Es ist morgens früh, Winter, bitterkalt und noch dunkel als ich mit dem Velo unterwegs zur Arbeit bin.
Ich komme dabei durch eine Strasse am Rand des Industriegebiets. Die Gegend ist abgelegen, aber gelegentlich fährt auch ein Bus hier durch. Im Moment bin ich jedoch ziemlich alleine unterwegs.
Da … liegt ein Mensch mitten auf der Strasse. Auf dem Rücken, Blick in den Himmel.
Unglaublich, was einem in dem kurzen Moment, bis man dann wirklich bei ihm ist alles durchs Gehirn schiesst:
„Oh, Nein! Ist der Tot? Was mache ich denn jetzt? Ich muss die Sanität anrufen! Ich komme bestimmt zu spät zur Arbeit. Wie war noch die Reihenfolge? „Gabi“ gibt’s ja nicht mehr …“
Ich fahre mein Velo zur Seite und steige neben ihm ab.
„Hallo?!“ rufe ich
Er murmelt etwas unverständliches.
Hah! Er ist nicht bewusstlos!
Wie ich mich über ihn beuge, fährt ein Auto auf der anderen Seite heran und bleibt stehen. Ein Mann steigt aus und kommt auch herüber.
Mann: „Kann ich helfen?“
Pharmama: „Ich denke schon. Moment.“
zum Bodenlieger (BL): „Hallo? Können sie mich hören?“
BL: „Jaaaa…“
Oh gut! – er ist ansprechbar.
Pharmama: „Was ist passiert?“
BL: „Ich weiss nicht … ich bin umgefallen?“
Pharmama: „Wissen Sie wie?“
BL: „Nein – meine Beine … sie haben einfach weggeknickt.“
Pharmama: „Tut ihnen etwas weh?“
BL: „Mein Kopf – sehr. Ich habe ihn angeschlagen, glaube ich, aber ich weiss es nicht mehr…“
Pharmama: „Sonst noch etwas? Spüren sie das?“ Ich nehme seine Hand. Sie ist kalt.
BL: „Ja. Aber mir ist kalt.“
Pharmama: „Können Sie aufstehen?“
Er rührt sich, sinkt aber wieder zurück.
BL: „Nein. Mein Kopf tut zu weh.“
Er riecht … ich weiss nicht, es könnte etwas alkoholisches sein. Er wirkt auch sehr benommen.
Pharmama: „Haben Sie etwas genommen? Alkohol?“
BL: „Nein.“
Pharmama: „Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“ – typische Frage für einen Apotheker, ich weiss, aber im Moment versuche ich herauszufinden, an was es liegt, dass er hier … liegt. Im Kalten. Mitten auf der Strasse.
BL: „Ja, für mein Herz.“
Das finde ich jetzt suboptimal. Herzinfarkt? Hirnschlag? Kreislaufkollaps? die möglichen Ursachen listen sich auf.
Ich zum Mann neben mir: „Haben Sie ein Handy? Rufen Sie doch bitte die Sanität!“
Mann: „Okay … wie ist da noch die Nummer?“
Pharmama: „112 und sagen Sie … ach, lassen sie, ich mach das – Oh. Da kommt der Bus.“
Mein Mit-Helfer stellt sich schützend vor die Person auf die Strasse, der Bus hält.
Ich rufe an. Das grösste Problem war, denen am anderen Ende zu erklären, wo wir denn sind. Ich fahre täglich hier durch … und habe keine Ahnung, wie die Strasse heisst. Am Ende habe ich den Busfahrer, der ausgestiegen ist ans Telefon gelassen, das zu erklären, während ich weiter nach dem Mann schaue.
Der Busfahrer mit unglücklichem Blick auf den Mann, der immer noch auf der Strasse liegt: „Und jetzt?“
Pharmama: „Wenn Sie mir helfen, können wir ihn vielleicht vorsichtig aufs Trottoir tragen.“
Das empfehle ich im Normalfall nicht – besser ist es, man lässt die verletzte Person liegen, bis professionelle Hilfe kommt, aber … der Mann ist nicht von sehr hoch gefallen – er hat ausser Kopfschmerzen keine anderen Schmerzen, spürt seine Arme und Beine … und er liegt wirklich ungeschickt. Auch wenn jetzt – Dank Bus- kaum mehr die Gefahr besteht, dass uns jemand überfährt.
Mit Hilfe der beiden Männer klappt das umlagern ohne Probleme.
Ich bleibe neben dem Mann und rede ein bisschen mit ihm – Alter? Name?
Die nächsten die eintreffen ist die Polizei – noch vor der Sanität. Sie entlassen den Busfahrer, der weiterfährt.
Die beiden Polizisten kauern sich zum Mann, stellen ihm essentiell die selben Fragen wie ich, dann greifen sie ihm in die Jacke – wohl auf der Suche nach einem Portmonee und ID. Zuerst aber finden sie gleich 3 iPhones mit kaputtem Glas.
Seltsam. Hat hier aber nichts zum Thema zu tun.
Dann kommt die Sanität, die den Mann einpackt und mitnimmt.
Und ich darf wieder weiter.
Ich komme tatsächlich noch rechtzeitig zur Arbeit.
Unspektakulär, ich weiss. Irgendwie aber ziehe ich so Situationen an. Da war der Mann im Beet und die Reanimation beim Gemüse. Schon von daher bin ich froh, dass ich – auch wenn ich es bisher nicht gebraucht habe – weiss, wie eine Reanimation geht und auch sonst, so in etwa, was ich machen muss. Das kann ich wirklich jedem empfehlen zu lernen. Es gibt fast nichts unangenehmeres, als hilflos dabei zu stehen.
Super, dass du gekommen bist und helfen konntest!
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Du Ärmste. Ich hatte auch vor einiger Zeit einen Ersthelferkursus. Aber ich glaube in so einer Situation würde ich erst nicht wissen wie ich reagieren sollte. Vermutlich direkt Handy raus und 112 anrufen. Anamnese kann dann jemand machen der sich damit auskennt :)
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Erst alarmieren, wenn du die Notlage ungefähr erfasst hast. Zwischen „Wenn ich ihn schmerzhaft kneife, stöhnt er“ und „Gibt gar keine Antwort, egal was ich mache“ liegt schon ein Unterschied, der für die Rettung – und für dich als Ersthelfer – wichtig ist.
Einen Kurs zu besuchen ist das eine, immer wieder mal in einer freien Minute zu überlegen, was du in welcher Reihenfolge tun musst, das andere.
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Wobei es ja schon hilft wenn man überhaupt was macht und nicht einfach vorbeigeht. Gibts etliche Versuche (zB. in Quarks) wo geschaut wird wer bei (gestellten) Autounfall vorbeifährt und wer anhält. Und Allein wenn du die Unfallstelle (egal ob Auto oder nur verletzte Person) absicherst, schaust ob die Person ansprechbar ist und dann direkt nur noch den Notfall alarmierst ist ja schon hilfreich. Auch wenn ich durch den Kurs gelernt habe das die ersten 3 Minuten entscheidend sind wäre mir das lieber als gar keine Hilfe zu bekommen.
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Genau. Der grösste Fehler besteht immer darin, gar nichts zu tun.
Wenn man nicht weiss, wie man handeln soll – das Bauchgefühl ist oftmals gar nicht so schlecht. Wie sollte man mir helfen, wäre ich in der selben Lage? Liege ich auf der Strasse, dann sollte jemand sein Fahrzeug so abstellen, dass niemand in mich reinfährt. Jemand sollte anrufen.
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Dann kann mich die Rettung am Telefon da durch leiten. Gerade wenn ich mir unsicher bin ob da jemand in Gefahr ist werde ich nicht raten.
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Neulich kam ich zu einem Radunfall mit Knochenbrüchen abseits im Wald gelegen. Gut war, dass die Leitstelle bei uns offensichtlich sofort Handyortung durchführt und sofort sieht, wo man sich befindet!
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Ich hab in meiner verschwendeten Jugend™ so zwischen 15 und 18 Jahren bestimmt 4 oder 5 Erste-Hilfe-Ausbildungen gemacht … für alles Mögliche brauchte man das, und der vorherige Kurs war immer ganz knapp nicht mehr gültig, oder der falsche oder so.
Nach dem Führerscheinerwerb war dann erstmal Ruhe … und ich hatte ernsthaft schon überlegt, mal wieder einen Kurs zu machen, einfach um sich im Falle eines Falles sicherer zu fühlen.
Bin dann zum Glück Ersthelfer auf der Arbeit geworden, jetzt bekomme ich alle 2 Jahre eine Auffrischung und werde sogar noch dafür bezahlt ;-)
Gebraucht hab ich den Kurs zum Glück noch nie …
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Irgendwie lustig das zu lesen nachdem ich heute meinen Ersthelfer Kurs erfolgreich abgeschlossen hab. Und soweit ich deinen Bericht so les, hast du soweit richtig reagiert ;) aber ich glaub das weisst du selber.
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Vorherige Woche lag bei einer Tramhaltestelle ein junger Mann am Boden. Er wurde schon reanimiert, die Defi-Pads klebten an seiner Brust, eine Sauerstofflasche lag am Boden, Thoraxkompressionen… es kümmerte sich schon die Polizei, Sanis und ein Notarzt um ihn.
Ich fühlte mich darauf ziemlich mulmig.
Mulmig, denn der Mann schien jünger zu sein als ich.
Mulmig, weil ich zwar schon sehr viel geübt habe. Aber immer nur an Puppen.
Für solche Fälle muss ein Handlungsschema ins Hirn eingebrannt sein. Überlegt immer wieder mal in einer freien Minute, in welcher Reihenfolge ihr was tun müsst, wenn dieser oder jener Notfall eintritt.
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Ketoazidose wäre mir gleich noch in den Sinn gekommen (frage nach Insulin), denn viele Mneschen vergessen in der Notsituation ihre Medikamente oder jedenfalls ein Teil davon.
Genau wegen solchen Situationen sollte jeder Mensch regelmässig seine Kenntnisse auffrischen und jeder mal einen Defi in der Hand gehabt haben. Hab meiner Mama letens ne theoretische Lektion gehalten – auch sie hatte Angst, den überhaupt anzufassen. Dabei ist das wichtigste bei einer REa: Alarmieren, holenlassen, drücken bis das Ding kommt, kleben, drücken, machen was das Ding sagt. Und: was die Kollegen am Telefon sagen. Die sind alle ganz nett und können auch erklären, wenn man nicht weiter weiss!
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Genau – nach Medikamenten fragen ist immer gut.
Bei einem Notfall (ich begleitete eine Heimbewohnerin zu einer Verwandten, wo sich dann ein ziemliches Atemproblem entwickelte) rief ich bei der Nachtschwester ihres Heims an.
Ich: „Benötigt sie irgendwelche Medikamente?“
Sister of the Night: „Medi 1, Medi 2 und Nitroglycerin.“
Ich: „Uh oh. Ich rufe die Rettung.“
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