als korrekte Therapien.

    Irgendwie traurig, nicht?

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  2. Das sieht man an so einigen Orten. Kann man es nicht korrekt abrechnen, wird halt die teurere Variante gewählt…….

    Aus einer Firma: Man könnte ein Gehäuse für ein Elektronikdingsbums extern bestellen, für etwa 40 Cent/Stück. Eine intern hergestellte Box aus Metall kostet 5 Euro.

    Ratet mal, welcher Bereich aufs Budget achten muss…

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  3. Ich erlebe diesen Wahnsinn selbst immer wieder.
    Präparat A ist nicht lieferfähig. Es gibt vom gleichen Hersteller Präparat B, welches inhaltlich und galenisch exakt Präparat A entspricht, genau so viel kostet UND lieferfähig ist.
    Trotzdem darf es nicht abgegeben werden, weil Präparat B eine andere Indikation hat. Selbst mit einem neuen Rezept droht dem Arzt der Regress.
    Da lässt man lieber den Patienten unversorgt oder baut darauf, dass dieser es in seiner Verzweiflung selbst bezahlt.
    Ein System zum weglaufen…

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  4. In der Schweiz sind – im Vergleich zu Deutschland und gemessen an den durchschnittlichen Gehältern – die Krankenversicherungen viel billiger, die Versorgung im Gegenzug deutlich besser. Das Problem ist nur, dass bislang noch kein Gesundheitsminister die Eier hatte, dem Volk zu sagen, dass es – um das Schweizer Gesundheitssystem zu retten – von einem Tag auf den anderen pro Nase und Monat 200 Franken mehr zahlen muss. Dann könnten auch die ewigen Spardiskussionen endlich aufhören.

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    1. Einfach mehr bezahlen geht eben auch nicht. Das hat nichts mir „Eier haben“ zu tun.
      Ich bezahle heute schon für meine 4-köpfige Familie ca 10% des Bruttolohnes für KK-Prämien. Wenn ich da noch 500 Franken draufschlage (2 Erwachsene und 2 Kinder à angenommen 50 Franken) ist das etwas mehr als die Hälfte dazu. Das sprengt mein ohnehin schon knappes Budget definitiv.
      Eine einfache Lösung gibts nicht. Am wenigsten sollte man aber beim Personal sparen. Vermutlich brauchts irgendwann jemand der die Eier hat zu sagen dass wir nicht alles was möglich ist auch machen müssen. Aber das sind ethische Fragen und die traut sich die Politik noch viel weniger anzugehen.

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      1. „Ich bezahle heute schon für meine 4-köpfige Familie ca 10% des Bruttolohnes für KK-Prämien. Wenn ich da noch 500 Franken draufschlage (2 Erwachsene und 2 Kinder à angenommen 50 Franken) ist das etwas mehr als die Hälfte dazu.“

        Genau. Und 15% des Bruttolohns zahlst Du für Deine Familie auch in Deutschland – bei einer wesentlich schlechteren Versorgung als in der Schweiz. Gibt es mehrere Verdiener in der Familie, zahlen die alle jeweils 15%.

        Leutz: Ihr müsst Euch endlich mal klar machen, dass wir hier in der Schweiz eine Top-Versorgung zum Schleuderpreis haben. Und die einzige Alternative zur Beitragserhöhung ist die Leistungsverschlechterung. Ist das wirklich das, was Ihr wollt?

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        1. Mir ists ehrlich egal wie viel in Deutschland bezahlt wird und wie viel sie bekommen. Das ist eh nur beschränkt vergleichbar.
          Und ja, ich denke wir können uns unsere Top-Versorgung nicht leisten und es braucht einen Leistungsabbau in der Grundversicherung. Wir werden da über kurz oder lang nicht drumherum kommen.

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          1. @ bakual:

            Dann hast Du schnell genau so einer Zweiklassenmedizin wie in Deutschland. Willst Du das wirklich? Willst Du, dass Reiche gesünder sind als Arme und länger leben, weil sich letztere gute Medizin nicht mehr leisten können?

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            1. Im Grundsatz ja, und das sag ich als Sozi der sich das dann nicht leisten kann.
              Es muss nicht alles gemacht werden was man kann, weil man das irgendwann nicht mehr bezahlen kann. Auch wenn man wollte. Man macht heute ja auch kein neues Gelenk einer 90-jährigen. Solche Abwägungen wird man bald mehr machen müssen (zB teures Behandlung nur um ein paar Monate länger zu leben?). Nicht weil wir wollen sondern weil wir müssen.

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            2. Ich rede hier nicht von unsinnigen Behandlungen bei Hochbetagten. Aber zum Beispiel bei Krebs werden die Behandlungen immer besser, weil spezifischer. Und das kostet nun einmal. Soll der eine 50jährige sterben, weil er das Geld für die Behandlung nicht hat, während ein Gleichaltriger Millionär weiter leben darf? Wo setzt du da die Grenze?

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            3. Wo setzt du da die Grenze?

              Genau das ist die ethische Frage die ich meine. Und die muss die Politik angehen.
              Geben wir ne halbe Million aus damit ein Mensch gesund wird? Was wenn er damit 5 Jahre weiterleben kann? Was wenn nur ein halbes Jahr? Oder wie viel darf es pro Jahr kosten damit sich eine Krankheit zumindest nicht verschlimmert?
              Das sind ethische Fragen vor denen man sich heute noch scheut, aber die werden kommen. Weil schon bald wird unsere Medizin so gut sein dass praktisch alles möglich wird – mit entsprechenden Kosten.

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            4. Du meinst im Ernst, dass so eine empfindliche ethische Frage durch unsere Politiker gelöst werden sollte?

              Das sind so ziemlich die Letzten, die für eine solche Entscheidung von derartiger Tragweite geeignet sind.

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            5. Ach ja, selbst wenn die Politik sagt, dass eine teure Krebstherapie nicht mehr von den Kassen erstattet wird, kann der Millionär sie immer noch privat bezahlen (verbieten kannst Du das nicht, ebenso nicht den medizinischen Fortschritt aufhalten). Also hat der Reiche Privilegien, die der Arme nicht hat.

              Und Du willst Sozi sein, schlägst aber sowas vor? Da stimmt doch etwas nicht.

              Noch etwas: natürlich werden auch bei 90jährigen künstliche Gelenke gemacht, sofern dadurch die Lebensqualität verbessert werden kann und der Eingriff nicht wegen Risikofaktoren zu riskant.

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    2. Da bin ich mit dem Flo auch nicht einverstanden. Wenn man in einem Diagramm die Lebenserwartung mit den Gesundheitskosten vergleicht, bezahlen wir Schweizer (und Deutsche und ganz extrem die Amis) pro Lebensjahr einfach zuviel an Gesundheitskosten.

      Irgendwie schaffen es andere Länder, mit den gleichen Kosten eine bessere Gesundheitsleistung zu erkaufen.

      Ich bin auch mit bakual einverstanden, dass die Politik sich vor ethischen Entscheiden scheut. Bettina ist eine Studentin mit spinaler Muskelatrophie. Keine Krankenkasse vergütet Spinraza, weil das Medikament bei Erwachsenen zuviel kostet für den eher bescheidenen Mehrnutzen. Würde man Bettina sagen, dass Médécins sans frontières für den Preis einer Durchstechflasche Spinraza locker 500 Menschenleben rettet………………….

      Am Einzelfall zeigt sich immer die Unmenschlichkeit des Systems. Jedoch bieten wir für die grosse Menge der Patienten immer noch eine vorzügliche Medizin.

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  5. Na dann, herzlich willkommen in der bürokratischen Selbstzerstörung.
    Klingt für mich auch schwer nach einer Art Rabattvertrag!
    Es tut mir leid zu hören, dass das Theater von hier inzwischen spürbar auf die Schweiz abgefärbt hat. Es ist schlecht unbedacht beim Nachbarn abzugucken, besser wäre es dessen Fehler zu erkennen und diese dann bei sich selber nicht zu machen.
    Glaubt mir, ihr wollt nicht an den Punkt kommen, an dem die Hersteller u/o Großhändler mit diversen Tricks die Lieferfähigkeit und Erstattung manipulieren, während Patienten unversorgt bleiben, obwohl sich die Packungen stapeln, weil: Angebot und Nachfrage, Wirtschaft ankurbeln und so…

    Für uns in Deutschland leider schon länger Alltag.
    Vor ein paar Tagen ist mein Chef beinahe lachend hinter den HV gefallen, als ein Kunde uns wie gewohnt als unhaltbare Ursache beschimpfte und ihm im gleichen Atemzug erklärte, dass Deutschland schließlich ein „Erste-Welt-Land“ sei. Also ich weiß ja nicht in wo oder welcher Welt der lebt aber das muss eine lange Reise gewesen sein. Im gesundheitlichen Sektor ist Deutschland sehr, sehr weit von einem Erste-Welt-Land entfernt und es wird alles, nur nicht besser.

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    1. Dafür schauen wir uns ja aber alle Fehler ab, und möchten die am liebsten sofort selbst umsetzen, die so in den USA, Großbritannien, Schweden, Norwegen und wo auch immer schon gemacht wurden.

      Deswegen will unsere Politik:
      Kettenapotheken
      Ketten-Arzt-Versorgungzentren
      Ketten-Krankenhäuser
      zentralisierte elektronische Gesundheitsakten
      Arzneimittelversand
      elektronisches Rezept
      etc…

      Nur Großkonzerne machen alles billiger, und billig ist das neueste und beste Qualitätsmerkmal.

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      1. „Nur Großkonzerne machen alles billiger, und billig ist das neueste und beste Qualitätsmerkmal.“

        Und deshalb ist ja auch Qualitätsmanagement das Allheilmittel im Gesundheitswesen. (irony mode off)

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        1. Qualitätsmanagement ist wie Mangelverwaltung. Wenn man das Problem an der Wurzel packen würde, wäre vieles überflüssig.

          Aber Mangelverwaltung haben wir bei Arzneimitteln ja in der Zwischenzeit auch (wieder) salonfähig gemacht.

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