Zwei Gesichter der Abhängigkeit (1)

Wir haben in der Apotheke häufiger mit abhängigen Personen zu tun. Ich möchte hier nicht auf die Ursachen eingehen – ausser vielleicht an der Stelle wieder einmal zu sagen: die Personen, die abhängig werden sind nicht ausschliesslich selber Schuld. Die Problematik fängt bei den Substanzen selber an. Die (stark) wirksamen Beruhigungs- und Schlafmittel machen abhängig. Ziemlich schnell. Nicht umsonst steht in der Packungsbeilage:

Wie alle Hypnotika empfiehlt sich XXX nicht zur Langzeitanwendung.

Die Behandlung mit Hypnotika soll so kurz dauern wie möglich und 4 Wochen nicht überschreiten.

Die Einnahme von Sedativa/Hypnotika wie Zolpidem kann zu physischer oder psychischer Abhängigkeit führen. Dieses Risiko vergrössert sich bei längerer Einnahme, hoher Dosierung und entsprechend veranlagten Patienten

In der Fachinformation steht das sehr ausführlich geschrieben. Ebenso steht drin, dass man die Dosis nicht steigern sollte, bei längerer Anwendung eine regelmässige Neubeurteilung stattfinden soll und auch dass es nicht plötzlich abgesetzt werden soll wegen der Entzugserscheinungen.

Mehr als genug Warnungen sollte man denken. Dennoch sind bei mir in der Apotheke (Durchschnittsgrösse würde ich meinen, Quartierapotheke in einer Stadt) mehr Rezepte für Zolpidem und andere Schlaf und Beruhigungsmittel als Dauerrezept ausgestellt statt als einfache Rezepte. Und die sind dann gleich für 6 Monate ausgestellt – viele Ärzte schreiben gar für 12 Monate drauf, aber das ist wegen der gesetzlichen Einschränkung nicht möglich, weshalb ich die auf die maximalen 6 Monate reduziere. Dann „muss“ der Arzt ein neues ausstellen … und ich habe die Hoffnung, dass er den Patient auch wieder ansieht, auch wenn das häufig nicht der Fall ist.

Ansonsten ist es so, dass uns in der Apotheke da eine „Polizei-funktion“ aufgedrängt wurde, die ich wirklich nicht gerne übernehme, aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Da der Arzt das nicht macht, indem er den Patient regelmässig für eine Neuverschreibung des Schlaf- oder Beruhigungsmittels sieht, muss ich in der Apotheke schauen, dass der Patient sein Mittel bekommt UND dass er das richtig nimmt: in dem Fall hier: nicht zu häufig / nicht zu viel. Nicht erleichtert wird mir das, wenn der Arzt dann auf dem Rezept nicht mal draufschreibt wie die Dosierung sein soll – auch das in offensichtlichem Widerspruch zu den gesetzlichen Vorgaben. Ich löse das inzwischen für uns so, dass ich die laut Packungsbeilage vorgeschriebene Maximaldosierung annehme. Bezüge, die darunter fallen: ok, wenn es darüber geht, dann wird reagiert.

Wir reagieren … mit einem Stufenplan. In Jahren erarbeitet und getestet (vielleicht macht Ihr das anders in Eurer Apotheke?, wenn ja, würde ich das gerne hören).

Stufe A) Erst mal, indem wir den Patienten wieder darauf aufmerksam machen, für was das Medikament ist, dass man es eigentlich nicht regelmässig nehmen sollte (beides zumindest schon bei der Erstabgabe gesagt, auch wenn sich viele nicht mehr daran erinnern wollen),

Stufe B) Dass die empfohlene Dosierung 1 pro Tag ist (bei Bedarf zu nehmen),

Stufe C) Dann dass sie das nicht von sich aus steigern sollen,

Stufe D) Dann dass sie zu früh dran sind für ihren Bezug,

Stufe E) Dann dass wir wegen erneutem frühen Bezug den Arzt informieren,

Stufe F) Dann dass sie die nächste Packung erst ab dem (Datum) beziehen dürfen,

Stufe G) Dann dass sie die Packung jetzt nicht bekommen und erst ein neues Rezept vom Arzt bringen müssen …

Man kann sich vorstellen, wie unangenehm das für uns ist und wie nervig das für die Patienten wird. Mir persönlich wäre es da ja lieb, wenn da wirklich einmal ein Verbot durchgesetzt würde, dass nicht mehr als die 4 Wochen verschrieben werden darf – und das jedes Mal ein neues Rezept braucht. Vielleicht würden dann die Ärzte auch merken, was sie da mit diesen Verschreibungen teils „anrichten“. So bekommen sie das im Idealfall (für sie) nur alle 6 Monate mit, wenn sie ein Telefon vom Patienten bekommen, dass sie ein Fax in die Apotheke schicken sollen mit einem neuen Dauerrezept … Oder vielleicht etwas vorher, wenn wir jemanden haben, der die obigen Stufen schon alle durchhat und der dann erbost in der Praxis anruft, dass die böse Apothekerin ihnen das Medikament verweigert.

Ich weiss nicht, was sie dem Arzt sonst noch erzählen, aber mir persönlich reicht, was sie bei uns zu so Gelegenheiten sagen. Dazu 2 Beispiele, die ich morgen und übermorgen bringe.

6 Kommentare zu „Zwei Gesichter der Abhängigkeit (1)

  1. mal eine zugegebenermassen provokante These: Warum lässt man die Leute nicht einfach nehmen was sie wollen?

    Ist es besser, wenn der Patient „200 Zolpidem only 99$“ in Timbuktu oder Turkmenistan bestellt – mit zweifelhafter Herkunft und ebensolchem Inhalt?

    Ein guter Bekannter von mir (71) nimmt seit gut 20 Jahren mehr oder weniger täglich Zopiclon – und er lebt immer noch – und das nicht schlecht!

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    1. Nimmt Dein Bekannter nur die eine Tablette am Tag? Blöderweise hat das Zeug auch einen Gewohnheitseffekt, so dass die Leute das nicht nur regelmässig anfangen zu nehmen, sondern auch zu steigern. Die Wirkung lässt nach, die Chance der Nebenwirkung leider nicht … und heute weiss man auch, dass die Leute die das nehmen eher Stürzen oder sonst Unfälle machen, dass das aufs Gedächtnis schlägt und man eher und rascher dement wird… Und wo willst Du dann die Grenze ziehen mit dem „nehmen, was sie wollen?“. Bei einer pro Tag? Zwei? Vier?? Wir haben einen Fall übernommen, der sich über die Jahre auf 17 Tabletten Zolpidem täglich (!) gesteigert hat. Und er klagt immer noch darüber, dass er nicht richtig schläft… Das passiert, wenn man die Leute nehmen lässt, was sie wollen. Sein Tag bestand hauptsächlich darin, irgendwie an neue Tabletten zu kommen. Sowas ist dann nicht nur für ihn belastend, sondern auch für seine Umwelt.

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  2. Das Problem kenne ich hier aus Deutschland genauso. Nur habe ich wesentlich weniger Kontrollmöglichkeiten als Du, da die Patienten bei uns ja kein Dossier haben müssen.
    Die größte Packung sind hier 20 Stk.
    Aber wenn die leer sind, schreibt die Sprechstundenhilfe einfach ein neues Rezept aus und legt’s dem Arzt zum Unterschreiben vor- der das dann zwischen Tür und Angel macht.
    Ich hab mir da schon in den Praxen und bei den Patienten den Mund fusselig geredet.

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    1. Es gibt Ärzte, denen ist es leider völlig wurscht, ob Frau Meyer jetzt seit Jahren Z-Substanzen nimmt, selbst wenn man mal jemand hat, der weg davon will. Dann kommen genau diese „Argumente“ laß die Leute doch nehmen was sie wollen, oder mit xy Jahren ist es doch ok (sprich egal).

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  3. http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=52289
    In D gibt es 1,3 Millionen Benzodiazepin-Abhängige, es wird vermutet, das 1/3 aller Oberschenkelhalsbrüche unter Benzo-Einfluss entstehen.

    Ich musste vor einiger Zeit Bekanntschaft mit Lorazepam/Tavor machen, wurde nicht gründlich aufgeklärt, und ging durch die Hölle, als es ausgeschlichen wurde.
    In diesem Zusammenhang begann ich nachzulesen und fiel aus allen Wolken.

    Lorazepam/Tavor z.B. würde ich im ambulanten Bereich überhaupt nicht erlauben, oder allerhöchstens für 5 Tage nach vorheriger dokumentierter Aufklärung.

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