Nicht so bekannte lebensrettende Massnahmen: Nichts Verkaufen

„Könntest Du mal kommen?“ Fragt mich meine Pharmaassistentin. „Der Mann hat Schmerzen und würde gerne mit der Apothekerin sprechen.“

Der Mann ist ein älteres Exemplar um die 50 oder 60? schwierig das Alter zu schätzen, da er etwas verbraucht aussieht, ziemlich teigige Gesichtsfarbe mit schwarzen Poren – was wohl an extensivem Rauchen liegt, dem Geruch nach, der mir entgegenschlägt.

Pharmama: „Wo haben Sie denn Schmerzen?“

Mann: „Im rechten Unterschenkel“

Pharmama: „Seit wann?“

Mann: „Seit heute Nacht. Es fühlt sich an wie Muskelkater, aber ich habe keinen Sport gemacht.“

Pharmama: „Haben Sie es angeschlagen oder sonst eine Ahnung, woher es kommen könnte?“

Mann: „Nein. Das kam einfach so.“

Pharmama: „Darf ich mir das mal ansehen?“

Er krempelt seine Hose nach oben. Das Bein ist blass aber sonst unauffällg.

Pharmama: „Dürfte ich das andere Bein auch noch anschauen?“

Er guckt etwas verduzt, krempelt aber auch dort die Hose hoch.

Pharmama: „Hmmm – ihr rechtes Bein ist etwas dicker als das linke. Das ist das, das schmerzt, ja?“

Mann: „Ja.“

Pharmama: „Werden die Schmerzen schlimmer oder besser, wenn sie laufen?“

Mann: „Schlimmer“

Also zusammenfassend: Wir haben einseitige Schwellung, muskelkaterähnliche Schmerzen, besser beim Nichtstun. Und er raucht. Das ist ganz schlecht für die Durchblutung.

Mein Verdacht ist, dass es eine Thrombose ist. Ein Blutgerinsel das ein Gefäss im Bein verschliesst.

Pharmama: „Sind sie in letzter Zeit viel gesessen, zum Beispiel beim Autofahren?“

Mann: „Nein, gesessen nicht, aber ich bin viel gelegen.“

Pharmama: „Und Sie rauchen?“

Mann: „Ja.“

Pharmama: „Ich vermute sie haben eine Thrombose – ein Blutgerinsel im Bein. Das sollten sie sofort von einem Arzt anschauen lassen, denn wenn es eines ist, ist das gefährlich. Es kann sich lösen und ins Herz wandern.“

Mann: „Oh, ich habe schon Herzprobleme.“

Pharmama: „Dann … würde ich ihnen vorschlagen, dass sie möglichst gleich zum Arzt gehen.“

Er (deutlich nicht überzeugt): „Hätten sie mir nicht eine Sportsalbe oder so etwas gegen die Schmerzen?“

Pharmama: „Wenn es das ist, was ich sehr vermute, nützt das nichts. Darum mache ich das lieber nicht. Gehen sie doch vorher zum Arzt.“

Mann: „Und was ist mit Aspirin? Ich habe gehört das ist Blutverdünnend?“

Pharmama: „Ja schon, aber das ist zum Vorbeugen … wenn sie schon ein Blutgerinsel haben, reicht das nicht. Das braucht anderes – vom Arzt!“

Mann: „Ich nehme dann doch noch eine Sportsalbe.“

Pharmama: „Das würde nur die Zeit verlängern, bis sie zum Arzt gehen. Und das ist wichtig. Wissen Sie, ich sorge mich wirklich um ihr Wohl und ich würde mich viel besser fühlen, wenn sie das machen. Heute noch.“

Mann: „In Ordnung.“

Der Mann humpelt raus.

Ich bin nicht überzeugt, dass er geht.

20 Minuten später steht vom Kaufhaus nebenan eine Mitarbeiterin bei mir in der Apotheke.

Kassiererin leicht panisch: „Jemand ist bei der Kasse bewusstlos geworden!“

Ich packe mir Handschuhe und Traubenzucker und spurte los.

Bei der Kasse liegt – nein sitzt inzwischen schon wieder … der Mann von vorhin.

„Oh, hallo!“ sage ich, etwas überrascht. Ich hätte nicht gedacht ihn so schnell wieder zu sehen.

„Was ist passiert?“

Mann: „Mir ist schwarz vor den Augen geworden … da bin ich wohl umgefallen.“

Ich erinnere mich noch daran, dass er gesagt hat „Herzprobleme“, darum wende ich mich an den Angestellten, der den Mann hält und frage: „Sie haben die Sanität angerufen?“

Er: „Ja“

Bis die kommen bleibe ich bei ihm und unterhalte ich mich ein bisschen mit ihm. Er ist zu schwach zum aufstehen, aber er möchte gerne zahlen und seine Tasche mitnehmen. Im Einkaufswagen sehe ich … eine Sportsalbe.

Aha.

Offenbar war ich (immer noch) nicht drastisch genug und da hat er gedacht, wenn er die Salbe nicht von mir bekommt, dann halt woanders.

Nun ja – Jetzt wird er einen Arzt sehen.

Als die Sanität kommt um ihn ins Spital mitzunehmen, weise ich sie deutlich auf das mit dem Unterschenkel hin. Nicht, dass das neben den anderen Sachen vergessen geht.

 

Es vergehen 3 Wochen. Oft weiss ich ja nicht, was später passiert, aber in diesem Fall …

Der Mann kommt wieder in die Apotheke. Und auch wenn ich mich besser an die Geschichten, die Fälle und die Umstände von etwas erinnere als tatsächlich an die Gesichter und Namen – ihn erkenne ich wieder.

„Oh – Hallo! Wie geht es ihnen?“ frage ich.

Er: „Dank Ihnen gut. Das Bein … es ist gut, dass sie ihnen das gesagt haben. Man hat einen Arterienverschluss gefunden. Etwas länger und ich hätte mein Bein wahrscheinlich verloren.“

Oh. Wow.

Er zeigt mir noch die Narbe, wo sie das Bein aufgeschnitten haben. Die ist ziemlich beeindruckend und nicht so schön getackert. Aber: er lebt noch. Und ist zufrieden damit. Und … er riecht einiges weniger nach Rauch.

19 Kommentare zu „Nicht so bekannte lebensrettende Massnahmen: Nichts Verkaufen

  1. Da haben Sie mal gepflegt jemandem das Leben gerettet, auch wenn er es nicht so recht wollte. Sehr schön, schade, dass er nicht eher mal zum Arzt ging, hätte ja nicht so dramatisch werden müssen.

    Wenn ich das richtig sehe, hat er sich aber nichtmal wirklich bedankt dafür, oder? Schon arm…

    Like

    1. Oh doch: er IST zurückgekommen und hat sich bedankt. Ansonsten wüsste ich nicht mit Sicherheit, wie es ausgegangen ist.

      Like

  2. Gut gehandelt. Bei der Beschreibung dachte ich auch sofort: Das Bein ist er wohl los. Aber anscheinend kann eine Thrombose im Bein doch gut ausgehen.

    Like

      1. Dort, wo Pharmama gut sichtbar ist. An der Aussenfassade ihrer Apotheke. ;)

        „Hoch soll er kleben“, das ist mein langjähriger Hörfehler während dem Kindergarten und den ersten Schuljahren.

        Ich hatte keine Ahnung, wie jemand „hoch“ leben kann. Wolkenkratzer? Berghütte?

        Like

      1. Oh entschuldige :S ich meinte eine Arterielle Verschlusskrankheit, auch Schaufensterkrankheit genannt. Wenn die armen Arterien so verstopft sind, dass bei Anstrengung garnix mehr geht.

        Like

  3. Tja, mehr als „bittebitteBITTEmitZuckerobendrauf gehen Sie zum Arzt!“ kann man meist nicht tun. Aber ich kenn das von mir selber, bei anderen rate ich „oft geh zum Arzt, lass das anschauen“, aber bei mir selber denke ich oft das wird schon gehen…

    Like

    1. Ich glaube, es gibt manche Menschen, die denken : wenn es wirklich schlimm ist, dann würde sie (er) mich *zwingen* zum Arzt zu gehen … Oder die Ambulanz rufen.
      Aber ich kann niemanden zwingen. Und ich habe schon Leute den Sanis von der Trage springen sehen, weil die partout nicht mitwollten. Auch das darf man. Auch wenn es wirklich nicht gut ist für einen …

      Like

  4. Für den Mann ist ja zum Glück alles noch mal gut ausgegangen. Aber eine Anmerkung hätte ich noch aus medizinscher Sicht: bei Verdacht auf eine Thrombose bitte bitte NICHT zum Arzt schicken! Das verwundert jetzt vermutlich, denn was ich eigentlich sagen will: Es ist wichtig, dass der Patient nicht selbst dorthin läuft sondern er muss mit dem Krankenwagen gebracht werden. Das Risiko, dass sich die Thrombose durch die Bewegung löst ist nicht gerade unerheblich und so mancher Patient ist schon auf dem Weg zum Arzt an einer fulminanten Lungenembolie gestorben! Also bei so einem hochgradigen Verdacht wie hier wenn möglich immer transportieren und nicht selber laufen lassen.

    Gruß Tamani

    Like

  5. Darf die Krankenkasse dann eigendlich die Zahlung bei Folgebehandlungen einstellen? Ich meine das ist ja als würde man sich den Arm mit Absicht absägen und dann der Kasse sagen und nu zahlt mal für die Prothese.

    Like

    1. Ich denke nicht, dass das ganz vergleichbar ist. Dasmit dem Arm selber abhauen wäre ja Absicht – und das nicht zum Arzt gehen wegen etwas entweder Uneinsichtigkeit oder .. Dummheit.

      Like

        1. Richtig .. nur bezahlt die Krankenkasse (und damit eigentlich alle) heute noch für ein paar absichtliche Dummheiten mehr: den Spitalaufenthalt von Koma-saufern und solchen, die bei doofen Mutproben oder gefährlichem „Sport“ verletzt wurden, den Lungenkrebs vom Raucher (könnte ja auch von was anderem kommen), usw.
          Woo die Grenze ziehen?

          Like

          1. Ich habe kein Problem damit für Sportler und auch Extremsportlern zu bezahlen obwohl ich eher unsportlich bin.

            Bei Rauchen und Saufen siehts bei mir hingegen anders aus. Da ist meine Meinung ziemlich extrem. Da für mich Freiheit aber ein hohes Gut ist sitz ich da immer in der Zwickmühle.

            Like

Was meinst Du dazu? (Wenn Du kommentierst, stimmst Du der Datenschutzerklärung dieses Blogs zu)

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..