Geduldsprobe mit Beruhigungsmitteln

In die Apotheke kommt am Morgen die ältere feine Dame (äfDa) von der ich weiss, dass sie zunehmend Gedächtnisprobleme hat. Wir sind deshalb bei ihr doppelt vorsichtig und schauen genau, was sie bezieht. In der letzten Zeit ist es häufiger vorgekommen, dass sie manches in kurzen Abständen einkauft – das meiste davon ungefährlich wie zum Beispiel Druckschutzpflaster für die Füsse. Die Vermutung liegt nahe, dass sie vergessen hat, dass sie es schon zu Hause hat … oder sie hat sie verloren. Obwohl man sie gelegentlich darauf schon aufmerksam gemacht hat, meint sie im Normalfall: „Doch, doch, das habe ich aufgeschrieben, das brauche ich!“

Das andere was sie in letzter Zeit häufiger holen kommt ist Melisana. Das ist ziemlich alkoholhaltig, da werden wir dann noch aufmerksamer und vorsichtiger.

Heute auch wieder. Sie zeigt mir einen Zettel, auf den sie aufgeschrieben hat: Melisana, klein und 2 ausgeschnittene Packungen, eine für Similasan Schlafstörungen Tabletten und eine für Similasan Beruhigungstabletten. Homöopathie.

Ich bringe ihr erst Mal die beiden Similasan Packungen.

äfDa: „Ich brauche die zum Beruhigen am Tag über, welche nehme ich da?“

Pharmama: „Die Beruhigungstabletten, die bei Schlafstörungen sind bei Problemen beim Schlafen.“

äfDa: „Dann reicht es ja, wenn ich da nur die einen nehme?“

Pharmama: „Ja – ich denke, die dürften auch etwas helfen, falls sie Schlafprobleme haben.“

äfDa: „Die habe ich nicht. Also gut, nur die Beruhigungstabletten. (Schaut auf den Zettel) Und dann brauche ich noch eine kleine Packung Melisana.“

Ich hole ihr die kleinste Flasche, die wir hier haben. Wie gesagt, sie hat das in der letzten Zeit schon gelegentlich geholt und es war eigentlich immer diese Packungsgrösse.

äfDa: „Gibt es die nicht in kleiner? Ich möchte etwas für die Handtasche und die ist etwas gross.“

Ich schaue im Computer.

Pharmama: „Ja, es gibt noch eine 20ml Grösse, die habe ich aber nicht hier.“

äfDa: „Oh, die haben Sie nicht hier. Kommt sie morgen?“

Pharmama: „Ich habe die normalerweise nicht an Lager. Aber wenn Sie wollen kann ich sie Ihnen bestellen.“

äfDa: „Ah, ja. Ich hätte gerne die kleinere Grösse.“

Also bestelle ich die und drucke einen Bestellzettel für uns und einen Abholschein für sie aus, den ich ihr hinlege.

Pharmama: „Die Melisana wird schon heute mittag nach 3 Uhr hier sein.“

äfDa: „Oh, das ist gut.“

Pharmama: „Darf es sonst noch etwas sein?“

Sie schaut die ausgeschnittenen Packungen an und die eine, die auf dem Tisch liegt.

äfDa: „Sollten das nicht zwei Packungen sein?“

Pharmama: „Wenn Sie es nur für tagsüber brauchen, dann reicht es Ihnen, wenn sie nur die Beruhigungstabletten nehmen.“

äfDa: „Ah, das ist gut, dann spare ich ja ein bisschen. … Und das Melisana?“

Pharmama: „Das habe ich Ihnen bestellt auf heute mittag.“

äfDa: „Ah, die kommen erst heute mittag?“

Pharmama: „Ja, die kleine Packung musste ich bestellen. Wenn Sie die grössere wollen, die hätte ich gerade hier.“

äfDa: „Nein, ich möchte schon gerne die kleine Packung.“

Pharmama: „Ist es ok, wenn Sie es jetzt schon bezahlen? Dann können Sie es einfach irgendwann abholen.“

äfDa: „Ja, das ist gut.“

Ich gebe die bestellte Melisana und die Similasan Beruhigungstabletten in die Kasse ein – und halte auch auf unserem Bestellzettel fest, dass es schon bezahlt wurde. Gerade sie vergisst gelegentlich (manchmal auch gleich nach dem einstecken), dass sie es schon bezahlt hat.

Sie bezahlt, wobei sie sehr vorsichtig und bewusst das Geld abzählt.

Sie steckt die Tabletten ein, den Kassabon.

Sie nimmt die andere Packung Melisana in die Hand, die ich noch auf dem Tisch liegen hatte, auf der Seite.

äfDa: „Und was ist mit diesen?“

Pharmama: „Das ist die grosse Packung, die bleibt hier.“

äfDa: „Aber ich möchte doch noch eine Packung Melisana.“

Pharmama: „Sie meinen zusätzlich zu der kleinen Packung, die ich Ihnen auf heute mittag bestellt habe?“

äfDa: „Die haben Sie nicht hier?“

Pharmama: „Nein, die kleine Packung habe ich nicht hier, nur die grössere.“ (eigentlich noch mindestens 2 andere, grössere Grössen, aber noch mehr will ich sie wirklich nicht verwirren und dass sie noch mehr nimmt auch nicht unbedingt).

äfDa: „Ich bräuchte sie aber gleich. Dann nehme ich doch die grössere Packung.“

Wenn die Frau nicht durchgehend so nett bleiben würde, wäre das wahrscheinlich der Punkt, wo ich die Geduld anfange zu verlieren. Aber … ihr kann man nicht böse sein. Sie kann nichts für ihre Gedächtnisprobleme und sie macht sie auch nie aktiv zu den Problemen von den anderen Leuten. Wir sehen in so Situationen häufig, dass die Leute dann aggressiv werden und die Umwelt beschuldigen, wenn etwas nicht gleich klappt oder sie etwas vergessen haben.

Pharmama: „Möchten Sie die grosse Packung zusätzlich zu der kleinen Packung, die ich bestellt habe oder anstatt?“

äfDa: „Ich glaube ich habe zu Hause noch eine kleine Packung, da kann ich ja etwas umfüllen.“

Pharmama: „In Ordnung, dann nehme ich die kleine Packung aus der Bestellung?“

äfDa: „Ja, das ist gut.“

Ich lese die grosse Packung ein und ziehe den Preis der kleinen Packung ab und nehme die kleine Packung wieder aus der Bestellung.

Sie zahlt … in der gleichen aufwändigen Weise wie vorhin.

Dann sieht sie die ausgeschnittenen Packungen: „Was ist mit diesen?“

Pharmama: „Die haben sie schon bezahlt und eingesteckt.“

äfDa: „Ah, ja. Danke vielmals.“

Sie steckt auch die Melisana bei sich in die Tasche.

äfDa: „Dann ist das alles?“

Pharmama: „Ich denke ja.“

äfDa: „Muss ich nicht noch zahlen?“

Pharmama: „Nein, das haben Sie schon.“

äfDa: „Dann muss ich nicht mehr vorbeikommen heute mittag?“

Pharmama: „Nein, Sie haben jetzt alles.“

äfDa: „Das ist gut, ja. Guten Tag noch!“

Und geht.

Eeeendlich :-) Ich mag sie, aber das braucht sooo viel Geduld.

20 Kommentare zu „Geduldsprobe mit Beruhigungsmitteln

  1. Sie versucht sich ja zu helfen mit dem Einkaufszettel etc. Traurig wenn man so vergesslich wird. Und du brauchst da echt Geduld! Danke dafür, es könnte jeden von uns treffen!

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  2. Kann man ihr nicht sofort einen kleinen Klebezettel (vielleicht mit Datum, falls sie das noch unter Kontrolle hat?) auf die jeweilige Packung kleben, oder sonstwo auf ihren Einkaufszettel?
    Und dann auch gleich den Zettel, „die kleine Packung Melisane ab 15.6. um 15 Uhr in der Apotheke abholen.“

    Das klingt nach einem soooooo netten alten Mütterchen, und doch sooooo anstrengend… seufz
    Wer weiß, wie wir in dem Altern drauf sind?

    Hut ab vor Ihrer Geduld… und viel Kraft für Ihre weitere Geduld bei den nächsten Malen…

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      1. … und „Alter“ schreibt sich natürlich ohne „n“…

        Ich geh jetzt mal eine Runde Brille putzen…

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    1. Dafür haben wir ja den Abholzettel. Und ja: bei ihr schreibe ich auch drauf, wann das da ist.
      (Schieb die Fehler auf die Autokorrektur, die ist bei mir auch häufig Schuld).

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    1. Ich hoffe, dass ich selbst nicht auch so vergesslich werde. Ich klopf schnell mal auf Holz: klopf, klopf, klopf. – Herein!

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      1. Warum hoffen – wer hofft, der wird enttäuscht. Nehmen wir am besten die Realität so, wie sie kommt als perfekteste Lösung, dann gibt es auch kein Leid, weil niemand der Meinung ist, es müsste anders kommen.

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  3. Oha, ja so geht das los. Da braucht man Geduld, aber sowas lernt man. Mir haben Zivildienst + 5 Jahre Rezeption im Altenpflegeheim dabei sehr gut geholfen.
    Sie kann sich wenigstens aktuell noch einigermassen selbst versorgen, auch wenn sie ab und zu etwas doppelt kauft (passiert mir auch o_0). Hoffen wir, dass sie das noch länger kann. Wenn die gewohnte Tagesstruktur erst einmal wegfällt, dann geht es nach meiner Erfahrung leider meist schnell bergab :-(

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  4. Stell dir das zu jedem Thema und Anlass und jeden Tag sowie gern auch in der Nacht vor. Dann kannst du ermessen, wie sich das Leben mit einem Demenspatienten abspielt… Zum Verzweifeln.

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  5. Du machst das aber sehr gut. Das ständige wiederholen ist zwar nervig für uns, aber dieses „hab ich ihnen doch gerade erklärt“ und co verwirrt die Leute noch mehr. Und gerade diese Sprüche frustrieren sie, weswegen sie dann schnell ungehalten werden (es gibt natürlich auch Demente, die auch so aggressiv werden, aber auch hier ist es Frust… nur eben, weil sie es selbst merken).

    Demenzerkrankungen sind aber eine üble Sache.Mir tun die Leute einfach schrecklich Leid und hoffe aufrichtig, dass niemand im direkten Umkreis davon betroffen wird. Die Stärke das auszuhalten habe ich nämlich nicht.:/

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    1. Wenn es jemand wichtiger ist, ist oft automatisch viel mehr Stärke da, von der man zuvor gar nichts wusste.

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  6. Ich habe mal einen älteren Herren beim Käsekauf beobachtet, da hatte die Verkäuferin bereits die Ware für ihn vorbereitet, er kam wohl jeden Tag um den Käse für den Tag zu kaufen.
    „Hallo, ich brauche Leerdamer.“
    „Schön, dass Sie da sind. Ich habe den Leerdamer für Sie vorbereitet!“
    „Acb wie nett, Gouda hätte ich gern!“
    „Hier bitte! leerdamer und Gouda.“
    „Ja… Jetzt fehlt nur noch der Leerdamer!“
    auf den Käse deut„Hier haben Sie Leerdamer und Gouda.“
    „Ach wie gut. Wissen Sie, meine Frau mag Leerdamer sehr ist aber nicht gut zu Fuß, deswegen kaufe ich das immer. Da fällt mir ein ich brauche noch Leerdamer…“

    Die Verkäuferin war wirklich herzig, hat aber etwas länger gedauert :)

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  7. Im Zusammenhang mit der Geduldsprobe – aber nicht im Zusammenhang mit vergesslichen Patienten / Kunden – hier mal ein Statement von Horst Evers:
    www_youtube.com/watch?v=JwmqKa1KWlc

    Auf dass bei mir nie jemand die Paracetamol-Tabletten von gestern verlangen möge…

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  8. oh, liebe Pharmama, für so viel Geduld bist Du reif für den Friedensnobelpreis :-D
    Eines ist mir aufgefallen: das mit dem Umfüllen ist doch nicht so unproblematisch (wegen des Verfalldatums), od’r?

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