Der „grosse Bruder“ ist gestorben

Zuerst hoffte ich auf einen (schlechten) Aprilscherz, als wir in der Apotheke die Nachricht bekommen haben: Grand Frère gibt’s nicht mehr. Leider ist das so – ein weiterer Ausdruck der missgeleiteten Sparpolitik.

Dabei war das eine gute Regelung – und wirtschaftlich. Das sollen wir ja doch sein als Apotheke.

Kleine Erklärung: „Grand frère“ = Grosspackung eines SL-Produkts. Wir haben die SL (Spezialitätenliste), auf ihr befinden sich die Medikamente, die von der Grundversicherung der Krankenkasse übernommen werden müssen. Was da nicht drauf steht, kann ein NLP sein – ein nicht-listen-pflichtiges Medikament, das von der Zusatzversicherung übernommen werden kann. Wenn man denn eine hat.

Es gibt Medikamente bei denen nur die kleine Packungsgrösse auf der SL ist – aber die grössere Packung ist NLP.
Das ist doof – ABER bisher war es so, dass die Krankenkasse die grössere Packung auch in der Grundversicherung übernommen hat – WENN die grosse Packung wirtschaftlich günstiger war. Beispiel: Wenn die kleine Packung mit 20 Stück 3 Franken kostet und die grosse Packung mit 100 Stück 10 Franken kostet (weniger als 3×5=15), dann wurde auch die grosse Packung von der Krankenkasse bezahlt. Das ist dann ein sogenannter Grand Frère – unser Computer zeigte uns das auch an, man musste aber gut aufpassen, wenn es da Preiserhöhungen gab (bei NLP gut möglich und öfter) und das auf einmal nicht mehr stimmte.

Nun also nicht mehr. Es schreibt die Ifak:

Wir müssen Sie darüber informieren, dass die Concordia per 1. April 2019 Grand-Frère Medikamente sowie dazugehörende LOA-Leistungen nicht mehr aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergüten wird.Die Forderung, nur noch die Artikel welche in der SL gelistet sind aus der OKPzu vergüten, wurde ausdrücklich vom BAG verlangt. Daher ist stark anzunehmen, dass sich weitere Krankenversicherer diesem Vorgehen anschliessen müssen.

Und weil die Zusatzversicherung an sich schon selber bestimmen kann, was und wieviel sie von den NLP-Medikamenten bezahlt, ist möglich (wahrscheinlich), dass auch sie das nicht mehr so übernimmt

Uns bleibt also in der Apotheke nichts übrig als neu nur noch die kleinen (teureren) Packungen abzugeben – ausser wir riskieren Rückweisungen sowohl von der Grund- als auch der Zusatzversicherung. Ich bin sicher, das kommt bei den Patienten nicht gut an.

Ich habe mich mal an einer Zusammenstellung versucht – bitte ergänzt sie in den Kommentaren, wenn Euch noch eines einfällt.

  • Aerius 90 Tabletten -> Aerius 50 Tabletten
  • Becozym 50 Tabletten -> Becozym 20 Tabletten
  • Excipial U Hydrolotio 500ml -> Excipiel U Hydrolotio 200ml
  • Excipial U Lipolotio 500ml -> Excipiel U Lipolotio 200ml
  • Livial 3×28 Tabletten -> Livial 28 Tabletten
  • Perenterol 20 Tbl -> Perenterol 10 Tbl
  • Perenterol 20 Beutel -> Perenterol 10 Beutel

Passend dazu übrigens auch die Meldung, dass die Krankenkassen Colchicin Tabletten auch nicht mehr übernehmen möchte. Die Tabletten mit dem Gift der Herzzeitlosen gegen Gicht ist ein Medikament das es in der Schweiz gar nicht mehr vertrieben wird – aber noch häufiger gebraucht wird. Bisher haben sie das übernommen, der Wirkstoff steht noch in der ALT. Also, wenn wir in der Apotheke selber wieder Colchicin Kapseln herstellen würden (was nicht ganz ungefährlich ist und ungleich teurer), das würden die Krankenkassen dann bezahlen.

Vergleichsweise:

  • Import Colchicin 0.5mg/Tbl aus Deutschland oder Frankreich – 50 Tabletten kosten etwa 30 Euro (max).
  • Eigenherstellung Kapseln in der Apotheke: 50 Stück (grob überschlagen): Colchicinum Ph. Eur 25mg plus Füllstoff z.Bsp Mannitol ca. 2.0.- * / Pulver mischen: 12.- / Absieben 12.- / Abfüllen bis 25 Kapseln 24.- / je weitere 25 Stück 12.- / Kapseln 2×25 Stück 2×1.7 = 65.40.-
  • * Preis laut ALT – und es bleibt noch offen, wo ich das in der gewünschten Reinheit überhaupt herbekomme. Das letzte Mal habe ich nichts passendes gefunden …

11 Kommentare zu „Der „grosse Bruder“ ist gestorben

  1. Wenn man angesichts solcher Entscheide immer noch keinen Zweifel an der Kompetenz der Verantwortlichen hat, ist einem echt nicht mehr zu helfen. So allmählich hoffe ich ernsthaft, dass Herr Berset nach der Nationalratswahl im Oktober abgelöst wird…

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  2. Da blickt ja bald Kein Mensch mehr durch….und das ist sicher auch das Ziel.
    Entnervte Selbstzahler zu erzeugen.
    Und unter dem Aspekt der Müllvermeidung gar nicht erst verständlich. Da brauchen wir bestimmt noch mehr Verpackungs- und Beilagenzettelmüll……
    Wegen der hohen Verpackungskosten wird dann in Kürze alles teurer….
    Ein Unding!!!! Und so oft kommt es vor!!!

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    1. Also:
      Colchysat 30ml -> im Handel (16,49€)
      Colchysat 100ml -> Außer Vertrieb seit 10.10.2017 als Reaktion auf mehrere Vergiftungsvorfälle wegen Überdosierung in den Jahren zuvor, und man deshalb eine Packungsgrößenbeschränkung einführt.
      Colchicum Dispert überzogene Tabletten 20 St. -> im Handel (19,25€)
      Colchicum Dispert überzogene Tabletten 30 St. -> im Handel (23,38€)
      Colchicum Dispert überzogene Tabletten 50 St. -> im Handel (27,70€) – zur Zeit nicht (mehr?) lieferbar, es liegt derzeit noch keine Außer-Vertrieb-Meldung vor, das Produkt ist also ohne Schwierigkeiten vertreibbar, so man es hat.

      Der Witz ist halt, dass die Packungsgrößen begrenzt wurden (bzw. werden sollen) sowie die Maximaldosierung via diverser „Rote-Hand-Briefe“ (Brandmeldungen des Gesundheitsministeriums und/oder des Herstellers) die Maximaldosierungen nach unten angepasst wurden als Reaktion auf verschiedene Überdosierungs-Nebenwirkungs-Meldungen. Ich habe übrigends mehr als einen Arzt dabei, der auf die Packungsgrößenreduzierung reagiert, in dem er einfach MEHR kleinere Packungen verordnen. Also statt 1x100ml eben 3x30ml. Die Patienten interessieren sich dann gewöhlich auch einen feuchten Kehricht um die Ernährungsproblematik, solange sie genug Colchicin essen ist ja der Gicht-Anfall nicht das dicke Problem. Und mir braucht niemand erklären, dass ein Patient mit einem Gicht-Anfall pro Monat (!) leben müsste, wenn er denn etwas daran ändern WOLLTE. Aber da kannst Du als Apotheker labern, bis Dir die Zunge vor Trockenheit im Mund zu Staub zerfällt, wenn der fragliche Mensch nicht hören will, ist es halt vergebene Liebesmühe.

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      1. Nachtrag:
        Eine Packung ist bei reiner „Außer-Vertrieb“-Meldung (ohne expliziten Rückruf) noch bis zum Ablaufdatum oder bis 2 Jahre nach der AV-Meldung abgegeben werden.

        Im Falle der „Colchysat Lösung 100ml“-Packung wäre die Packung damit bis zum 09.10.2018 belieferbar gewesen (in Deutschland).

        Zum 26.11.2018 wurde die Gesamt-Dosis Colchicin bei EINEM Gicht-Anfall übrigends auf 12mg reduziert (=Colchysat: 24ml bzw. 600 Tropfen; =Colchicum dispert 24 Tabletten);
        zum 19.02.2019 wurde die Gesamt-Dosis Colchicin bei EINEM Gicht-Anfall dann auf 6mg reduziert (=Colchysat: 12ml bzw. 300 Tropfen; =Colchicum dispert 12 Tabletten).
        Eine AKUTE Anpassung des Beipackzettels wurde nicht vorgesehen, weder beim ersten noch beim zweiten Anlauf.

        Zynisch betrachtet ist die Anpassung des Beipackzettels aus meiner Sicht auch überflüssig, da es die „Dauergebrauchs-Kandidaten mit ärzticher Subventionierung“ sowieso nicht interessiert. Da hilft nur als Schritt 1 Haarausfall, Schritt 2 schwerer Durchfall und Schritt 3 Multiorganversagen zur Einsicht. Allerdings muss man dann erst mal auf Colchicin als Ursache kommen, denn genau diese Menschen antworten auf die Frage, was sie sonst so an Medikamenten einnehmen mit einem wehementen „Nichts!“ Achso, für Colchicin gibt es meines Wissens nach weder ein Antidot (auch keinen Antikörper), und dialysierbar ist es m.W.n. auch nicht. Vergiftungen sind also ein echtes Problem.

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  3. Wie rechtfertigen die diese unsinnige Entscheidung?
    Wollen die Entscheidungsträger die Prämien jetzt so weit in die Höhe treiben, bis wir aus schierer Verzweiflung das KVG abschaffen?

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  4. Was für ein Irrsinn… Wen wunderts, dass die Gesundheitskosten explodierenden… Sicher nicht der einzige Grund, aber es wäre zumindest ein kleiner und machbarer Schritt, etwas Gegensteuer zu geben, wenn die günstigeren Grosspackungen übernommen werden würden. Wer hat denn was von solch paradoxen Vorschriften…? Also ausser der Pharmaindustrie natürlich….

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