Multitalent

Die recht bunt angezogene Frau um die 50 kommt in einer ruhigen Minute spät-nachmittags in die Apotheke.

Ich empfange sie am Tresen.

Frau: „Ich wollte fragen – sie brauchen jemanden zum putzen?“

Pharmama: „Putzen? Sie meinen hier in der Apotheke?“

Frau: „Ja. Ich Putzfrau. Sehr gut.“

Pharmama: „Ah –  wir haben schon jemanden, der für uns putzen kommt.“

Frau: „Sie nicht brauchen noch jemand?“

Pharmama: „Nein, tut mir leid.“

Frau: „Oh – aber Danke fürs sagen – ich sehe, sie nette Frau!“

Pharmama: „Danke?“

Frau: „Soll ich ihnen Aura lesen?“

Pharmama: „Äh – was?“

Frau: „Ich ihnen mache eine Probelesung, okay? Sie nette Frau, das sehe ich! …

(sie nimmt meine Hand und dreht sie)

… Sie sehr freundliches Gemüt und feste Persönlichkeit. Ja, ich sehe sie starke Frau. Sie alles machen selber, nicht?“

Momentan schon – die andern haben Pause  :-)

Ich nicke freundlich, aber nicht überzeugt. Klassische Komplimente zum Anfang?

Frau: „Ich sehe aber, dass sie Neider haben. 2 Neider. Eine ist schon länger her und nicht so nahe, aber eine davon ganz in der Nähe. Sie wissen, wen ich meine?“

Naja – eigentlich habe ich damit schon genug gehört. Wer hat schon keine Neider – oder zumindest irgendwann im Leben gehabt, aber … ich brauche das momentan nicht. Vielleicht ist das reine Verdrängungshaltung, vielleicht will ich einfach nicht unnötig Unruhe rein bringen, aber ich vermute, das nächste was sie mir erzählen wird ist wo ich den Neider zu suchen habe … und das … will  ich einfach nicht. Wenn man so etwas erzählt bekommt, eigentlich fast egal von wem, dann fängt man automatisch an, nachzudenken auf wen das zutreffen könnte. Und: Ich bin zufrieden und ich brauche weder Neider noch Aura-leser dafür. Also … klemme ich sie ab.

Pharmama: „Das ist sehr nett von ihnen, dass sie mir das gezeigt haben….“

Frau: „Wenn ihnen das gefällt, kann ich ihnen noch mehr sagen, wir dann einfach machen Termin für grosse Aura-lesen.“

Pharmama: „Danke vielmals, aber ich glaube, das ist nichts für mich.“

Die Frau zuckt die Schultern, wir wünschen uns gegenseitig noch einen „Schönen Abend!“ und sie geht wieder.

Später fällt mir ein: das wäre vielleicht ein Ersatz für meine kaputte Glaskugel gewesen.

Hättet ihr Verwendung für eine Auralesende Putzfrau?

17 Kommentare zu „Multitalent

  1. aber klar doch – unleserliche Rezepte, Menschen, die sich nicht sicher sind, was sie haben, nicht Deine Sprache sprechende Menschen – wie kannst Du DAS Angebot ablehnen?!?! Denk mal, wie das den Umsatz nach oben reißen könnte….
    (Danke für das Grinsen in meinem Gesicht beim Vorstellen der Einsatzmöglichkeiten!)

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    1. Ja – man würde etwas finden.
      Allerdings: Wenn sie schon nicht schon wusste, dass ich keinen Putzfrau-Job für sie habe, ist sie als Wahrsagerin vielleicht doch nicht so gut?

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      1. Das siehst du verkehrt. Die Frau ist nur nicht mehr ganz in der Zeitlinie und hat was verwechselt. Sie hätte nur vor einigen Jahren da sein müssen als ihr die aktuelle eingestellt habt. Alternativ in einigen Jahren wenn die aktuelle aufhört :)

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  2. Das ist eine typische Masche solcher Handlese-Angebote.
    Manche bieten es auf der Straße einfach an, schnappen sich deine Hand, lesen etwas und möchten danach ein Honorar. Viele „Gelesene“ fühlen sich verpflichtet, etwas zu geben, schließlich haben sie ja eine Dienstleistung erhalten. Und wenn die positiv war und stimmen kann, ist in Geberlaune.

    Die bessere Masche ist natürlich die von oben. Man sagt den Leuten etwas, dass irgendwie stimmt. (Cold Reading, Barnum-Effekt mal als Stichworte zum nachgoogeln), und wenn sie an die richtigen Menschen gelangen, haben sie die an der Angel. Diese Leute wollen natürlich mehr erfahren. Und dann wird es kostspielig.

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    1. Naja, ich habe grundsätzlich etwas dagegen, wenn mich jemand ungefragt anfasst in der Öffentlichkeit – das wäre für die schon ein schlechter Start. Aber: ja, das ist sicher eine Masche, die funktioniert bei manchen.

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  3. Auweia! Die Frau hättest du zur Kunden-Akquise anstellen sollen! Und zwar mit einem üppigen Honorar!

    Sie soll draussen herumlaufen und allen noch nicht Davongelaufenen erzählen, sie müssten zu ihrer Rettung Pharmamas Gehirn- und Nerven-Tonikum kaufen!

    Als Wahrsagerin kennt sie ausserdem den Umgang mit der Wahrheit. So wird sie hell sehend und mit Handkuss Rezepte auf Echtheit überprüfen.

    Auch wird sie allen Patienten sagen, wie krank sie wirklich sind. Zurück zum Arzt, denn unter fünfhundert Franken Gesamtbetrag ist ja kein Rezept vollständig!

    Ach Pharmama… du hast da soviel Geld verschenkt. :(

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  4. Oh je, ich bin genau so einer Masche heute aufgesessen.

    Ich steige an einer Haltestelle aus und eine Frau spricht mich an, ob ich ihr sagen könne, wo eine spirituelle Buchhandlung in der Nähe sei. Ich wundere mich, denn in diesem Stadtteil, etwas ausserhalb der City, ist meines Wissens keine solche Buchhandlung. Ich sage ihr dies.

    Plötzlich sagt sie mir etwas … ich weiss nicht mehr genau was, aber sie trifft ins Schwarze. Ich denke, in was für einem Film bin ich? Sie sagt ein paar allgemeinere Sachen, die aber stimmen. Zeigt auf einen Körperteil, der mir tatsächlich Schmerzen bereitet.

    Sie spricht von zwei Neidern, einem mit hellen Haar und einem mit dunklem Haar, die in meiner Umgebung sind. Der Neider mit hellem Haar sei älter und ich hätte mich früher gut mit dieser Person verstanden. Ob ich wisse, wer diese Person sei?

    Sie sagt immer mal wieder Sachen, die verblüffend stimmen, andere kann ich nicht finden. Meine Aura sei heute sehr offen. Das sei ungewöhnlich.

    Dann holt sie einen kleinen Stein aus der Tasche, sieht aus wie ein vertrockneter, verschrumpelter Apfel. Sie beisst einen Teil ab und sagt, das sei Marienwurzel oder Mariannenwurzel. Und es sei sehr teuer. Sie tut das Stück in ein Taschentuch, rupft mir ein Haar aus, tut dies dazu und legt mir alles zerknüllt in die linke Hand. Sie spricht ein Gebet und pustet auf die Hand. Abends soll ich noch Zucker (für die Süsse des Lebens), zwei Rosenblätter (für die Liebe) und drei Sonnenblumenkerne (für die Gesundheit) hinzu tun und den Talisman fortan in meinem Portemonnaie tragen.

    Dann bittet sie um Geld „Wer etwas bekommt, muss auch was geben“. Ich bemerke meine Unsicherheit. Aber sie hat ein paar Details gesagt, die stimmen und ich fühle mich auch in der Schuld – wegen dem angeblichen Stück M-Wurzel. Ich bin hin und her gerissen. Schliesslich will ich ihr eine Summe X geben, aber sie ist sichtlich enttäuscht, will viel mehr Geld. Ich stecke mein Portemonnaie wieder ein. Sage, dass ich zu mehr nicht bereit bin.

    Sie holt eine Geldbörse aus ihrer Tasche und zeigt mir mehrere Hunderter. Sie will zeigen, dass sie auf das Geld nicht angewiesen ist. Aber ich gebe ihr nicht mehr, als ich ihr ursprünglich zusagte.

    Ich google später den Begriff Marienwurzel und es soll Baldrian sein. Dieses Stück, das sie mir gegeben hat, riecht aber nicht.

    Und dann lese ich heute diesen Blogbeitrag. Als ich las, das die zwei Neider auch bei Pharmama auftauchen, war ich recht enttäuscht. Und konnte mal wieder sehen, wie manipulierbar ich bin.

    Cordialement, Mademoiselle Melony, mit einem frischen Strauss Rosen (denn die zwei Rosenblätter mussten ja irgendwo herkommen ;-).

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    1. Oh, manche sind wirklich gut in dem Metier – wenn ich an den letzten Zauberer denke an dessen Show ich war, und der meine Gedanken „gelesen“ hat um einen Namen herauszufinden … das fand ich enorm beeindruckend.
      Und eine „Show“ hast Du ja auch bekommen – Du zahlst dafür, was dir das wert ist. :-)

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  5. Möglicherweise wollte sie nicht die Apotheke putzen, sondern deine Aura reinigen. Immerhin liegt der Stundenlohn für Aurareinigen über zehn mal höher als für normales putzen.
    Für den Freundschaftspreis von nur 1500 Fr. (normal angeblich 3500) liess sich ein Bekannter die Aura reinigen. Zum dreitägigen Angebot gehöhrten Kräuterbäder, Rauchsauna im Schnee, Tee und Suppen, sowie Gruppen und einzel Gespräche mit dem Schamanen. Da er nach diesen Tagen wahnsinnig erholt war, plante er das Ritual jährlich zu wiederholen. Als er jedoch bei der Anmeldung erfuhr, das der Schamane, der nach dem Ritual ein Jahr braucht, um sich mit komischer Energie aufzulanen, das Ritual jährlich mindestens fünf mal durchführt, fühlte er sich verarscht und entschied sich für ein normales Wellnesshotel. Intressant fand ich, dass er noch immer ein eso Fan ist, obwohl er im Wellnesshotel sogar mehr Energie für weniger Geld tanken konnte.

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    1. 1500 Franken für 3 Tage Wellnessanwendungen sind ja kein schlechter Preis :-)
      Wenn der Schamane das nicht behauptet hätte, wäre er nach seiner Entdeckung nicht so enttäuscht gewesen – und würde vielleicht weiter zu ihm gehen.

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      1. Genau, er ging jedoch anfangs davon aus das der Schamane von einer Reinigung mit neun bis zehn Teilnehmern ein Jahr lebt (bescheidene ca. 30-35000Fr.) und ähnlich wie Sportler, AKW Reiniger und Sexarbeitende viel Zeit zur Erholung braucht, da der Job hochbelastend ist. Dazu kam, dass er nicht mehr überzeugt war, deutlich weniger als die anderen gezahlt zu haben.

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  6. Ich wurde letztens auch angesprochen, dass der Dame aufgefallen wäre, dass ich eine rote Aura hätte – ich sei wie sie ein Medium (was mich irritiert hat – ihrer Beschreibung nach hätte ich auf violett getippt). Aber ein Chakrapunkt sei blockiert und darum könne ich nicht richtig sehen. Schuld sei eine Erbsünde in meiner Familie mütterlicherseits. Äääähm, ja. Und sie wollte mit mir reden, um das zu lösen. Aber für die Lösung muss man auch einen Preis zahlen, ob ich bereit wäre. Ende vom Lied: 30 Euro wollte sie, um mir als gewissermaßen Kollegin zu helfen. Ich bin dann mal meiner Wege gegangen …

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