Richtwerte ändern, Patientenzahl erhöhen? Über die Blutdrucksenkung.

In den USA gibt es neue Richtlinien zu den Blutdruckwerten. Bisher – und hierzulande bleibt das wohl zumindest bis Sommer 2018 auch noch so – gelten Werte ab 140/90 als Hypertonie, also Bluthochdruck. Die USA passen dies nun weiter nach unten an, auf 130/80.

Das finde ich jetzt nicht wirklich gelungen und eine fragliche Entscheidung.

Es hilft auch nicht viel, das quer durch die Presse zu ziehen, dass sie damit jetzt faktisch Millionen bis anhin als gesund geltende Menschen zu Kranken deklarieren, die behandelt werden müssen.

Bluthochdruck ist ein Problem das gesundheitliche Folgen hat: es steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Herzinfarkte, Niereninsuffizienz und Demenz. Senkt man den Blutdruck, so senkt man das Risiko für diese Erkrankungen und auch die Chance daran zu sterben.

Das ist nachgewiesen für die bestehenden Zielwerte von <140 systolisch und <90 diastolisch.

Klar: so Zielwerte wurden einmal festgelegt und sind insofern willkürlich: 139 ist noch „gut“ und 141 ist dann schon „schlecht“?

Aber meines Wissens nach ist es nicht in jedem Fall besser, den Blutdruck noch weiter zu senken.

Blutdruckmessung

Da gab es vor ein paar Jahren diese grosse „Sprint“-Studie, die das untersucht hat – und sie sind zu gemischten Ergebnissen gekommen. Eine Intensive Behandlung (mit mehreren Wirkstoffen zur Erreichen der Ziele eines Blutdrucks von unter 120) ergab zwar tatsächlich weniger Todesfälle, allerdings haben sie für die Studie eine Menge Patienten ausgeschlossen – sie gilt nicht für Diabetiker und Leute die schon einen Schlaganfall hatten, Patienten mit Nierenproblemen oder deren Bluthochdruck auf einem konkretem Leiden wie Niereninsuffizienz oder Schlafapnöe beruht. 80% der Leute in der Studie hatten auch keinerlei Herz-Kreislauf-Krankheiten, was nicht den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Am meisten haben da diejenigen profitiert, deren Ausgangswert schon unter 132 lag. Es gab nicht signifikant weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte – aber die Zahlen der Leute mit Herzschwäche ging zurück und auch der Todesfälle aus diesem Grund. Das wundert nicht, da die bei der Studie verwendeten Wirkstoffe auch Mittel waren, die gegen Herzinsuffizienz wirken … also war die gesenkte Sterblichkeit vielleicht nicht mal auf die Senkung des Blutdrucks, sondern auf die Verhinderung der Herzschwäche zurückzuführen.

Dann ist da das Problem, dass wenn man den Blutdruck auf unter 120 senkt, vermehrt (als Nebenwirkung) ein Absacken auf gefährliche Werte droht. So intensiv therapierte Patienten wurden häufiger ohnmächtig und sind umgefallen, der Elektrolythaushalt wird gestört und es gab mehr Fälle von Nierenversagen – deshalb muss bei einer solch intensiven Therapie auch wesentlich intensiver überwacht werden – die Leute müssen häufiger zum Arzt zur Kontrolle.

Der Effekt mag sich lohnen – bei einer bestimmten, definierten Patientengruppe mit hohem Risiko: höheres Alter und kardiovaskuläre Risiken. Und das mit der Herzinsuffizienz ist sicher zum im Auge behalten. Aber – eben, das gilt nicht für alle Patienten. Wenn, müssen da nicht nur neue Richtwerte her, sondern neue Richtlinien.

Besonders toll finde ich die Diskussionen, die ich in der Apotheke habe bei manchen Leuten, die den Blutdruck messen kommen und bei denen er zu hoch ist. Gerade letzthin wieder. Bitte: Mit einem Blutdruck von 170 zu 110 sollte ich nicht diskutieren müssen, dass die Werte ja „willkürlich“ seien und ja sowieso immer weiter gesenkt werden um „Gesunde zu Kranken zu machen“ damit die Pharmaindustrie davon profitiert. 170 und 110 ist ZU HOCH! Da sind wir so jenseits von den Grenzwerten, das ist nicht diskutabel, das ist so. Bitte gehen Sie doch (gleich) zum Arzt, damit der sich das ansieht.

Bei der letzten Person mit der ich diese Diskussion hatte, fand ich speziell spannend, dass sie das offenbar nicht nur mir nicht geglaubt hat, sondern auch 2 meiner Kolleginnen nicht, die ihr den Blutdruck im Abstand weniger Tage gemessen haben – sehe ich schön an dem Büchlein, wo wir die Werte für den Patienten eintragen. Werte bei allen vorigen Messungen zu hoch. Kommentare, die einen baldigen Arzttermin empfehlen. Und der Kommentar, sie vor der Messung mindestens 10 Minuten sitzen zu lassen. Ja – weil sie sonst die hohen Werte nicht glaubt. Besser geworden ist es (trotzdem) nicht von alleine. Also habe ich jetzt die Diskussion noch mal mit ihr. Hoffentlich geht sie jetzt.

Denn unabhängig davon, wie die Richtwerte sind: Viele Leute wissen nicht mal, dass sie einen erhöhten Blutdruck haben (merkt man ja häufig auch nicht) und sind deshalb nicht in Kontrolle beim Arzt. Und der kann am besten entscheiden, wie (und ob) er das therapiert.

7 Kommentare zu „Richtwerte ändern, Patientenzahl erhöhen? Über die Blutdrucksenkung.

  1. Ich arbeite schon seit vielen Jahren mit einem Grenzwert von 150/90mmHg (das war mal die offizielle WHO-Grenze im Jahr 1998). Bislang recht erfolgreich.

    Ansonsten sollte man nie vergessen, dass ca. 15% aller Menschen einen sogenannten „Weisskittel-Hypertonus“ haben, d.h. dass ihre Werte in der Arztpraxis immer deutlich höher (bis zu 50%) sind als zuhause.

    Beim Blutdruck sollte man den Ball also immer schön flach halten.

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    1. Ja, das kenne ich. Als ich mit Hellp im Spital lag haben die Pfleger und Ärzte fast Anfälle bekommen. Blutwerte waren ja sowieso schlecht aber ich die sonst so bei rund 100/65 liege war auf einmal bei 160-170/??. Nachdem ich dann mal die Ärzte und Pflege überreden konnte das Messgerät im Zimmer zu lassen und über 30min zu messen waren die Werte „nur“ noch bei 145-150/?? und ich durfte im Super Regiospital bleiben und musste nicht ins Unispital.. Dafür und für die gute Behandlung bin ich bin heute sehr dankbar.

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  2. Ohne Medikamtation lag mein Blutdruck bei durchscnittlich 140/95.
    Ich habe solange auf eine Medikametation verzichtet, bis ein
    minimaler Rückfluss in der Mitralklappe diagnostiziert wurde.
    Danach wollte ich auf eine Behandlung zum schonen der Herzklappen nicht mehr verzichten.
    Jetz liege ich bei 130/70 und möchte den oberen noch etwas weiter senken.
    Trotzdem deke ich dass man es bei einenem Blutdruck im Grenzbereich ohne weitere Diagnosen es zunächst mal mit Ernärung und Sport probieren sollte.

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  3. Unschön und für Betroffene schlecht verständlich ist auch die Tatsache dass man mit einem auf normale Bereiche gesenkten Blutdruck gerade zu Anfang der Therapie öfters unter Schwindel und Unwohlsein zu leiden hat weil der Körper sich doch schon etwas auf die schädlichen Werte eingestellt hat.
    Das senken ist weiterhin gesund, fühlt sich aber subjektiv erstmal wie eine Verschlechterung für die Beiden an.

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  4. Beim Cholesterin sinken die Grenzwerte ja auch schon seit über 10 Jahren kontinuierlich. Honi soit, qui mal y pense.

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  5. Grundsätzlich befürworte ich, wenn Grenzwerte überprüft und/oder gesenkt werden. Das hat man immer schon so gemacht, ist gerade in der Medizin eine echt blöde Argumentation. Ich verstehe aber auch, was Der Flo meint. Vielleicht stecken die Konzerne dahinter, die die Studien aus Verkaufszweck finanzieren? Gott sei Dank gibt es ja noch ein paar Methoden wie Bewegung und Abnehmen, um auch ohne Medikamente was dagegen zu tun. Wie sicher sind denn eigentlich die Geräte zum Selbermessen und bei welchen Werten lohnt es sich, als braver Patient den Arzt aufzusuchen?

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    1. „Vielleicht stecken die Konzerne dahinter, die die Studien aus Verkaufszweck finanzieren?“

      Auch, aber nicht nur. In den Fachgeselschaften tummeln sich leider auch sehr viele subjektiv fehlverstandene Forscher, die meinen, die Menschheit zu ihrem Glück zwingen zu müssen.

      „Gott sei Dank gibt es ja noch ein paar Methoden wie Bewegung und Abnehmen, um auch ohne Medikamente was dagegen zu tun.“

      Das ist bei Bluthochdruck sowieso schon seit über 20 Jahren state-of-the-art: wenn die gemessenen Werte nicht akut bedrohlich sind, soll der Patient erst einmal zum „lifestyle-change“ ermutigt werden (also mehr Sport, andere Ernährung, Stressbewältigung, Entspannungsverfahren usw.). Nach 3 Monaten sollte der Fortschritt evaluiert werden, wenn dann die Werte immer noch zu hoch sind, soll man es NOCHMAL 3 Monate lang mit „lifestyle-change“ versuchen. Erst dann ist gemäss best-practice eine Verordnung von Antihypertensiva überhaupt statthaft.

      Leider sieht die Realität oft anders aus. Viele Patienten haben schlichteg keinen Bock, an ihrem Lebensstil etwas zu verändern. Die wollen lieber eine Pille. Da laufen natürlich alle ärztlichen Bemühungen komplett ins Leere.

      „Wie sicher sind denn eigentlich die Geräte zum Selbermessen und bei welchen Werten lohnt es sich, als braver Patient den Arzt aufzusuchen?“

      Die Geräte sind seit über 10 Jahren ziemlich gut geworden. Alles, was seit 2005 gekauft wurde (egal ob Handgelenks- oder Oberarmgerät), ist recht gut brauchbar.

      Den Arzt sollte man aufsuchen, wenn man über mehrere Wochen Werte über 150/90mmHg oder über mehr als eine Woche Werte über 170/100mmHg oder akut (inkl. Nachmessung nach 30 Minuten) einen Wert über 200/120mmHg gemessen hat. (Es reicht dafür stets die Überschreitung von einem der beiden Werte.)

      Nota bene: das sind keine OFFIZIELLEN Guidelines, sondern nur meine PERSÖNLICHEN Richtwerte. Haben sich aber schon seit vielen Jahren sehr bewährt.

      Gefällt 1 Person

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