Ein Schema ist nicht genug

Wird der Ton noch rauer? Ich weiss, es geht gegen Jahresende, die Weihnachtsvorbereitungen stressen eine Menge Leute und dann haben wir zusätzlich gerade mehr Kranke und ein dadurch ziemlich überlastetes Gesundheitssystem. Das trifft auch uns in der Apotheke, trotzdem versuchen wir nicht nur den Betrieb aufrecht zu erhalten, sondern auch weiter unsere Kunden und Patienten (und *innen) kompetent und freundlich zu bedienen.

Aber oy – können die grad aggressiv tun. Hier der Bericht, wie wir eine „gute Stammkundin“ (Selbstbezeichnung der Frau) verloren haben:

Sie kam mit so einem Rezept in die Apotheke:

Einfach, nicht? Auf dem Rezept steht 1 OP Plenvu gemäss Anleitung. Plenvu-Rezepte (und ähnliche Produkte) sehen wir in den letzten Monaten wieder häufiger. Es ist ein starkes Abführmittel, das vor Magen-Darm-Spiegelungen genommen wird, um den Darm vollständig zu entleeren. Nachdem so Untersuchungen Monatelang wegen Covid verschoben wurden, besteht offenbar ein gewisser Nachholbedarf. Das Medikament wurde übrigens aufgestempelt – ich schätze Mal, die wollen selbst das bisschen nicht X Mal am Tag schreiben müssen.

Soweit, so ungewöhnlich. Als Dosierung steht auf dem Rezept nur „nach Schema“ – dazu gibt jede Klinik noch ein (paar) Blätter dazu, auf denen steht, wie man sich auf die Darmspiegelung vorbereitet und wann und wie das Plenvu anzuwenden ist. Diese Schema können unterschiedlich sein, ein Beispiel findet sich hier:

Vielleicht bemerkenswert: Das ist eine Kurzanleitung. Ich hab da schon deutlich längere gesehen.

Die Pharmaassistentin, die das Rezept entgegennimmt und ausführt, holt das Plenvu aus der Schublade (zum Glück ist DAS aktuell grad wieder mal lieferbar), gibt es unter der Patientin, die auch schon mal hier war im Computer ein und fragt sie, während sie an der Dosierungsetikette ist, ob sie das Schema vom Spital erhalten hat.

„Ja, das habe ich hier.“ sagt die Patientin – und zieht 2 A4-Blätter aus der Handtasche und legt sie vor die Pharmaassistentin.

PA: „Oh, das ist gut. Sie nehmen das Medikament so, wie darauf beschrieben. Ich schreibe auf die Dosierungsetikette nur „nach Schema“.“

„Was? Nein – schreiben sie mir bitte auf die Dosierungsetikette genau, wie ich das anwenden muss!“

PA: „Ah – das geht nicht, das ist viel zu viel … und sie haben hier ja das Schema, schauen sie, das …“

…. Und die Patientin reisst ihr das Rezept aus der Hand, greift sich das Anwendungsschema und stürmt mit einem lauten „Einfach unverschämt! Sie haben eine Stammkundin verloren!“ aus der Apotheke. Zurück bleibt eine verdutze Pharmaassistentin, die zu mir kommt und erzählt, was passiert ist.

Nicht schlecht, denn ein paar Minuten später läutet das Telefon – und daran ist die Patientin von vorher:

„Sie sind die Apothekerin, ja? Ich muss ihnen erzählen, wie ihre Angestellte mich vorhin behandelt hat!“

Also höre ich zu, wie sie sich über die furchtbare Behandlung durch meine Pharmaassistentin beklagt. Ihr Hauptreklamationsgrund: „Verweigerte Beratung!“ – kein Wort von der Etikette. Jedenfalls ist sie jetzt in eine andere Apotheke gegangen, wo sie das Medikament bekommen und man sie beraten hätte – und „nur damit sie es wissen- ich komme nie mehr zu ihnen. Sie haben eine Stammkundin verloren!“

Ich warte einen Moment, um sicher zu sein, dass sie ausreden konnte und hole Luft um mein Bedauern auszudrücken, da … hängt sie einfach auf.
Ok.

Dabei hätte ich diese Dosierungsetikette noch so gerne gesehen.

Das falsche Rezept

Ältere weibliche Patientin (Typ feine Dame) am Morgen in der Apotheke mit Überzeugung: „Der Arzt hat für mich gestern ein Rezept hierher gefaxt!“

Ich frage nach ihrem Namen und gehe es suchen. Erst im Computer (wir geben alle Faxe ein), dann ausserhalb. Ich finde nichts.

„Tut mir leid, das letzte Rezept, das ich von ihnen habe ist vom … (2 Wochen vorher). Soll ich ihn anrufen und nachfragen?“

Dame: „Er hat gesagt, es wird gleich gefaxt, das war gestern.“

Pharmama: „Vielleicht hatte er nicht die richtige Nummer? Ich kann rasch nachfr …“

Dame: „Ich habe ihm gesagt, wo er es hinfaxen soll!“

Pharmama: „Ja, manchmal ist das halt so. Ist es okay, wenn ich ihn anrufe, oder wollen Sie später noch einmal wieder kommen?“

Dame: „Wieso später? Das sollte schon hier sein.“

Pharmama: „Dann rufe ich im mal an, wo das bleibt.“

Dame: „Wenn Sie müssen.“

Pharmama: „Nun, ich muss nicht, Sie können das auch machen.“

Dame: „Das habe ich … gestern.“

Pharmama: „Na dann.“

Ich gehe und telefoniere.

Praxisassistentin: „Ah ja, das Rezept für Frau … wir haben mit dem Namen keine Apotheke gefunden und da haben wir es an die (andere Apotheke) gefaxt.“

Pharmama: „Okay. Wir sind im Telefonbuch drin, aber manchmal gibt es Verwechslungen. Könnten Sie es an uns faxen? Unsere Faxnummer ist …“

Praxisassistentin: „Ich mach das gleich.“

Und das tut sie. Innert Minuten ist der Fax da. Ich suche die Medikamente aus der Schublade zusammen (etwas gegen Verstopfung und Magnesium … in dem Fall wohl auch um den Stuhl weicher zu machen) und gehe damit nach vorne zur Kundin.

Pharmama: „Hier ist der Fax. Sie hat es an die falsche Apotheke geschickt. Das sind die Medikamente, die auf dem Fax stehen.“

Die Dame schaut die Medikamente an, dann meint sie: „Das ist ja das, was ich schon hatte! Er hat doch am Telefon gesagt, er wolle mir Tropfen aufschreiben … oder jedenfalls etwas anderes. Das hier hat nichts gebracht.“

Ich schaue in ihr Dossier. „Ja, das ist tatsählich das, was sie schon hatten … genauer gesagt … (Blick auf’s Rezept), das ist sogar das identische Rezept. Das Datum ist von 2 Wochen (schlecht entzifferbar). Da haben sie mir wohl das falsche geschickt. Ich rufe besser noch einmal an.“

Ich mache das. Die Praxisassistentin entschuldigend: „Oh, ja, da habe ich das alte Rezept erwischt. Das neue klebt direkt dahinter. Ich faxe es ihnen.“

„Danke.“

Das neue Rezept kommt. Auf dem Rezept Metamucil – das sind Ballaststoffe. Schon gegen Verstopfung, aber nicht Tropfen. Je nun.

Ich gehe damit zur Patientin.

Pharmama: „Ich habe jetzt das richtige Rezept bekommen. Aber .. da sind keine Tropfen drauf. Das hier ist ein Pulver zum einrühren in Flüssigkeit. Schon gegen Verstopfung … allerdings wirkt das nicht gleich sofort.“

Dame: „In Ordnung, ich hatte etwas derartiges schon. Nehmen wir halt das. Und sonst hat er nichts verschrieben?“

Pharmama: „Nein, das ist alles.“

Ich schreibe das Mittel an, erkläre es, gebe es ab.

2 x Telefonieren für ein Rezept an dem wir etwa 3 Franken verdienen….

Noch nicht ganz fertig.

Am Nachmittag kommt die Patientin zurück. Meine Kollegin ist inzwischen an der Arbeit – weil sie nichts finden, ruft sie mir zu Hause an.

„Frau … ist wieder hier. Sie hat gesagt, dass laut Dir noch etwas für sie auf der Seite ist. Tropfen oder so …“

Pharmama: „Nein. Sie hat alles bekommen, was der Arzt verschrieben hat. Wenn sie etwas anderes erwartet … jetzt soll sie selber noch einmal bei ihm anrufen.“

Ein wirkliches Problem

… hatte wohl die Person, die meine Suchergebnisse an einem Tag „so“ aussehen liess:

prontolaxProntolax ist ein (heftigeres) Abführmittel mit dem Wirkstoff Bisacodyl, das wie das Original Dulcolax – gerne und häufig verlangt wird von Leuten, die davon abhängig sind.

Das ist ein echtes Problem, dessen Ursache recht vielschichtig ist. Wie wird man von einem Abführmittel abhängig? Grob gesagt: indem man es nicht so einsetzt, wie es gedacht ist.

Gedacht ist es zur kurzfristigen Behandlung von Verstopfung – also wenn man mehrere Tage (oder definitionsgemäss weniger als 3 x die Woche) auf die Toilette kann. Die Ursachen so einer Verstopfung können vielfältig sein. Hauptursache sind Ernährungsumstellung, zu wenig Ballaststoffe, zu wenig Bewegung, Flüssigkeitsmangel … manchmal ist es auch „selbstgemacht“, wenn man (absichtlich) den Stuhl zurückhält – zum Beispiel, weil es schon schmerzhaft war weil er verhärtet war.

Tatsächlich gebraucht wird es für Verstopfung … die aber durchaus auch nur „gedacht“ sein kann: „Ich konnte gestern nicht auf die Toilette. Ich gehe sonst immer täglich!“ … Einnahme des Mittels führt aber zu einer ziemlich kompletten Leerung des Darms – und dann kann es ein paar Tage dauern, bis der wieder aufgefüllt ist und man wieder Stuhldrang hat. Mit der Konsequenz, dass eine Menge Leute dann denken: „Ich bin schon wieder verstopft. Ich muss noch einmal (weiter) das Mittel nehmen.“ Und so kommt man in einen Teufelskreis. Dazu kann der Darm mit der Dauereinnahme träger werden. Man muss noch mehr nehmen, dass es wirkt.

Darum weisen wir bei der Abgabe auch darauf hin. Siehe auch der Post: Liebe Bisacodyl-abhängige Kundin …

Natürlich sagt die Vertreterin, die das Mittel in der Apotheke vorstellt, wie ungefährlich der Wirkstoff ist. Dass auch Daueranwendung (bei der vorgegebenen Dosierung) gar kein Problem sei. Und dass das Mittel nicht Abhängig macht.

„Ja *lach ich* (etwas zynisch)- der Wirkstoff selber kann ja nichts dafür, dass er missbraucht wird. Aber abhängig werden die Leute trotzdem.“ Wegen ihren falschen Vorstellungen, dem nicht „bestimmungsgemässen Gebrauch“ – und dem sich daraus entwickelnden Teufelskreis.

Und dann sollten wir auch diejenigen nicht vergessen, die Bisacodyl (und Verwandte) nur nehmen, weil sie das Abführmittel als Mittel zum Gewichtsverlust ansehen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um junge Frauen, die dann genau die gleichen Probleme bekommen, wie die älteren (Frauen und Männer), die das ursprünglich wirklich gegen Verstopfung genommen haben.

Ganz so ohne gesundheitliche Folgen ist die Langanwendung (und natürlich Dosis-steigerung) von Abführmitteln auch nicht. Lange Zeit kann das relativ gut gehen, das heisst, man merkt nichts. Aber man verliert mit dem flüssigen Stuhl und den Mitteln auch Elektrolyte (Salze, die man für die Körperfunktionen braucht). Zu wenig Kalium beeinträchtigt die Herzfunktion, zu wenig Natrium führt zu einer Gegenregulation, das Aldosteron steigt, das führt zu Bluthochdruck, Muskelkrämpfen und Schmerzen, Kopfschmerzen, Nervenlähmungen, Sehproblemen etc.

Wie kommt man davon wieder los? Die Antwort ist: mit Schwierigkeiten. Man muss umsteigen auf (erst sehr hohe Dosen) osmotisch wirksame Abführmittel (Bittersalz, auch Mittel wie Transipeg) eventuell zusätzlich mechanische Abführmittel (welche mit Glycerin oder CO2) und eventuell sogar Lactulose. Dazu Änderung der Umstände wie die Essgewohnheiten, mehr Bewegung. Und dann monatelanges langsames Abbauen der Abführmittel. – mehr dazu auf dem Pflegewiki: Laxantienabusus

Aaaaaahhh!

Eine Kundin mit Dauerrezept für Abführmittel.

Vorausschickend: Man kann abhängig werden von Abführmitteln. Bisher habe ich das aber eher von den heftigeren gesehen – diejenigen, die den Darm reizen, nicht so was wie hier auf dem Rezept: Lactulose. Aber … unmöglich ist es nicht. Ich glaube auch nicht, dass das eine wirklich körperliche Abhängigkeit war – mehr eine psychische. Aber der Effekt war ähnlich: sie ging innert 3 Monaten durch eine Menge, die sonst für mindesten 6 gereicht hätte.

Auf Abführmittel gibt es eine Limitation – eine Beschränkung, wieviel die Kasse zahlt. Und in ihrem Fall haben wir tatsächlich Nachricht bekommen, dass sie nichts weiter bezahlen werden.

Auf den Brief der Kasse hin, telefonieren wir der Kundin.

Ich erkläre ihr die Situation und … sie fängt an zu schreien. Ich meine nicht – mich anzuschreien, nur zu schreien.

„Aaaaahhh!“

Pharmama (nach einer Weile): „Bitte hören sie damit auf. Sonst muss ich das Telefon aufhängen!“

Was ich nach weiteren 10 Sekunden auch mache.

Sie ruft sofort zurück. Und ist auf einmal so was von lieb und freundlich.

Frau: „Ich weiss, dass sie mir helfen werden! Ich kann sagen, wenn jemand nett ist und hilfsbereit …“

Ich denke nur: Manipulationsversuch?

Pharmama: „Ja, Danke vielmals. Versuchen wir doch zusammen eine Lösung zu finden, ok?“

Sie hat die übertriebene Freundlichkeit dann gleich wieder abgestellt.

Sie hat es dann noch auf andere Art versucht:

Frau: „Wenn sie mir das Mittel verweigern, dann gehe ich wieder dazu über, mich zum erbrechen zu bringen!“

Was soll das? Erpressung?

Pharmama: „Also erstens: ich verweigere ihnen nichts. Das war nicht meine Entscheidung, sondern die der Kasse – und sie können die Lactulose auch ohne Rezept kaufen – nur, die Kasse bezahlt das so nicht mehr.“

Damit war sie natürlich auch nicht zufrieden.

Eine Chance hätte sie vielleicht noch, wenn sich ihr Arzt mit der Krankenkasse in Verbindung setzen würde. Was ich ihr dann empfohlen habe.

Aber: Leute gibt’s.

Neues von der Nicht-Kundin

Unsere „Nicht-Kundin“ telefoniert im Moment wieder regelmässig.

„Nicht-Kundin“ deshalb, weil wir mit ihr eine Abmachung haben, dass sie alle ihre Medikamente in einer Apotheke holt – das aus Erfahrung, sie hat angefangen, uns, die andere involvierte Apotheke und den Arzt gegeneinander auszuspielen. Ausserdem nimmt sie die Sachen nie, wie vorgeschrieben … Jetzt muss sie einfach alles in der anderen Apotheke beziehen – die haben dann auch die Info, was sie schon bekommt und können so besser schauen, was für sie geht.

Das hält sie aber nicht davon ab, bei uns anzurufen – mindestens 1x täglich, mit so tollen Fragen wie:

Nicht-Kundin (NK): „Könnte ich bitte die Apothekerin sprechen?“
Ja, es muss die Apothekerin sein. Immer. Eine einfache Pharmaassistentin oder gar Drogistin könnte ihre Fragen nicht beantworten. (Sagt sie).
„Ich habe vom Arzt Dulcolax verschrieben bekommen, wie muss ich das nehmen?“
(Wurde das nicht schon in der anderen Apotheke bei der Abgabe erklärt?)
Pharmama: „Am Abend vor dem Schlafen 1-2 Tabletten, dann können sie am anderen Morgen auf die Toilette.“
NK: „Wie lange dauert das, bis das wirkt?“
Pharmama: „Etwa 8 Stunden, darum nimmt man es ja vor dem Schlafen.“
NK: „Wann muss ich dann ins Bett?“
Pharmama: „Dann, wenn sie normalerweise gehen – die Tablette wirkt über Nacht.“
NK: „Dann muss ich nicht länger warten, mit dem Schlafengehen?“
Pharmama: „Nein. …  Denken sie aber bitte daran, dass das den Darm ziemlich vollständig leert, das bedeutet, sie müssen nicht gleich wieder am nächsten Tag auf die Toilette, das kann ein paar Tage dauern und bedeutet nicht, dass man schon wieder verstopft ist. Nehmen sie es nicht regelmässig!“

Nächster Tag, Nächstes Telefon – andere Apothekerin.
NK: „Könnte ich bitte die Apothekerin sprechen?“
„Wieviel kosten die Dulcolax Tabletten bei ihnen?“
„Und die Dulcolax Zäpfchen?“

Nächster Tag, Nächstes Telefon. Ich wieder.
NK: „Könnte ich bitte die Apothekerin sprechen?“
„Wie lange dauert es, bis das Dulcolax wirkt?“
Pharmama: „Das habe ich ihnen doch letzthin schon erklärt? : Etwa 8 Stunden … „(usw.)
NK: „Und die Zäpfchen?“
Pharmama: „Die gehen etwas schneller: zwischen 30 und 60 Minuten normalerweise.“
NK: „Und wenn ich beides genommen habe?“
Pharmama: „… Sie haben die Tabletten und die Zäpfchen genommen?“
NK: „Ja.“
Pharmama: (Grrrrumpf – ich sagte ja, sie hält sich nicht an Therapieanweisungen) „Das soll man nicht. Entweder oder reicht aus.
Ausserdem: wenn sie die Dinger ständig nehmen, können sie bald nicht mehr ohne die auf die Toilette.“
NK: „Und was soll ich jetzt tun?“
Pharmama: “ …damit aufhören für die nächsten paar Tage?“

… Oh ja – und wenden sie sich in Zukunft bitte wieder an die Apotheke, die ihnen die Medikamente auch abgegeben hat. Ich bin sicher, die sind auch daran interessiert, wie sie sie anwenden :-(