Haben wollen und haben sollen – Medikamente auf Rezept

Zwei Geschichten aus der Apotheke aus den letzten Tagen. Zwei Beispiele, wieso ein Patient trotz Rezept „sein“ Medikament nicht bekommen hat. Und zwei Beispiele, weshalb das gut sein kann.

„Sie lösen auch ausländische Rezepte ein?“ fragt der Mann in der Apotheke. „Meine Partnerin hat eines geschickt bekommen aus Amerika für Augentropfen, ich habe es hier auf dem Handy.“

Wenn ihr den letzten Post gelesen habt, dann wisst ihr, dass das schon weil es elektronisch geschickt wurde kein gültiges Rezept ist. Ausserdem müssen wir ausländische Rezepte nicht ausführen. Wenn wir das trotzdem machen (wo es Sinn macht), müssen die Medikamente bezahlt werden. Der Mann besteht darauf, dass die Frau die Augentropfen braucht, deshalb bestellt meine Apotheker-Kollegin sie auf den Nachmittag.

Am Nachmittag arbeite ich und sehe den Rezeptausdruck. Das Rezept ist aus einer Praxis in Californien – augenscheinlich. Nachprüfbar ist das nur schwierig. Ausgestellt von gestern (also aktuell). Für Augentropfen, die Dexamethason enthalten. Pharmawiki schreibt dazu:

Dexamethason ist ein entzündungshemmender, immunsuppressiver und antiallergischer Wirkstoff aus der Gruppe der Glucocorticoide, der in Form von Augentropfen zur Behandlung nicht-infektiöser Entzündungen des vorderen Augenabschnitts eingesetzt wird. Die Tropfen werden in der Regel mehrmals täglich verabreicht. Die Behandlungsdauer soll zwei Wochen nicht überschreiten. Zu den möglichen unerwünschten Wirkungen gehören unter anderem ein erhöhter Augeninnendruck, Infektionen, ein grauer Star und eine verzögerte Wundheilung.

Dank recht aktueller Weiterbildungen zu dem Thema weiss ich das schon. Ebenso, dass es eine absolute Kontraindikation ist, diese Augentropfen bei bakteriellen oder viralen Infektionen einzusetzen oder wenn die Hornhaut der Augen geschädigt wurde. Bevor man die verschreibt sollte man sich die Augen angeschaut und das getestet haben – zum Beispiel mit Fluorescein Augentropfen, die solche Beschädigungen darstellen. Wenn man das nicht tut und das trotzdem verschreibt, ist das ein „Kunstfehler“ (O-Ton Dozent), der im schlimmsten Fall zu Blindheit führen kann. Ich vermerke auf dem Abholzettel, dass ich unbedingt geholt werden muss, bevor das rausgeht.

Am Nachmittag kommt die Frau selber das abholen, so dass ich sie fragen kann. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit eine Operation drüben in den USA. Jetzt hat sie Augenbeschwerden und deshalb mit dem Arzt dort telefoniert. Der hat ihr (via Telefon) eine bakterielle Augenentzündung diagnostiziert … und ihr dann diese Augentropfen verschrieben.

Ihr seht, weshalb ich ihr die Augentropfen nicht gegeben habe und sie direkt zum Augenarzt hier geschickt habe? Wenn der Arzt ihr jetzt Antibiotikahaltige Augentropfen verschrieben hätte, wäre das anders gewesen, aber so? Da stimmt irgendwie gar nichts. Wenn ich die Cortison-Augentropfen trotzdem abgebe, das ist wirklich eine Infektion, die sich dann ausbreitet – vielleicht noch tiefer ins Auge, da sie da (wann?) eine OP hatte … dann bin ich verantwortlich, wenn sie ihre Sehkraft verliert.

…..

Ich erzähle meiner Kollegin am nächsten Tag bei der Übergabe wie das ausgegangen ist. Sie stimmt mit mir überein … und erzählt mir diese Geschichte von letzter Woche:

„Ist mein Rezept schon da?“ fragt der Stammkunde. Leider ist es das noch nicht. Das heisst – wir haben schon Rezepte für ihn hier, aber kein neues. „Bitte benachrichtigen Sie mich gleich, wenn es kommt. Ich rufe nochmal beim Arzt an.“

Das Rezept kam kurz darauf per mail. Beim so dringenden Medikament handelt es sich um Sildenafil, verschrieben vom Urologen. Ihr kennt den Wirkstoff vielleicht besser unter dem Namen des Originalmedikamentes: Viagra.

Sildenafil ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der PDE5-Hemmer zur Behandlung von Erektionsstörungen beim Mann. Er erleichtert den Bluteinstrom in den Schwellkörper des Penis und ermöglicht die Entstehung und Aufrechterhaltung der Erektion. Das Arzneimittel wird maximal einmal täglich etwa eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr eingenommen. Es ist nur bei sexueller Stimulation wirksam und darf nicht zusammen mit Nitraten und NO-Donatoren eingenommen werden.

Interessanterweise gehört der Wirkstoff zu denen, die in der Schweiz inzwischen (in geringer Dosierung und nach den nötigen Abklärungen) in der Apotheke auch ohne Rezept erhältlich sind.

Beim eingeben in das Computerdossier poppt dann promt der Warnhinweis auf, dass eine Kontraindikation besteht (NICHT ZUSAMMEN GEBEN) mit Isoket. Einem Nitrat. Meine Kollegin ruft sofort dem verschreibenden Arzt zurück.

Arzt: „Oh. Nein, dann können wir ihm das nicht geben. Ich habe ihn nach seinen anderen Medikamenten gefragt und er hat mir einen Medikamentenplan vom Hausarzt vom März gegeben.“

Apothekerin: „Ja – das Isoket hat der Hausarzt erst diesen August verschrieben.“

So. Gut hat der Patient eine Stammapotheke. Wenn man die Medikamente kombiniert, droht ein akuter lebensbedrohlicher Blutdruckabfall. Also hat meine Kollegin ihm da möglicherweise das Leben gerettet.

Ich bin sicher, jede Apotheke hat viele solcher Geschichten. Die meisten wird man einfach nie mitbekommen.

8 Kommentare zu „Haben wollen und haben sollen – Medikamente auf Rezept

  1. Aber ist ja soooo viel einfacher und bequemer und billiger, wenn man digital ein Rezept kriegt und das direkt auch online bestellen kann …
    Daß unter anderem sowas wie von der beschrieben gute Gründe für lokalen Kauf und Stammapotheken sind, sehen die Sparfüche und „ist doch so bequem“-Internetfans oft nicht.

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    1. Einem Stammkunden könnt Ihr das doch auch freundlich mitteilen? Dann weiß er wenigstens, was er an Euch hat. Das konkrete „Medikament“ einmal bei Seite gelassen: Ich wäre dankbar um so einen Hinweis – zum Einen um selbst besser aufzupassen und zB auf einen aktuellen Medikamentenplan zu achten. Und nebenbei spricht das eben auch für eine fachlich gute Betreuung. Wie handhabt Ihr das?

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      1. Habe ich irgendwo geschrieben oder angedeutet, dass das nicht freundlich und mit der entsprechenden Erklärung mitgeteilt wurde? Die meisten Leute sind tatsächlich dankbar, wenn man ihnen sowas erklärt.

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  2. Mich interessiert, wieviel dieser Augenarzt für die Rezeptausstellung berechnet hat. Als Apothekerin denke ich schon, daß man bei Beschwerden nach einer OP mal direkt und nicht per Telefon mal ins Auge schauen sollte. Oder klar kommunizieren, dass der Patient sofort zum nächsten Augenarzt vor Ort gehört.
    Ich selbst hätte zuviel Angst, eine OP so weit weg machen zu lassen, OP-Nachsorgen sind fast nicht möglich.

    Ich mache das auch freundlich, aber auch bestimmt, dass ich Kunden bei bestimmten Problemen zum Arzt schicke. Es ist für sie einfacher, in der Apotheke zu fragen, ob es eine Lösung für ihr Problem gibt. Arztbesuche sind zeitlich nicht so flexibel und mit Wartezeit verbunden. Die meisten kommen dann mit Rezept zurück.

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  3. Die beliebten Interaktionsgeschichten haben wir auch einige. Die Bearbeitung findet oft im Hintergrund statt, der Kunde bekommt es meistens nicht mit.
    Den Leuten ist oft nicht klar, das sich Medikamente nicht immer vertragen oder auch richtig Problemem machen können. „Ich nehme doch nur die kleine Dosis mit 5mg/ die nehme ich doch nur einmal am Tag…“ Es ist für sie nicht ersichtlich, dass sie bei einem neuen Medikament vom Herz-/ Haut-/ Lungenarzt dort sagen sollen, dass sie schon bei einem Lungen-/ Herz-/ Hautarzt in Behandlung sind und was sie für Medikamente bekommen.
    Mit den Medikationsplänen, die die Ärzte jetzt mitgeben müssen in Dtl. ist es besser geworden, am Rest arbeiten wir.

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  4. Das geht aber noch schlimmer. Ich habe vor 2 oder 3 Jahren mal einen Patienten mit Erektionsstörungen, der gerne Viagra o.ä. haben wollte, aber vom Kardiologen leider auch schon ein Nitrat hatte, zuerst zu besagtem Kardiologen und später zum Urologen geschickt. Ergebnis:
    1. Der Kardiologe meinte, das Nitrat sei nicht ersetzbar und in seinem Alter sollte sich der Patient (Ende 60!) nicht mehr so viele Gedanken über Sex machen (sic!).
    2. Der Urologe verschrieb sofort Cialis, obgleich das zusammen mit Nitraten auch nicht geht und obwohl er in meiner Überweisung auch eine komplette Mediliste erhalten hatte.

    Manchmal bin ich einfach nur müde…

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    1. Dass Nitrate allgemein schwere Interaktionen mit PDE-5-Hemmern allgemein auslösen, sollte eigentlich in Fachkreisen bekannt sein. Man staunt immer wieder. Ist aber auch bei Beratungsnachfragen bei mir zu diesem Thema (und auch bei Neuverordnungen, wo ich noch einen Schlag zu dem neuen Medikament zwecks Erwartungshaltung und Wirkungsweise erzähle) immer eine Gesprächsnotiz. Sehr schön zu schauen dazu ist der Film „Was das Herz begehrt“ (aus dem Jahr 2003!) mit Jack Nickolson als älterer Herr und Sildenafil-Nutzer, der mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wird und von „Dr.“ Keanu Reaves behandelt werden soll – nein, nicht mit einem Bleistift!

      Wie wäre es als Alternative mit SKAT? So ein Kartenspiel wäre ja sogar ein flotter Dreier… ;-)

      Scherz beiseite, ich meine natürlich dei Schwellkörper-Autoinjektionstherapie. Ich gebe zu, „erotisch“ ist diese (Selbst)Behandlung im Augenblick der Applikation sicher nicht. Aber sie funktioniert sehr gut, und es gibt (meines Wissens nach) auch keine Interaktionen mit Nitraten. Es gibt Interaktionen u.a. mit einigen Antikoagulantien, aber die sollten bei passender Überwachung eigentlich in den Griff zu bekommen sein…

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  5. @ knick:

    Genau sowas hatte ich ja im Kopf, als ich die Überweisung zum Uro gemacht habe; die kennen ja die diversen Alternativen doch viel besser als unsereiner. Und genau so war auch meine Fragestellung im Konsil.

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