Das geht auch nicht, weil ….

Wir haben da einen Kunden / Patienten. Er – schon etwas älter- ist einer unserer Schmerzpatienten. Er hat seit einem Unfall vor vielen Jahren Rückenprobleme. Dazu kommt noch, dass er Asthma hat (behandelt), eine Menge Allergien und sonstige Unverträglichkeiten, Schilddrüsenprobleme (in Behandlung), Bluthochdruck (in Behandlung)… und habe ich schon erwähnt, dass er ziemlich Übergewichtig ist? Das ist den Rückenschmerzen sicher auch nicht zuträglich, aber das ist manchmal, wie das Huhn und das Ei … was war wohl zuerst da? Wegen der Rückenschmerzen kann er nicht mehr so laufen und bewegt sich weniger, dadurch nimmt man eher zu, dadurch schmerzt der Rücken mehr, dadurch läuft man weniger … jedenfalls um zum Huhn und dem Ei zurückzukommen: jetzt hat man beides.

Das alles macht ihm das Leben sicher nicht einfacher, aber ich finde, dass er sich selber das persönlich noch schwerer macht, als nötig. Er …. hat entweder enorm Pech, oder er verbaut sich seine Möglichkeiten selber … manchmal auch eine Kombination von beidem. Er selber sieht sich wahrscheinlich vor allem als Opfer der Umstände.

Zum Beispiel mit seinen Ärzten. Nach über 20 Jahren hat er … schon einige durch. Es ist nicht mal so als würde er Ärztehopping machen, oder viele Ärzte gleichzeitig besuchen. Gut, er hat mehrere gleichzeitig. Im Moment zwar nur einen Lungenspezialist und einen Hausarzt … aber in den letzten Jahren war es so, dass er zu einem Arzt gegangen ist, bis der ihn irgendwo enttäuscht hat, zum Beispiel, indem er keine Hausbesuche machte, oder ein Rezept für einen Vorbezug lange nicht ausgestellt hat, oder nicht zurückgerufen, oder … was auch immer. Wenn so etwas vorfiel, suchte er den nächsten Arzt auf. Und zum alten ging er dann nie mehr.

Jetzt aber haben wir das Problem, das die Rückenschmerzen stark zunahmen. Der Hausarzt wollte ihn an einem Schmerzspezialisten verweisen, nur … an welchen? In unserer Stadt hat er so ziemlich alle durch: „Zu dem gehe ich nie mehr! Der hat mir damals…!“, Und ins Spital am Berg „kann“ er auch nicht mehr „Da haben sie nach dem Unfall meinen Rücken vollkommen vermurkst, da bekommt mich keiner mehr hin!“ und Spital beim See? „Nein, da arbeitet Doktor … den will ich auch nicht mehr sehen, da kann ich nicht mehr hin!“.

Es ist nicht so, dass die Ärzte unfähig wären, aber er überwirft sich mit ihnen aus -meist persönlichen Ursachen. Oder solchen, die er als Problem ansieht – und für andere wäre das wahrscheinlich keins. Wie auch immer, das Ergebnis ist dasselbe: Kann nicht, geht nicht, nicht möglich … an allen Ecken.

Am Ende hat er nach langem Suchen dann einen Termin in einem Spital bekommen, das etwa 1 Stunde entfernt liegt.

Nur … wie kommt er da hin?

„Meine Tochter kann mich nicht bringen, die hat kein Auto“

„Mit dem Zug fahren kann ich auch nicht – ich kann keine so hohen Stufen steigen und eine Stunde sitzen … das kann ich auch nicht?“

„Ein Taxi will ich auch nicht nehmen, das wäre wahnsinnig teuer und … eigentlich wäre es gut, wenn ich liegen könnte“

Pharmama: „… Was ist mit einem Krankenwagen? Da könnten sie liegen?“

„Nein, das geht auch nicht.“

Pharmama: „Wieso?“ (Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bereue diese Frage noch)

„Einmal, da habe ich auf der Autobahn gesehen, wie ein Krankenwagen einen Unfall hatte … und seitdem bekommt man mich in die Dinger nicht mehr rein.“

Pharmama: „Finden sie nicht, dass sie sich da selbst etwas zu sehr einschränken?“

Am Ende hat es dann doch irgendwie funktioniert. Ein Freund hat ihn hingefahren mit dem Auto – und vorher haben wir seine Schmerzmedikamente bis an den Anschlag ausgereizt …

14 Kommentare zu „Das geht auch nicht, weil ….

  1. Gesundheit und Krankheit müssen also wirklich ganzheitlich in den Blick genommen werden! Ich weiß nicht mehr, wer gesagt hat „Höre auf deinen Körper, solange er noch flüstert – denn wenn er erstmal schreit, kann es schon zu spät sein.“

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  2. Bei dem Begriff „ganzheitlich“ krieg ich immer Pickel. Normalerweise leitet „ganzheitlich“ irgendein esoterisches Geschwurbel ein.

    Tatsächlich neigen Patienten mit chronischen Schmerzen zu Depression und wenn man die nicht angeht, dann kann man auch die Schmerztherapie nicht effektiv angehen.

    Wahrscheinlich hat B.Cottin genau das gemeint, das ist mir klar.

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  3. Köstlich, so geht es mir bei dem Begriff ganzheitlich auch immer.

    Man sollte meinen, dass mittlerweile alle Ärzte wissen, was Co-Analgetika sind und wann man sie sinnvollerweise verschreibt.

    Mein Eindruck ist aber, dass nur spezialisierte Schmerztherapeuten, Palliativmediziner und der Akutschmerz Dienst im Krankenhaus regelmäßig davon Gebrauch machen. Dort funktioniert es sehr gut und die Ergebnisse sind immer positiv.

    Oft mache ich es so, dass ich Ärzten vorsichtig Vorschläge mache, es kommt viel positive Resonanz, wenn der betreffende Arzt offen für neues ist und sich von einem Krankenpfleger etwas sagen lässt.

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  4. ältere Menschen sind doch leider öfters so, oder? Meine Schwiegeroma jedenfalls geht wegen starker Schmerzen (mit 84 darf man das… o-Ton „Werd du mal erst 84“) zum Arzt und lässt sich ein Schmerzmittel geben. Zuhause liest sie die Packungsbeilage und weigert sich dann, die Tabletten zu nehmen… ^^

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    1. Das macht man nicht nur mit 84. Ich hab mal mit einer Kolik, wo ich vor Schmerz kaum noch Luft gekriegt habe den ärztlichen Notdienst gerufen. Er kam, und die erste Frage die er stellte war „haben sie irgendwas gegen die Schmerzen genommen?“. Ich war so daneben vor Schmerz dass ich nichtmal auf die Idee kam, ne Paracetamol könnte da helfen. Er ließ mir dann noch irgendwas starkes da, ich hab aber dann lieber nur eine normale Schmerztablette genommen.
      Manchmal ist man einfach ein bisschen bescheuert.

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  5. Ein sehr schönes Beispiel dafür, was „ganzheitliches“ Heilen tatsächlich ist. Ganzheitliches Heilen ist etwas, was man bei TCM, Schüssler-Salzen, Hömoö- und Osteopathie schliesslich auch nicht bekommt!

    Sondern: Man kann sich immer fragen – fehlt in deinem Leben irgendetwas? Ging es dir gut, als du noch viel draussen warst und deinen Körper gefordert hattest? Ging es dir gut, als du den Ärzten noch vertrauen konntest? Ging es dir gut, als du noch auf Ratschläge anderer Leuten gehört hattest?

    Und schon hat man, ohne dass das Gesundheitswesen belastet wurde, ein paar Ansätze.

    Der Mann aus der Geschichte weiss sehr wohl, was ihm gut tun würde. Auch wenn sein Rücken vom Unfall vielleicht permanent geschädigt ist – ein paar Schritte aus seiner verkalkten und eingerosteten Denkweise heraus kann jeder Mensch tun.

    „Die Leute, die etwas tun wollen, finden oft einen Weg dazu. Die Leute, die nichts tun wollen, finden oft eine Entschuldigung dafür.“

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    1. Was, hat er denn gesagt, was ihm gut tun würde? Es ist doch für den Gesprächspartner sehr schwierig, von all den „Nein“ auf ein passendes gegenüberstehendes „Ja“ zu kommen und das versuchsweise vorzuschlagen..

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      1. …mit jedem Satz verrät er sich! Er ist in einer permanenten Abwehrhaltung und gibt niemandem seine Hand, damit man ihn zu einer Lösung führen könnte. Bloss an einem Punkt müsste er „Ja!“ sagen, und schon kann man ihm behutsam die Augen öffnen für den Weg, den er tagtäglich geht. Er wird dann bald merken, dass sein bisheriger Weg eine Kreisbahn war.

        Ich kenne auch solche Leute und kann Pharmama gut nachfühlen.

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  6. Neben allem bereits von den anderen Kommentatoren angesprochenen und auch dem Tenor von Pharmamas Text: Wer von seinen starken Rückenschmerzen keine Linderung oder Abhilfe bekommt, kann mit der Zeit schon von einer aufreibenden Suche nach dem „richtigen Arzt“ und der „richtigen Behandlungsmethode“ berichten. Davon und wie sie letztlich selbst ihre Rückenschmerzen ohne Medikamente beenden konnte,schreibt Frau Dr. Helga Pohl. Das Buch würde ich in jede Apotheke stellen.

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  7. Hallo Pharmama, das ist jetzt ein bisschen OT, aber kannst Du mal was zum Thema Schmerzmittelabhängigkeit bringen?
    Ein Freund von mir rennt bei der kleinsten Kleinigkeit zum Arzt und nimmt gegen jede Befindlichkeitsstörung immer sofort irgendwelche Medikamente. Jede Woche hat er irgendwas neues, worüber er sich beklagt.
    Mich würde interessieren, ab wann es anfängt, gefährlich zu werden und Richtung Suchtverhalten geht.

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