Patientengeheimnis und Abgabe an Minderjährige

Die absolute Horrorversion – wenigstens nicht bei mir in der Apotheke passiert – und das kann es auch nicht. Jedenfalls nicht so. Das erkläre ich noch.

Sehr grosse, sehr gut frequentierte Apotheke zur Mittagszeit.

Die Frau um die 40 stürmt in die Apotheke. In der Hand eine Packung Norlevo (das ist hier die Pille danach).

Frau (aufgebracht): „Das hier  …“ (wedelt mit der Packung) „habe ich im Zimmer meiner minderjährigen Tochter gefunden! Das hat ihre Preisetikette drauf! Ich will wissen, ob sie das von Ihnen bekommen hat!“

Apotheker: „Das … darf ich ihnen nicht sagen.“

Frau: „Aber Sie können das sicher nachschauen. Sie heisst …“

Apotheker: „Das könnte ich nachschauen, aber das werde ich nicht.“

Frau: „Was? Wieso? Ich bin die Mutter! Ich muss das wissen – und sie ist minderjährig! Sie ist 15! Sie hätten das ohne meine Erlaubnis nicht abgeben dürfen!!“

Apotheker: „Das stimmt so leider nicht. Falls wir ihrer Tochter etwas abgegeben haben, fällt das unter das Patientengeheimnis. Auch wenn ihre Tochter noch nicht 18 ist.

Und die Pille danach dürfen wir auch an unter 16 jährige abgegeben werden, soweit die Jugendliche mündig ist im Sinne von: versteht um was es geht und wie man das anwendet.“

Die Frau hat dann noch einen Riesen-Aufstand gemacht, aber nichts weiter erreicht.

Übrigens, das kann bei mir nicht passieren. Nicht, weil ich das nie an unter 16jährige Abgeben würde (ich würde, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind). Ich gebe bei der Pille danach meist den Prospekt der Firma mit. Eventuell auf Wunsch noch die Packungsbeilage. Die ganze Packung nicht (aus Gründen wie dem oben) und die Pille selber lasse ich grad in der Apotheke schlucken.

Das Ganze erinnert an die gerade aktuelle Situation in Deutschland, wo die Apothekerin einer minderjährigen (13jährigen) ein Schlankheitsmittel verkauft hat. Das ist unglücklich, speziell aus dem Grund, da hier in der Packungsbeilage steht, man soll das nicht an Kinder oder Jugendliche abgeben, die sich noch im Wachstum befinden. Bei Norlevo steht: „Über die Anwendung bei Jugendlichen unter 16 Jahren liegen nur limitierte Daten vor. Bei Kindern vor der Menarche besteht keine Indikation.“ – also kein Verbot hier.

Mich würde ja interessieren, wie das Mädchen denn ausgesehen hat – die Apothekerin hat sich inzwischen mehrfach entschuldigt, sie ‚habe nicht realisiert, wie jung das Mädchen gewesen ist.‘ Das kann ich mir tatsächlich noch vorstellen, dass die älter ausgesehen hat. Dann hat sie es wohl auch gezielt verlangt …

 

Bei dem Mittel handelte es sich um Formoline – Nahrungsfasern, die im Darm Fett zurückhalten sollen und so eine fettarme Diät unterstützen.  Ein nicht-apothekenpflichiges Präparat, das man auch im Supermarkt oder im Versandhandel hätte bekommen können. Das ist auch nicht wirklich ein gefährliches Mittel – die Wechselwirkungen, die das machen *kann“ hätte man auch bei einer Faserreichen Diät.

Die Mutter scheint sich, wenn man das liest, aber fast mehr darüber aufzuregen, dass es 1. ein Abnehmpräparat war … die Apothekerin also die überzogenen Schönheitsvorstellungen der Öffentlichkeit unterstützt und dass sie 2. das in der Apotheke verkauft hat. Da werden schliesslich höhere Erwartungen angesetzt.

Erinnert sich noch jemand an Alli? Das war auch toll, die Leute dazu Zwangs-zu-beraten.

10 Kommentare zu „Patientengeheimnis und Abgabe an Minderjährige

  1. Schade dass wir nie erfahren wie die Mutter mit der Tochter geredet hat. Vorwurfsvoll, dass diese schwanger war (Zu doof zum verhüten war / Sex hatte…pfui pfui pfui) oder traurig, dass diese kein Vertrauen zu ihrer Mutter hatte ? Ich befürchte ersteres…

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  2. Genau auch mein Gedanke, nicht in der Apotheke rumschreien, sondern überlegen was da verpasst wurde, sollte die Frau!
    Abgesehen davon haben Jugendliche wirklich ein Recht auf Privatspäre…und die Mammas auch.
    Ich will und muss nicht alles wissen!
    Kondome im Tochterzimmer, sie war da so ca 17-18, brachten mich beim Abfall leeren etwas in Stress. Nicht weil ich es nicht wusste oder etwas dagegen hatte, aber ich wollte es weder sehen noch anfassen, grrrr.
    Die Söhne waren und sind da zum Glück diskreter ;-)

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  3. Naja im Falle des Schlankheitsmittels verstehe ich die Mutter. Der allgemeine Schlankheitswahn („Magersucht als der neue Lifestyle“) muss von Apotheken, Pharmaunternehmen und Apothekenrundschauen nicht noch aktiv gefördert werden.

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    1. Wenn Du den verlinkten Artikel liest: zumindest die Apotheke hat das auch nicht. Die haben letztes Jahr gerade mal 2 Packungen Formoline verkauft.

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  4. Pah, hohe Erwartungen an die Apotheke … leider torpedieren viele Apotheken sich da mittlerweile selbst. Schlankheitspräparate sind da ein Tropfen auf dem heißen Stein.
    Die Apotheke, die im Supermarkt nebenan mit der „ausgebildeten Homöopathin“ wirbt und meiner Frau bei schwangerschaftsbedingtem Harnstau ungefragt Schüsslersalze empfohlen hat, habe ich ja schon einmal erwähnt. Die Apothekerin, die ich später darauf angesprochen habe, wie das denn bitte pharmakodynamisch laufen soll, schien nicht einmal das Problem zu verstehen (geschweige denn beantwortete sie die Frage).
    Den Vogel hat aber kürzlich eine andere Apotheke abgeschossen: Ständerweise Homöopathieliteratur und – festhalten – ein Buch zur homöopathischen Behandlung von Borreliose, die aus einer Übersäuerung resultieren soll. Ich frage mich, ob das nicht ein Fall für die Kammer ist …

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      1. Die Homöopathie wird nicht nur durch die Apothekenpflicht geadelt, sondern auch dadurch, dass sich viele Ärzte (und Apotheken) diese „Therapierichtung“ auch noch auf das Schild oder das Schaufenster schreiben. Es gibt auch viele Ärzte (und Apotheker), die an Homöopathie „glauben“ (ich denke: „Glauben“ ist der richtige Begriff). Geadelt wird sie weiterhin dadurch, dass nahezu fast alle Krankenkassen homöopathische Behandlungen – zumindest bei Kindern – bezahlen.

        Die Begründung der Petition ist aber in einigen Dingen sachlich falsch. Daher wird sie keinen Erfolg haben.

        • Zunächst mal handelt es sich um Lactose (Milchzucker) und nicht um Saccharose (Haushaltszucker) oder um Xylitol als „Trägerstoff“.
        • Weiterhin sind die Dinger rechtlich kein Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, sondern sie sind klar im Arzneimittelgesetz als Arzneimittel definiert.
        • Bei Arzneimitteln jetzt auch noch eine Nährwertkennzeichnung einzuführen ist übertrieben.
        • Die Begründung, dass Globulis Karies verursachen oder zu Adipositas führen, halte ich für komplett an den Haaren herbeigezogen, da man das Zeugs ja nun wirklich nur in wenigen Gramm konsumiert.

        Was ich meine: DIe Petition ist mit durchaus sachlichen Argumenten komplett angreifbar.

        Ich bin auch kein Freund von Homöopathie oder anderen nichtevidenzbasierten Therapierichtungen. Ich denke aber, dass das Zeugs in der Gesellschaft so stark etabliert ist, dass es schwierig ist, dagegen sachlich und argumentativ vorzugehen.

        Aber wenn man schon eine Petition gegen Homöopathie macht, dann sollte man die richtigen Gründe vorbringen:
        * Homöopathie ist nicht evidenzbasiert.
        * Es gibt keine aussagekräftigen Studien, die ihre Wirksamkeit belegen (trotz 200jähriger „Erfahrung“ und zahlreichen Studien, die ihre Wirksamkeit belegen sollten, dies aber nicht konnten).
        * Homöopathie schadet! Immer dann, wenn eine Mutter ihr Kleinkind mit Globulis schon im Kindesalter konditioniert, dass man gegen jedes Wehwechen gleich ein Arzneimittel (Globulis) schlucken muss. Immer dann, wenn eine krebskranke Frau ihre Medikamente absetzt und es lieber mal mit den nebenswirkungsfreien Globulis probiert. Immer dann, wenn Homöopathen in Dritte-Welt-Ländern Malaria, Typhus und AIDS mit Globulis behandeln.

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        1. Wie Cora schon sagt (und Wikipedia bestätigt) sind Globulis meist aus Saccharose.

          Davon ab ist die Petition auch nicht ganz erst zu nehmen, „Erfolg“ wird sich da sicher keiner einstellen.
          Aber wenn Fakten allein genügen würden gäbe es die Homöo heute gar nicht mehr. Schon vor 100 Jahren war etlichen klar das es Mumpitz ist. Und heute wird es von Leuten verkauft und angepriesen die es eigentlich besser Wissen müssten…

          Also werfen wir die sachlichen Argumente über Bord und zieht mal einen übers Leder. Gegen die Homöo hilft es kein Stück, aber man fühlt sich danach wieder ein kleines bisschen besser.

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          1. Cora und Du haben Recht: Die Dinger sind wirklich aus Saccharose. Ich weiß auch nicht, wie ich auf Milchzucker kam.

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  5. Globuli (nach dem HAB) sind auf Saccharosebasis, die homöopatischen Tabletten auf Lactosebasis … hat zwar mit der Petition nichts zu tun, ist aber nicht unwichtig für die vielen Lactose-Intoleranten, die deswegen Globuli bevorzugen (oder gleich die – allerdings alkoholhaltigen – Dilutionen). Unabhängig von jeder evidence based pharmacy.

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