Über Sorgfaltspflicht und Fahrlässigkeit in der Apotheke

In Deutschland hat ein Arzt einem Baby mit Down Syndrom, das am Herz operiert werden sollte ein herzstärkendes Medikament verordnet.

Versehentlich hat er aber die Dosierung 8fach zu hoch aufgeschrieben.

Der Apotheker erkannte den Fehler nicht und gab die Arznei mit dieser Dosierung ab. (Ich nehme an, es handelt sich dabei um eine Rezeptur, die er extra anfertigen musste – auch wir stellen gelegentlich Kapseln für Babies mit Herzfehlern her).

Das Baby erlitt in Folge einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Es erlitt eine Hirnschädigung, einen Darmschaden und eine Entwicklungsverzögerung. Die Eltern forderten darauf vom Arzt und dem Apotheker Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200’000 Euro.

Das Gericht in Deutschland gab der Klage statt und Arzt und Apotheker wurden verurteilt – die Höhe des Schmerzensgeldes wurde aber nicht festgelegt.

In den Medien – wie zum Beispiel im Gesundheitsportal paradisi nachzulesen – stand dann, dass „auch der Apotheker für nicht erkannte Fehler, die ein Arzt beim Ausfüllen eines Rezeptes gemacht hat haftet“.

Also sind die Apotheker verpflichtet, ein Rezept genaustens zu prüfen und haftbar für aus fehlbarer Abgaben resultierender Folgen.

Das ist so.

Ich habe zwar in der Schweiz keinen Gerichtsfall dazu gefunden, aber bei uns dürfte es analog laufen. Die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind gegeben.

So steht im Heilmittelgesetz schon im 3. Artikel: Sorgfaltspflicht

Art 3. Sorgfaltspflicht: Wer mit Heilmitteln umgeht, muss dabei alle Massnahmen treffen, die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderlich sind, damit die Gesundheit von Mensch und Tier nicht gefährdet wird.

Art. 26: Grundsatz für Verschreibung und Abgabe

1 Bei der Verschreibung und der Abgabe von Arzneimitteln müssen die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden.

Die Dosierung eines Medikamentes – speziell wenn man es nicht kennt nicht nachzuschauen und zu überprüfen wäre garantiert eine Verletzung der Sorgfaltspflicht.

Und wenn das Folgen hat / man deswegen angeklagt wird, dann wird das auch bestraft.

Wie steht im HMG Art. 86 Vergehen

1 Sofern keine schwerere strafbare Handlung nach dem Strafgesetzbuch oder dem Betäubungsmittelgesetz vorliegt, wird mit Gefängnis oder mit Busse bis zu 200’000 Franken bestraft, wer die Gesundheit von Menschen gefährdet, indem er oder sie vorsätzlich:
Sorgfaltspflichten im Umgang mit Heilmitteln verletzt;
….
3 Wer fahrlässig handelt, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse
bis zu 100 000 Franken bestraft.

So- das ist das.

Was mich noch interessierte ist der Ausdruck Fahrlässig – ich meine, es ist klar was vorsätzlich ist (mit Absicht), aber was genau bedeutet Fahrlässig?

Fahrlässigkeit ist definiert als Verletzung der gebotenen Sorgfalt (objektive Seite) und verlangt Urteilsfähigkeit des Schädigers (subjektive Seite).

Der Apotheker der in Deutschland zusammen mit dem Arzt verurteilt wurde hat also fahrlässig seine Sorgfaltspflicht verletzt.

Er kann die Verantwortung dafür nicht an den Arzt abschieben. Selbst wenn ihm die Diagnose nicht bekannt war hätte er bemerken müssen (Kontrolle!), dass die Dosierung stark ausserhalb des Normbereiches für das Alter ist.

Und das Alter hätte er bemerken müssen, da vor Abgabe eines Medikamentes auf Rezept der Patient identifiziert werden muss.

Sorgfalt ist wichtig. In der Apotheke wie beim Arzt – wir halten die Gesundheit von vielen Menschen in unseren Händen, nur indem wir etwas abgeben. Wir sind eben mehr als nur „Schubladenzieher“ – und das spiegelt auch die Gesetzgebung.

18 Kommentare zu „Über Sorgfaltspflicht und Fahrlässigkeit in der Apotheke

  1. Du hast in allem was du sagst Recht.

    Trotzdem halte ich diesen speziellen Fall für unsinnig.
    Ein Kind, das an dem Down-Syndrom leidet bekommt ganz zwangsläufig Hinrnschädigungen und Entwicklungsstörungen.

    Nur durch eine Beweislastumkehr, musste der Arzt/Apotheker nun beweisen, dass der Schaden ohne den Herzstillstand nicht aufgetreten wäre. Und das konnte er nicht.

    Ja, der Arzt hat Mist gebaut. Ja, der Apotheker hat nicht aufgepasst. Aber ich sehe hier trotzdem ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit.

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    1. Das mit den Entwicklungsstörungen ist tatsächlich diskutabel.
      Aber mal abgesehen vom „Endergebnis“ – der Weg dahin war klar – eine Verletzung der Sorgfaltspflicht. Tragisch wie das ist. Und in der Dosierung auch sicher eine „Gefährdung der Gesundheit“. Interessanterweise steht bei uns im HMG danach keine Differenzierung mehr von wegen, was für Auswirkungen das dann effektiv haben muss.

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      1. Pharmama, ich stimme Dir zu, dass es eine Verletzung der Sorgfaltspflicht war.
        Aber die Höhe des „Schmerzensgeld“ it nicht Sache einer Strafkammer, das ist – man mag es bedauern oder nicht – Sache eines anderen Verfahrens (Zivilprozess).
        was lerne ich daraus: ich sehe die Apothekerin meines Vertrauens und ihre Kollegen (m/w) nun mit noch ganz anderen Augen.
        Herzliche Grüsse
        Hajo

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  2. Umgekehrt gedacht ist es aber auch so, daß *gerade* bei einer Erkrankung, die mit Entwicklungsverzögerungen einhergeht, keine weitere entwicklungsverzögernden Umstände (Hypoxämie durch Herzstillstand etc.) hinzukommen sollten! Abgesehen mal davon kann man auch bei einem so kleinen Kind schon erkennen, wenn der Zustand nach dem Vorfall deutlich schlechter ist als vorher, Trisomie 21 ist nicht schön, aber rapide sprunghafter Verschlechterungen sind nicht typisch und sollten unterscheidbar sein. Ohne Medikament hätte das herzkranke Kind allerdings auch unter der Herzschwäche leiden können…

    Meiner Meinung nach war es trotzdem richtig, beide zur Rechenschaft zu ziehen. Das Kind hätte ja auch versterben können, oder ein aufmerksamer Elternteil hätte die Dosierung aus Neugier selbst überprüfen können und dann nicht anwenden können, so daß kein Schaden entstanden wäre. Egal welche Folgen das Ganze im Endeffekt hatte, der Fehler wurde nicht entdeckt, bis das Medikament abgegeben wurde. Und daß diese Fahrlässigkeit geahndet wird, finde ich korrekt. Das Ausmaß der Folgen ist doch auch v.a. für Schmerzensgeldhöhe etc. wichtig, oder?

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  3. Ich finde diesen Fall problematisch – wenn man ihn auf andere Fälle überträgt. Nun gab in es fraglichem Fall ein Fertigarzneimittel mit Zulassung und auch angebener Dosierung auch für Frühgeborene. Daher wäre eine Recherge der fraglichen Dosierung tatsächlich leidlich leicht möglich gewesen.

    Bei anderen Wirkstoffen sieht das aber schlechter aus. Ich habe schon für Frühgeborene Rezepturen mit HCT, Sildenafil und anderen Wirkstoffen hergestellt. Eine Dosierung in der Literatur konnte ich nicht finden. Der verordnende Kinderarzt stellte fest, er sei der „Weiterverordner der Klinik“ und „verlasse sich auf deren Angaben“. In der Klinik, die selber nur mit Hilfe der Eltern zu ermitteln war (besonders nett, wenn die Großmama das Rezept reinreicht um der Mutter Arbeit abzunehmen) war niemand erreichbar. (Und auch das wäre keine adäquate Überprüfung sondern ein Verlassen auf Hörensagen. Dass dieser OFF-Label-Use zum Teil auf fraglicher Frühgeborenen-Uniklinik-Station entwickelt /erforscht wird, macht die Sache noch komplizierter.) Das Rezeptur ist dringend bis gestern, da das Rezept schon 10 Tage alt ist. Die Dosierungsangaben für Frühgeborene bei solchen Arzneimitteln ändern sich zum Teil im Wochenrhythmus. Ich kann maximal über den Daumen peilen, ob das Sinn ergibt oder nicht. Aber ich kenne keine Quelle zum Nachprüfen, ob 2mg HCT für ein mir gewichts-unbekanntes Frühgeborenes ok sind oder falsch dosiert. Und wenn ich die Rezeptur nicht bis gestern mache, habe ich wegen Behandlungsverzögerung des Kindes die Nieren (HCT) / die Lunge (Sildenafil) / das Herz (Captopril) selbigens auf dem Gewissen, oder bin an Epilepsie-Anfällen (Phenobarbital, ein BtM, übrigens auf einem normalem Rezept verordnet) schuld. Gerade stehe ich anschließend dafür aber so oder so. (Und das ganze dann für 5€ Rezepturzuschlag für mehrere Stunden Recherge und Rezepturherstellung, aber das nur am Rande…)

    Anderer Fall. Ein Kinderarzt erklärt den Eltern, wie diese aus einer 1/4-baren Tablette -> 1/4 mit einer definierten Menge Wasser (Spritze) eine Lösung herstellen, von welcher dann eine kleinere definierte Menge Lösung (Spritze) dem Kind zu geben ist. Rabattartikel sind aber Hartkapsel. Eine Dosierungsangabe findet sich nirgends auf dem Rezept, genauso wenig wie ein Aut-Idem-Kreuz. Die Tabletten selber haben eine „Anwenungsbeschränkung“ seitens des Herstellers: „Keine Anwednung bei Kindern und Erwachsenen unter 25 Jahren.“ Muss ich die Abgabe verweigern? Oder muss ich gar auf den nicht-1/4-baren Rabattartikel ausweichen? In der Haftung stehe zum Schluss ICH!

    Einfach mal für alle, die denken, Apotheker sei ein leichter Job mit goldener Nase nach 2 Berufsjahren, zum nachdenken. Die Fälle sind nicht täglich, aber oft genug…

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    1. In Deutschland: Apothekenbetriebsordnung §17 (5)
      …. Enthält eine Verschreibung einen für
      den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben
      sich sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel nicht abgegeben werden,
      bevor die Unklarheit beseitigt ist…
      Stickwort ist „sonstige Bedenken“. Zumindest da muss die Apotheke die Bremse reinhauen. Der Arzt kann sie auf Rückfrage lösen, aber dann sollte man das auch dokumentieren, sonst hängt man – zu Recht wie ich finde – mit drin.

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    2. Absolut richtige (und wichtige) Einwände. Allerdings – auch wenn das ein dringender Notfall ist (nach 10 Tagen?) und dringend jetzt gleich sofort abgegeben werden muss (und Du Dich verantwortlich fühlst) … fast wichtiger ist in dem Moment die korrekte Abgabe. Es handelt sich ja eben nicht um Kaffe oder Hamburger sondern um Medikamente. Was also Identifikation des Patienten und Dosierung angeht, bist Du unbedingt in der Pflicht – was die „jetzt gleich sofort Abgabe“ angeht … hmmm. Nö.

      und dass der Arzt so eine (komplizierte) Einnahme nur den Eltern erklärt und nicht auch auf dem Rezept vermerkt ist auch ein Fehler. Dass bei den Tabletten das mit der Anwendungseinschränkung steht ist ja noch häufiger der Fall – viele der bei Kindern angewendeten Arzneimittel sind „off label use“. Bei uns (CH) ist das dann so, dass der Arzt auch das den Eltern erklären muss (!) und ich in der Apotheke überprüfen soll, ob sie das verstanden haben. Und ich bin sehr dankbar (jeden Tag, seit ich deinen Blog kenne), dass wir hier keine solchen Rabattverträge haben.

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      1. Vielen Patienten ist überhaupt nicht klar, was „Rezeptur“ für einen Arbeitsaufwand für die herstellende Apotheke bedeutet. Und auch nicht, dass überhaupt eine „Rezeptur“ auf dem Rezept steht. Ich bin schon öfter auf völligen Unglauben gestoßen, wenn ich mal jemanden gesagt habe, dass da „einer 20min schwer körperlich arbeiten muss“ um so eine Creme „mal eben flink anzurühren“. Und bei Pulvern (in abgeteilter Dosierung), Kapseln u.ä. wird’s nicht besser… Und die fraglichen Eltern haben halt (wie auch BtM-Patienten mit einem 10 Tage alten Rezept) immer den Spruch auf den Lippen: „Wir hatten ja noch bis heute…“ Bloß ein Frühgeborenes komplett unmedikamentiert belassen? Es ist immer ein ethischer Konflikt für mich, jedes Mal. Gott lob ist bisher alles gut gegangen bei mir.

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    1. Tausendfach überhöhte Wirkstoffdosierung? Bei Augentropfen?
      (Waren das überhaupt noch Tropfen oder schon Gel? Es ist schon etwas her, dass ich Augentropfen machen durfte – aber da muss man doch auch noch die Isotonie berechnen – fällt da das nicht auch auf?)

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  4. Ich kann mich noch gut an meine Praktikumszeit erinnern, als ich es gewagt habe ZWEIMAL bei einer Zahnärztin anzurufen, weil ihre Adrenalinlösung um den Faktor 1000 überdosiert war.

    Es hat damit geendet, dass ich dort antanzen musste um mich zu entschuldigen…….
    Allerdings kam 3 Tage später ein Rezept in der richtigen Dosierung.

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  5. Dein letzter Satz sag das Wichtigste. Wir wollen eine signifikante Rolle spielen und das können wir auch. Darauf müssen sich andere verlassen können.

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  6. Hours of boredom – Moments of thrill. Oder anders ausgedrückt 90 % sind Routine nur weiss man nie ob der nächste Fall nicht zu den anderen 10 %gehört……

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  7. hmm – es gab doch mal eine „Therapiefreiheit“ der Ärzte.

    Wenn jetzt Arzt X der Meinung ist, Patient Y braucht die 8-fache Dosis vom Medikament Z – was kann da ein Apotheker dafür???

    Ja ja – unsere Welt ist verrückt geworden… :-(

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    1. Therapiefreiheit bezieht sich gemäss meinem Verständniss auf mögliche Therapien (off-label-use sollte explizit deklariert werden). Das heisst noch lange nicht, dass der Arzt ohne dabei durch den Apotheker in Frage gestellt zu werden, wild verschreiben kann was ihm passt. Ich glaube da würde kein Mensch mehr Pharmazie studieren. Denn zu einer „sklavischen“ Ausführung von delgierten Arbeiten brauche ich mich nicht 5 Jahre lang durch die Uni zu quälen. Ich habe auch schon mal einer Patientin gesagt, dass es meine Aufgabe ist die Rezepte zu prüfen, und somit in Frage zu stellen, als sie besorgt meinte ich solle den Arzt nicht mit meinem Anruf stören (!!!)

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    2. Ich würde unter dem Begriff Therapiefreiheit nicht verstehen, dass der Arzt wild rumexperimentieren kann wie er will, ohne Rücksicht auf die Physiologie des Menschen zu nehmen….

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