Unhaltbare Anschuldigungen!

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Im Jahresbericht habe ich geschrieben, dass wir vermehrt Diebstähle in der Apotheke / Drogerie bemerken. Speziell an einer Stelle – sie ist von den Kassen aus schlecht einsichtbar. Wir haben schon die dort ausgestellten Sachen verändert, aber das scheint fast egal zu sein. Statt den Bürsten verschwinden jetzt halt die ätherischen Öle von dort. Leider bemerkt man das oft zu spät – aber wir können offensichtliche Lücken oder Fehlbestände noch mit den Aufzeichnungen der Kamera abklären – bis etwa 1 Woche danach, dann wird es überschrieben.

So passiert Ende November: es fehlen gleich mehrere Flaschen vom Orangenöl, etwa 50 Franken Verlust. Wir finden auf den Aufzeichnungen eine Frau mittleren Alters, sehr unauffällig, Winterjacke und mit Einkaufsroller, die die Auslage studiert und dann gleich alle Orangenölfläschen einpackt. Sie geht dann noch Richtung Kasse und bezahlt … etwas anderes, kleines. Das ist nervig. Wir machen einen Ausdruck von der Aufnahme und sichern den Vorgang. Den Ausdruck zeigen wir an der Teamsitzung – in der Hoffnung, dass die Person bei einem Wiederholungsbesuch erkannt wird. Es ist auch ziemlich gut möglich, dass sie wiederkommt … immerhin ist es nicht das erste Mal, dass da ätherische Öle verschwinden.

Fast forward bis kurz vor Weihnachten. Wir sind beschäftigt (wie immer um die Zeit, aktuell noch etwas mehr), aber gerade sind nur 3 Kunden im Laden… und gleich 2 Mitarbeiter kommen praktisch zu mir gerannt, weil die eine aussieht, wie die Öl-Diebin. Samt Jacke und Einkaufsroller. Und sie steht vor dem ätherischen Öl! Pharmama, mach was!

Sie kommt zur Kasse, wo die Kollegin grad die eine Kundin fertig bedient hat und die nächste dran nimmt. Die mutmassliche Öl-Diebin ist danach dran … aber die Mitarbeiterin, die sie an die nächste Kasse (in etwa 1,5m Abstand) nimmt, schaut mich hilfesuchend an: „Was mache ich jetzt? Das ist doch wahrscheinlich die …?“ sagen ihre Augen.

Ich bin noch nicht ganz überzeugt. Die Frau sieht sehr, sehr ähnlich aus. Und sie hat einen Einkaufsroller dabei. Und sie hat ein Fläschchen ätherisches Öl zum zahlen. Trotzdem …

Als sie also zahlen will, trete ich ruhig nach vorne neben die Mitarbeiterin an der Kasse und bitte sie: „Könnten Sie einen Moment auf die Seite treten und etwas warten? Ich möchte etwas nachschauen, ich bin gleich wieder da.“
Sie fängt praktisch instant an auszuflippen: „WAS? Wieso?? Was soll das?“
Pharmama: „Ich brauche nur ein paar Minuten …“
Frau: „Wofür, was wollen sie?“
Pharmama: „Nun, wenn sie es wissen wollen, sie sehen sehr ähnlich aus, wie jemand, der vor einiger Zeit etwas geklaut hat – und ich möchte das rasch nachprüfen auf unseren Aufzeichnungen.“
Ich gehe und schaue auf die Aufzeichnungen. Die Ähnlichkeit ist frappierend, samt der Frisur und Figur aber … die Aufzeichnungen sind nicht wirklich gute Qualität, was das Erkennen der Gesichter angeht. Ausserdem hat sie andere Kleider (kann auch sein) und einen andersfarbigen Roll-Einkaufswagen. Bei dem denke ich eher nicht, dass jemand mehrere besitzt. Also … nein. Auch nach dem direkten Vergleich bin ich nicht sicher, deshalb kehre ich zurück nach vorne, wo die Kundin immer noch lautstark schäumt. Etwas, das sie weder sympatischer, noch unverdächtiger macht. Die Kundin an der Nebenkasse hat inzwischen bezahlt und ist gegangen.

„Nein“, sage ich und nicke der bedienenden Mitarbeiterin zu „Das war sie nicht auf den Aufzeichnungen. Danke fürs warten und entschuldigen Sie …“
Frau: „Was für eine Unverschämtheit! WIE können sie es wagen?“
Pharmama: „Es tut mir leid, wenn…“
Frau: „Nein, von ihnen will ich gar nichts mehr hören. Ich will nur zahlen und hier raus!“
Sie reklamiert derweil lautstark weiter ob unserer unmöglichen Behandlung und dass sie momentan psychisch nicht gut drauf sei (wer nicht, liebe Frau, wer nicht?) – verlässt aber dann die Apotheke.

Minuten später kommt ein Mann in die Apotheke gestürmt. Ich stehe da gerade sinnend vor den ätherischen Ölen und überlege mir, was für Massnahmen wir da noch ergreifen können – vielleicht ein Schild zusätzlich, dass wir eine Videoüberwachung haben? Am Eingang ist schon ein Schild, aber, das reicht wohl nicht …
Der Mann rennt zu mir und fängt an mich anzuschreien: „Was mir einfiele, seine Partnerin so zu behandeln? Sie öffentlich als Diebin zu bezeichnen?“
Äh, was? „Das habe ich eigentlich nicht …“
Mann: „Rufen sie die Polizei!“
Pharmama: ÄH WAS?: „Nein. Wenn sie möchten, dass die Polizei herkommt, dann rufen sie sie selber. Ich sehe da keinen Anlass dafür.“
Abgang Mann. Wütend.
Wahrscheinlich zum Polizei rufen. Die werden auch Freude an so etwas haben, in der Weihnachtszeit.
An dem Tag hören wir aber nichts mehr davon.

Neujahr kommt und ich erfahre, wie das weitergegangen ist: Die beiden waren tatsächlich bei der Polizei um gegen die durch uns so „unmögliche Behandlung“ eine Anzeige aufzugeben. Die Polizisten haben ihnen aber wohl gesagt, dass sie „aus Mangel an Zeugen“ da nichts machen können.
Dann haben sie bei unserem Arbeitgeber angerufen um zu reklamieren.
Und die haben dann natürlich bei uns nachgefragt, was da genau passiert ist. Meine Darstellung des Vorfalls kennt ihr ja jetzt.
Ihre Version hörte sich etwas extremer an – dennoch: Wir haben sie nicht als Diebin beschuldigt: soweit war ich noch gar nicht, da möchte ich wirklich sicher sein, bevor ich so etwas mache. Sehr öffentlich war das auch nicht: mit noch einer anderen Kundin im Geschäft, die wahrscheinlich, wenn sie nicht selber so laut geworden wäre, gar nichts mitbekommen hätte. Dass das nicht gut aufgenommen wurde – und durch ihre psychischen Probleme noch schlechter – das verstehe ich gut. Aber eigentlich ist das ähnlich, wie wenn der Diebstahlalarm bei gesicherter Ware beim Verlassen eines Geschäftes (falsch) auslöst. Reagiert sie dann auch so? Ausserdem: eine Entschuldigung vor Ort wollte sie von uns nicht annehmen. Hoffentlich kommt die von den Vorgesetzten besser an.

Jedenfalls habe ich daraus gelernt für ein eventuelles nächstes Mal: Bei einem solchen Verdacht wird die Person mit 2 Mitarbeitern in den Beratungsraum gebeten, damit sie dort auf die Abklärungen (oder die Polizei, wenn ich sicher bin) warten kann. Das gibt vielleicht weniger „öffentlichen Aufruhr“.
Vielleicht.

Nothilfe in der Kälte

Es ist morgens früh, Winter, bitterkalt und noch dunkel als ich mit dem Velo unterwegs zur Arbeit bin.

Ich komme dabei durch eine Strasse am Rand des Industriegebiets. Die Gegend ist abgelegen, aber gelegentlich fährt auch ein Bus hier durch. Im Moment bin ich jedoch ziemlich alleine unterwegs.

Da … liegt ein Mensch mitten auf der Strasse. Auf dem Rücken, Blick in den Himmel.

Unglaublich, was einem in dem kurzen Moment, bis man dann wirklich bei ihm ist alles durchs Gehirn schiesst:

„Oh, Nein! Ist der Tot? Was mache ich denn jetzt? Ich muss die Sanität anrufen! Ich komme bestimmt zu spät zur Arbeit. Wie war noch die Reihenfolge? „Gabi“ gibt’s ja nicht mehr …“

Ich fahre mein Velo zur Seite und steige neben ihm ab.

„Hallo?!“ rufe ich

Er murmelt etwas unverständliches.

Hah! Er ist nicht bewusstlos!

Wie ich mich über ihn beuge, fährt ein Auto auf der anderen Seite heran und bleibt stehen. Ein Mann steigt aus und kommt auch herüber.

Mann: „Kann ich helfen?“

Pharmama: „Ich denke schon. Moment.“

zum Bodenlieger (BL): „Hallo? Können sie mich hören?“

BL: „Jaaaa…“

Oh gut! – er ist ansprechbar.

Pharmama: „Was ist passiert?“

BL: „Ich weiss nicht … ich bin umgefallen?“

Pharmama: „Wissen Sie wie?“

BL: „Nein – meine Beine … sie haben einfach weggeknickt.“

Pharmama: „Tut ihnen etwas weh?“

BL: „Mein Kopf – sehr. Ich habe ihn angeschlagen, glaube ich, aber ich weiss es nicht mehr…“

Pharmama: „Sonst noch etwas? Spüren sie das?“ Ich nehme seine Hand. Sie ist kalt.

BL: „Ja. Aber mir ist kalt.“

Pharmama: „Können Sie aufstehen?“

Er rührt sich, sinkt aber wieder zurück.

BL: „Nein. Mein Kopf tut zu weh.“

Er riecht … ich weiss nicht, es könnte etwas alkoholisches sein. Er wirkt auch sehr benommen.

Pharmama: „Haben Sie etwas genommen? Alkohol?“

BL: „Nein.“

Pharmama: „Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?“ – typische Frage für einen Apotheker, ich weiss, aber im Moment versuche ich herauszufinden, an was es liegt, dass er hier … liegt. Im Kalten. Mitten auf der Strasse.

BL: „Ja, für mein Herz.“

Das finde ich jetzt suboptimal. Herzinfarkt? Hirnschlag? Kreislaufkollaps? die möglichen Ursachen listen sich auf.

Ich zum Mann neben mir: „Haben Sie ein Handy? Rufen Sie doch bitte die Sanität!“

Mann: „Okay … wie ist da noch die Nummer?“

Pharmama: „112 und sagen Sie … ach, lassen sie, ich mach das – Oh. Da kommt der Bus.“

Mein Mit-Helfer stellt sich schützend vor die Person auf die Strasse, der Bus hält.

Ich rufe an. Das grösste Problem war, denen am anderen Ende zu erklären, wo wir denn sind. Ich fahre täglich hier durch … und habe keine Ahnung, wie die Strasse heisst. Am Ende habe ich den Busfahrer, der ausgestiegen ist ans Telefon gelassen, das zu erklären, während ich weiter nach dem Mann schaue.

Der Busfahrer mit unglücklichem Blick auf den Mann, der immer noch auf der Strasse liegt: „Und jetzt?“

Pharmama: „Wenn Sie mir helfen, können wir ihn vielleicht vorsichtig aufs Trottoir tragen.“

Das empfehle ich im Normalfall nicht – besser ist es, man lässt die verletzte Person liegen, bis professionelle Hilfe kommt, aber … der Mann ist nicht von sehr hoch gefallen – er hat ausser Kopfschmerzen keine anderen Schmerzen, spürt seine Arme und Beine … und er liegt wirklich ungeschickt. Auch wenn jetzt – Dank Bus- kaum mehr die Gefahr besteht, dass uns jemand überfährt.

Mit Hilfe der beiden Männer klappt das umlagern ohne Probleme.

Ich bleibe neben dem Mann und rede ein bisschen mit ihm – Alter? Name?

Die nächsten die eintreffen ist die Polizei – noch vor der Sanität. Sie entlassen den Busfahrer, der weiterfährt.

Die beiden Polizisten kauern sich zum Mann, stellen ihm essentiell die selben Fragen wie ich, dann greifen sie ihm in die Jacke – wohl auf der Suche nach einem Portmonee und ID. Zuerst aber finden sie gleich 3 iPhones mit kaputtem Glas.

Seltsam. Hat hier aber nichts zum Thema zu tun.

Dann kommt die Sanität, die den Mann einpackt und mitnimmt.

Und ich darf wieder weiter.

Ich komme tatsächlich noch rechtzeitig zur Arbeit.

Unspektakulär, ich weiss. Irgendwie aber ziehe ich so Situationen an. Da war der Mann im Beet und die Reanimation beim Gemüse. Schon von daher bin ich froh, dass ich – auch wenn ich es bisher nicht gebraucht habe – weiss, wie eine Reanimation geht und auch sonst, so in etwa, was ich machen muss. Das kann ich wirklich jedem empfehlen zu lernen. Es gibt fast nichts unangenehmeres, als hilflos dabei zu stehen.