Krätze? Das juckt mich nicht.

Es ist Samstag nachmittag. Ein junger Mann kommt in die Apotheke mit einem Rezept vom Spital. Auf dem Rezept: Eine Körperlotion, die von der Krankenkasse übernommen wird und Scabi-med. Genauer gesagt 3 Packungen Scabi-Med und der Hinweis das am „Datum heute“ und am „Datum in 10 Tagen“ zu wiederholen.

Scabi med ist ein Mittel mit dem Wirkstoff Permethrin gegen Krätze. Die Krätze ist eine durch ein kleines Spinnentierchen ausgelöste Hauterkrankung, die sich durch juckenden Hautauschlag äussert, dort wo die Tierchen sich in die Haut gegraben haben. Sie ist ansteckend durch direkten Körperkontakt und kann ziemlich unangenehm werden, vor allem, wenn man immunsupprimiert ist. Meine Eltern hatten das mal beide – und da meine Mutter Cortison nehmen musste, hatte sie es ausgesprochen stark.

Ich habe noch 1 Packung da vom Scabi-Med. Nicht 3 oder 6. Eigentlich ist eine Packung für die Behandlung einer erwachsenen Person auch ausreichend – hier soll offenbar der Rest der Familie gleich mitbehandelt werden. Demnach macht es Sinn, dass das alle gleichzeitig beginnen.

Das Datum des Rezeptes ist von vor 3 Tagen. Ja – schön. Ich schaue rasch im Computer – aktuell gerade nicht lieferbar. Keine Überraschung – und bei Bestellung würde ich es sowieso erst am Montag morgen bekommen.

Ich melde das rasch beim Patient zurück, dass ich versuchen muss, das in einer anderen Apotheke zu bekommen und weshalb. Dann setze ich mich ans Telefon. Ich finde tatsächlich noch eine Apotheke die A) noch 2 Tuben hat (wirklich nur 2) und B) jetzt am Samstag nachmittag noch offen hat.

Ich bringe die frohe Nachricht dem Patient mit der Wegbeschreibung zur anderen Apotheke – 2 km oder so entfernt. Ich kann das nicht dort holen gehen am Samstag mittag. Zu wenig Personal.

Er will nicht selber dorthin gehen.
Zu viel Aufwand.
Und am Montag wiederkommen will er auch nicht.

Dann bekommt er das Rezept halt wieder mit.
Viel Glück!

Ich hab aufgehört, mich über sowas aufzuregen. Ich biete an, was ich machen kann und wenn das für den Patienten nicht genug ist … dann gebe ich das Problem wieder an ihn zurück. Ich bemühe mich nach Kräften nicht lieferbares zu organisieren – und dass etwas nicht zu bekommen ist, ist ein zunehmendes Problem, aber zaubern kann ich nicht. Und im Endeffekt ist das nur so wichtig, wie es dem Patienten wichtig ist, oder? Seine Krätze. Das juckt mich nicht.

Nichtlieferbarkeit – Hürdenlaufen in der Apotheke 2023

Lieferbarkeit von Medikamenten: die Situation ist kritisch! Wie kritisch, zeigt die Seite drugshortage.ch, die für den 9. Juni folgendes meldet: 952 Lieferengpässe von Arzneimitteln in der CH. 8% der kassenpflichtigen Präparate. 152 Präparate fehlen von allen Herstellern. 11 davon sind auf der BWL Liste, 62 auf der WHO List of essential medicines.

Inzwischen suchen wir täglich mehrmals Ersatz für notwenige, verschriebene Medikamente. Ein stetig steigender Mehraufwand. In der aktuellen Situation versucht das BAG uns zumindest etwas die Arbeit zu erleichtern. Es geht ja nicht „nur“ darum, passenden Ersatz zu finden und zu bestellen – der Patient (der ja nichts dafür kann und es benötigt) sollte nicht noch dafür bezahlen müssen: die Krankenkasse sollte das übernehmen.

Dafür hat das BAG im März 23 eine Übergangslösung präsentiert.

Die Abgabe in der Schweiz durch Swissmedic zugelassener und in der SL aufgeführter Arzneimittel ist zwingend. Ausschliesslich im Fall der Nichterhältlichkeit eines bestimmten Arzneimittels resp. einer bestimmten Packung ist das folgende stufenweise Vorgehen zu wählen:
1. Abgabe einer in der Schweiz zugelassenen und in der SL aufgeführten Alternative (anderes Präparat mit gleichem Wirkstoff, andere Dosisstärke, andere Packungsgrösse oder geeignete Darreichungsform, alternatives Arzneimittel).
2. Abgabe eines importierten Arzneimittels, sofern ein Import heilmittelrechtlich erlaubt ist und das importierte Arzneimittel innert der angemessenen und notwendigen Frist zur Verfügung steht
3. Herstellung einer Magistralrezeptur

Das verschriebene Medikament ist nicht lieferbar. Hier startet also mein Hindernislauf in der Apotheke.

Bei uns in der Apotheke versuche ich erst mal anders als über unseren Hauptgrossisten an das Medikament zu kommen: wir haben inzwischen einen zweiten Grossisten, gelegentlich bekomme ich es dort. Häufiger fehlt es allerdings da auch.
Ich versuche es von einer anderen Apotheke zu bekommen, die es eventuell noch an Lager hat. Wir haben keine Zeit, Apotheken auf gut Glück anzurufen, die es (weil es ev. schon länger fehlt) auch nicht mehr haben, aber ich kann bei den zu unserer Kette gehörenden Apotheken reinschauen.

Keine hat es noch oder es ist nicht möglich das Medikament zu bekommen (Kühllieferungen gehen zum Beispiel nicht), dann beginnt die Suche nach einem Ersatzprodukt. Also:

Ein anderes Präparat mit gleichem Wirkstoff (ein Generikum). Der Medikamentenmarkt der Schweiz ist klein – allzuviel Auswahl hatten wir nie.

Oder eine andere Packungsgrösse (3 Packungen zu 30 Tabletten statt 1 Packung zu 90).

Oder dasselbe in anderer Dosierungsstärke (0.25mg statt 0.5mg, dann muss man 2 Tabletten aufs Mal nehmen)

Oder derselbe Wirkstoff in anderer Darreichungsform (Kapsel statt Tablette, oder Sirup oder Zäpfchen). Oder normale Tabletten statt retardierte mit langer Wirkung … und dann halt mehrmals tägliche Einnahme statt einmal täglich.

Oder eine Kombination der oberen.

Finde ich dennoch nichts, gibt es vielleicht ein alternatives Arzneimittel – also etwas, das für dasselbe Problem ist, aber einen anderen Wirkstoff enthält. Das benötigt dann aber  Rücksprache mit dem Verschreiber, da das ein Wechsel in der Therapie ist und der Patient eventuell neu auf das Medikament eingestellt werden muss. Ist eine Therapiealternative in der SL aufgeführt, eine Substitution jedoch aus medizinischen Gründen nicht möglich, muss dies auf der ärztlichen Verordnung bestätigt sein.

Wenn jetzt nichts davon möglich ist, dann darf ich ein importiertes Arzneimittel abgeben, wenn das Arzneimittel aus einem EU- oder EFTA-Land ist, wirkstoffgleich ist, gleiche Indikation hat und vergleichbare Darreichungsform und Packungsgrösse.
In der Praxis sieht das so aus, dass ich versuche, das bei unserem Lieferanten in Deutschland zu bekommen. Als EU Land können sie auch Medikamente aus anderen EU-Ländern liefern. Wenn es nur in England erhältlich ist, das brauche ich einen anderen Lieferanten.
Das übernimmt aktuell (und neu!) die Grundversicherung als Übergangslösung ohne vorgängige Kostengutsprache.

Problem: was bei uns fehlt, ist oft auch im Ausland knapp. Der Import dauert ein paar Tage. Ich muss herausfinden, wie die Medikamente im Ausland heissen und ob sie lieferbar sind. Kühlmedikamente gehen nicht, Betäubungsmittel gehen nicht, Blutprodukte gehen nicht, viele Medizinprodukte gehen nicht ….

Und dann die Dokumentation dafür!
Ich dokumentier natürlich in unserem Computersystem im Patientendossier, was ich versucht habe und weise den Lieferengpass des fehlenden Produktes mit einem Printscreen der Rückantwort des Grossisten auf Eure Bestellung nach. Falls ausländische Grossisten keine elektronische Meldung zur Nichtverfügbarkeit übermitteln (z.B. Rückmeldung nur per Telefon), dann geht auch eine Mitteilung per Mail. Dieser Nachweis muss der Krankenkasse nur auf deren Verlangen hin gezeigt werden können.

Der Aufwand fürs Suchen einer Alternative wird überhaupt nicht abgegolten.

Ist all das nicht möglich, bliebe noch die Herstellung einer Magistralrezeptur.
Ganz neu wird das von der Krankenkasse auch übernommen, wenn der Wirkstoff in einem SL-Arzneimittel enthalten ist, aber nicht selbst in der ALT (Arzneimittel-liste mit Tarif) aufgeführt ist.
Importierte Arzneimittel dürfen nicht verwendet werden. Die verwendeten Hilfsstoffe müssen alle in der ALT aufgeführt sein. Es kommen die Bearbeitungs-und Gefässtarife der ALT zur Anwendung bei der Abrechnung als Magistralrezeptur (PM SL).

Das Problem hier: Wirk- und Hilfsstoffe sind ebenfalls nur schwer zu erhalten. (Ich habe letztens mal nach Suspensionsgrundlagen gesucht, wie für Ibuprofen-sirup oder Antibiotikasirupe). Das Zeug ist teils teuer. Die Herstellung nicht kostendeckend. Und viele Apotheken sind schlicht nicht (mehr) dafür ausgerüstet:

Wir Apotheker*innen lernen das zwar im Studium, aber in den meisten Fällen ist das Jahre her (bei mir 20) und da es immer weniger gebraucht wurde, ging da viel verloren. Es gibt ein paar (wenige) Apotheken, die sich auf Herstellungen spezialisiert haben.  Die haben dann noch die nötigen Materialien und Ausrüstung im Labor (wie laminarflow, was für sterile Zubereitungen nötig ist). Aber wir reden hier nicht von Herstellungen im Industrieformat. Das geht in einzelnen Fällen – Grossproduktion ist nicht möglich.
Übrigens: ja, in der Schweiz werden Herstellungen durch die Apotheker*innen gemacht und nicht durch die Pharmaassistent*innen, respektive deren neue Berufsbezeichnung Fachfrau/mann Apotheke. Die lernen das nicht einmal mehr.

Man sieht: Hürdenlaufen. Wenn ich an einer dieser Hürden scheitere, bekommt der Patient das wichtige Medikament nicht. Und wenn ich eine mühsam gefundene Alternative nicht korrekt dokumentiere, bekomme ich kein Geld für die Abgabe von der Krankenkasse – und muss das dem Patienten verrechnen. Ich bekomme kein Geld für den Mehraufwand und das braucht immer mehr Zeit dafür.

Situation: schwierig.

Zum Thema gehört auch noch die fraktionierte Abgabe – darüber schreibe ich später.

Lieferengpässe – wenn Medikamente Mangelware werden

Langsam scheint das Thema Lieferschwierigkeiten auch in den Medien anzukommen. Es ist nichts bahnbrechend neues – und im Medikamentenbereich warnen diverse Leute schon seit Jahren permanent deswegen. Es wird nur aktuell grad wieder schlimmer. Einiges schlimmer!

Die Nicht-Lieferbar-Liste unserer Apotheke umfasst inzwischen über 300 Produkte und wird fast täglich länger. Gesamtschweizerisch sind es noch mehr. Man kann die Liste nicht lieferbarer Medikamente hier nachschauen: Drugshortage.ch Herr Martinelli ist Spitalapotheker und betreibt die Seite seit Jahren, unter anderem auch, weil es keine Meldepflicht der Pharmafirmen dafür gibt und keine sonstige zentrale Stelle, die das sammelt. Da sieht es aktuell so aus:

Bei den betroffenen Wirkstoffen ist alles dabei – von Antibiotika über Blutdruckmittel bis zum Zytostatikum. Für die Öffentlichkeit am sichtbarsten wird das momentan bei den Erkältungsmedikamenten, die immer wieder fehlen. Bei Schmerz- und Fiebermitteln (speziell Säfte oder Zäpfchen für Kinder), Nasensprays, Hustenmitteln. Die Schweiz ist ein kleiner Markt und wir haben da meist wenig Ausweichmöglichkeiten. Wenig beruhigend ist es, dass es in Deutschland genau gleich aussieht. Die haben viel mehr an verfügbaren Pharmafirmen und Generika.

An was liegt es?
Die Ursachen sind nicht überall genau gleich. Hier ein paar Erklärungen:

Allgemeiner Grund 1: Es wird fast nichts mehr in Europa produziert. Die allermeisten Wirkstoffe kommen aus Asien (China und Indien). Die Produktion wurde dorthin verlagert, da es billiger ist dort zu produzieren – Arbeitskräfte und auch weil sie weniger Rücksicht auf die Umwelt nehmen. Gibt es bei der Herstellung eines Wirkstoffes ein Problem (Firma brennt ab oder wird überflutet, Arbeiter fallen aus, da krank) wirkt sich das auf weitere Firmen aus, die aus dem Wirkstoff Tabletten / Kapseln / Injektionslösungen etc. machen. Dann fällt oft die ganze Wirkstoffklasse weg.

Ebenso fallen Rückrufe darunter wegen Qualitätsmangel. Es kommt (immer häufiger?) vor, dass wir Rückrufe von Medikamenten haben, weil festgestellt wurde, dass die Firma nicht nach QMS gearbeitet hat / dass (giftige) Stoffe gefunden wurden, die nicht da rein gehören / dass es neu Stabilitätsprobleme gibt / der Wirkstoffgehalt nicht dem deklarierten entspricht … Da fallen dann oft gleich Medikamente von mehreren Firmen weg, weil die alle den Wirkstoff vom selben Ort haben.

Hierunter fallen auch Probleme mit dem Lieferweg. Wenn Covid oder Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Tsunami etc. den internationalen Verkehr praktisch lahmlegen, ein Schiff in einem der Haupthandelsrouten für Container feststeckt (Suezkanal), sie Routen wegen Krieg umplanen müssen – dann hat das Auswirkungen auf alles, was da transportiert wird. Auch Medikamente.

Allgemeiner Grund 2: Medikamente müssen bestellt und dann produziert werden. Das braucht Zeit, deshalb werden sie etwa 1 Jahr vorher bestellt dafür. Impfstoffe wäre ein klassisches Beispiel, aber auch Erkältungsprodukte. Für manches wird die Herstellerfirma vielleicht überrascht durch eine vermehrte Nachfrage. In Deutschland kommt dazu noch das Problem der Rabattverträge: Wenn die Krankenkassen mit den Formen Ausschreibungen veranstalten, welches Medikament sie (möglichst günstig) übernehmen, dann werden die Verlierer-firmen das natürlich nicht mehr in so grossen Mengen herstellen. Wenn die Gewinner-firma dann nicht mehr liefern kann wegen unerwarteter Nachfrage (kommt häufiger vor), ist das Medikament halt gar nicht mehr erhältlich.
In der Schweiz haben wir eher das Problem, dass manche Medikamente tatsächlich so billig werden (hier!) dass es sich für die Firmen nicht lohnt, das im Vertrieb zu halten. Die gehen dann „ausser Handel“ – neustes Beispiel: Digoxin. Das mag mit auch ein Grund sein, dass es bei uns weniger Generika gibt als in anderen Ländern. Muss alles ja auch zugelassen werden (kostet), abgepackt mit speziellen Vorschriften (Beipackzettel in 3 Landessprachen) …

Ein paar Beispiele ohne Namensnennung
– denn das führt nur dazu, dass wir in der Apotheke überrannt werden:

Wichtiges Medikament gegen Diabetes. Es wird aber Off-label (ausserhalb der Packungsbeilage) auch als Mittel zum Abnehmen verwendet. Dann wird es zwar nicht von der Krankenkasse übernommen (wenn die das merken) und muss selber bezahlt werden. Die Nachfrage ist riesig, so dass es inzwischen schon 2x dann über Wochen nicht mehr erhältlich war.

Freiverkäufliches Mittel bei Durchfall bei Kindern. Es wird auf Tik tok gehypt als Mittel gegen den Kater nach Alkoholmissbrauch und in der Folge dermassen häufig verlangt, dass für die Kinder nichts mehr übrig bleibt.

Mittel gegen stabile Angina Pectoris. Einiges ging vor Jahren ausser Handel, es sind hier in der Schweiz sowieso nur noch die retardierten Tabletten erhältlich und auch nur noch von 2 Firmen. Von einem Tag auf den anderen nicht mehr erhältlich (ohne Angabe eines Grundes). Kein Generikum, es ist nicht einmal mehr via Deutschland zu besorgen – da es dort auch fehlt.

Starke rezeptpflichtige Schmerzmittel. Die nicht zu haben oder bestellen zu können, ist wirklich katastrophal. Momentan pflästerlen wir da mit Lieferungen, die wir aus der Reserve des Bundes erhalten. Ich hoffe, die hält noch etwas.

Was machen wir in der Apotheke damit?
Einen schlechten Eindruck erst Mal… auch wenn wir nur der Überbringer der schlechten Nachrichten sind.

Lieferengpässe und nicht lieferbare Medikamente bereiten uns sehr viel Mehrarbeit! Das fängt schon damit an, dass wir, wenn wir etwas nicht an Lager haben bei jetzt allem, was wir für den Patienten bestellen müssen gleich nachschauen gehen, ob es lieferbar ist. Das sind zwar nur ein paar Klicks am Computer und etwas Zeit und sicher besser, als dem später nachrennen zu müssen und den Patienten zu informieren, aber das läppert, da: jedes einzelne Medikament!

Das Medikament ist nicht lieferbar. Dann fängt es an:

Kann ich es mit etwas ersetzen? Etwas gleichwertigem / ein Generikum? Vorwiegend etwas, das ich an Lager habe?
Wenn nicht an Lager: Ist es bei einem anderen Lieferanten / Grossisten bestellbar?
Wenn auch nicht bestellbar: Hat es eine andere Apotheke noch an Lager? – Ich kann das nur für die Apotheken derselben Kette nachsehen. Ich kann das nicht sehen für andere Apotheken – da müsste einzeln abtelefoniert werden.
Wenn auch keine Apotheke das mehr hat: Geht vielleicht eine andere galenische Form? (Zum Beispiel Tabletten statt Flüssig, unretardiert mit anderem Einnahmeintervall…)
Wenn auch so nicht ersetzbar: Kann ich das vielleicht aus Deutschland importieren? Die Krankenkasse muss es dann dem Patienten nicht mehr bezahlen, aber das ist dann ein anderes / nächstes Problem.
Wenn auch nicht importierbar: Kann ich das durch einen anderen Wirkstoff ersetzen? Die Umstellung der Therapie muss allerdings durch den Arzt erfolgen – also muss da Rücksprache gehalten werden.

Wenn wir bis dahin eskaliert haben, ist Ende Fahnenstange. Und die ist leider jetzt schon häufiger erreicht, als mir lieb ist.

Aktuell ist es so, dass ich bei etwa jedem 10. Medikament (oder jedem 3. Patienten) etwas nicht so „einfach abgeben“ kann, sondern ersetzen, nachschauen, abklären muss.
Mangelverwaltung nenne ich das.

Und es wird immer schlimmer.

Weniger Diskutieren, mehr zuhören, Bitte.

Was ist los? Haben die Leute die Fähigkeit verloren zuzuhören? In den letzten Tagen häufen sich in der Apotheke die Anfragen bei denen ich während (zu) langer Zeit etwas erklären und wiederholen muss. Zwei Beispiele?

Gestern:

Ein Mann kommt mit dem Abriss einer Packung Vinyl-Handschuhe in die Apotheke – zu mir. Ich nehme den Abriss, sehe, dass das von einer Packung Handschuhe war, die wir (bis die Lieferprobleme wegen Corona anfingen) an Lager hatten … aber jetzt natürlich nicht mehr.

Pharmama: „Genau die habe ich nicht mehr – aber ich habe andere. Moment.“ Ich gehe und hole eine Packung Handschuhe in L. Nitril, nicht Vinyl, aber auch kein Latex.

Mann: „Das sind nicht die, die ich hatte. Ich will die hier.“

Pharmama: „Tut mir leid, aber wir bekommen diese aktuell nicht mehr.“

Mann: „Aber ich hatte sie von hier!“

Pharmama: „Das stimmt, wir hatten die – aber ich habe im Moment haben wir keine von diesen mehr.“

Mann: „Können Sie bestellen?“

Pharmama: „Ich versuche eigentlich alle paar Tage Handschuhe zu bestellen, aber diese hier bekomme ich nicht. Sie sind nicht lieferbar. Seit längerem.“

Mann: „Bitte bestellen sie welche für mich.“

Pharmama: „Wenn sie möchten, aber …“

Mann: „Wann sind sie da? In ein paar Tagen?“

Pharmama: „Nein, eher nicht …“

Mann: „In einer Woche? Zwei?“

Pharmama: „Wenn, dann wahrscheinlich in ein paar Monaten. Aber ich habe hier welche, wenn sie vorher welche brauchen.“ Zeige ihm nochmal die Packung.

Mann: „Die sind wahrscheinlich nicht gross genug.“

Pharmama: „Das ist auch Grösse L, wie die, die sie hatten.“

Mann: „Aber das sind nicht dieselben. Sie haben sie also nicht und können sie nicht bestellen?“

Pharmama: „Nein.“

Mann: „Sicher nicht? Ich kann auch zahlen?“

Pharmama: „Das ändert leider nichts daran.“

Mann: „Ich versuche es woanders.“

Heute:

Telefon, ich nehme ab mit „Pharmamas Apotheke, Pharmama?“ Startet die Frau am anderen Ende der Leitung damit, dass wir eine Weinlieferung für (Name) haben, die sie morgen ausliefern.

„Wein? Sind sie sicher? Wir bestellen eigentlich keinen Wein – und ich glaube auch nicht, dass das für einen unserer Kunden ist.“

Doch, doch, versichert sie mir, wir hätten das auch schon gemacht. (Das wüsste ich aber). Sie war voll überzeugt – ich gar nicht … bis ich sie schliesslich gefragt habe: „Sind Sie sicher, dass Sie an der richtigen Adresse sind? Hier ist Pharmamas Apotheke. In (Ort)“

„Pharmamas Apotheke in (Ort)…? Oh. Nein. Da bin ich wohl falsch. Ich wollte eigentlich nach (total anderer Ort).“ – und wahrscheinlich auch keine Apotheke.

Echt jetzt? Ich meine, ich melde mich. Deutlich und langsam.

Das waren in beiden Fällen 15 Minuten, die ich gerne zurück hätte.

Padma 28 Ade (ein COVID-Opfer)

Wir sind bisher weitgehend um die gefürchteten Lieferschwierigkeiten der Medikamente wegen des neuen Coronavirus herumgekommen. Das mag damit zusammenhängen, dass viele von uns die Lager bei den wichtigen Mitteln aufgestockt haben und inzwischen auch wieder produziert wird. Dennoch sehen wir die Auswirkungen. An die 100 Medikamente sind bei uns in der Apotheke nicht lieferbar. wir erhalten Meldungen über Produkte, die nicht mehr produziert werden (zum Glück gibt’s bei den meisten doch noch zumindest ein Generikum). Aber die Nachricht im August, dass es das Padma 28 so wie wir es kennen nicht mehr geben wird, hat mich doch getroffen.

Das Mittel Padma 28 war schon immer etwas speziell. Ein Arzneimittel auf „Tibetischer Grundlage“ mit einer Vielzahl exotischer Inhaltsstoffe (wie Aconit oder Campher). Deshalb auch vielleicht um so überraschender, dass dafür richtige Studien gemacht wurden, so dass die Wirkung bewiesen wurde – und das Mittel via Zusatzversicherung oder mit anderem Namen (Padmed Circosan in der genau gleichen Zusammensetzung) von der Krankenkasse in der Grundversicherung übernommen wurde.

Padma 28 (Padmed Circosan) wirkt bei Durchblutungsstörungen mit Beschwerden wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Schwere- und Spannungsgefühl in den Beinen und Armen, Einschlafen von Händen und Füssen und Wadenkrämpfen.
Wirkstoffe: Pulvis ex Aegle sepiar fructus 20 mg, Aquilegiae vulgaris herba 15 mg, Aucklandiae radix 40 mg, Calcii sulfas hemihydricus 20 mg, Calendulae flos cum calyce 5 mg, d-Camphora 4 mg, Cardamomi fructus 30 mg, Caryophylli flos 12 mg, Kaempferiae galangae rhizoma 10 mg, Lactucae sativae folium 6 mg, Lichen islandicus 40 mg, Liquiritiae radix 15 mg, Meliae tousend fructus 35 mg, Myrobalani fructus 30 mg, Pimentae fructus 25 mg, Plantaginis lanceolata folium 15 mg, Polygoni avicularis herba 15 mg, Potentillae aureae herba 15 mg, Santali rubri lignum 30 mg, Sidae cordifoliae herba 10 mg, Aconiti tuber 1 mg, Valerianae radix 10 mg

Weil einer der pflanzlichen Inhaltsstoffe aus einer offiziell geschützten Pflanze stammt (Aconit / Eisenhut), bekam das Mittel in Deutschland irgendwann eine andere Zusammensetzung: ohne diese Pflanze und den Namen Padma basic. In der Schweiz war die Originalzusammensetzung aber weiterhin im Handel. Es wurde uns versichert, dass sie die betreffende Pflanze nur aus selber angebauten Feldern verwenden und keinesfalls aus Wildsammlungen, ausserdem haben wir eine etwas andere Gesetzgebung als die EU. Wir hatten Leute, die extra aus dem Ausland anreisten um es weiter in der Originalzusammensetzung zu erhalten. Eigentlich darf man es aber nicht einführen (eben wegen der geschützen Pflanze) … es sei denn, die Packung ist wirklich für den Eigengebrauch gedacht. Der Tipp war, die Packung zu öffnen und eine der Tabletten herauszudrücken / zu nehmen. 

Das Problem der Wirkstoffbeschaffung hat sich angekündet, zuerst mit dem roten Sandelholz:
Da es sich um ein edles Naturholz handelt, wurde es immer schwieriger das indische rote Sandelholz nachhaltige und artengerechte zu beschaffen. Covid-19 und dem daraus folgenden Lockdown in Indien behindern dies noch zusätzlich.“ Sie stellten also Kapseln ohne das Sandelholz her, weil „durch die vernetzte Wirkung der einzelnen Pflanzen (über 20 in PADMA 28) (kann) der Ausfall eines Bestandteiles durch die anderen aufgefangen werden. Insbesondere vom roten Sandelholz, da es nur als unterstützende Komponente beigefügt wird.“ Das Vorgehen wurde von der Schweizer Behörde genehmigt. Sie hat somit Padma 28 ohne Sandelholz als gleichwertig anerkannt. Es existieren deshalb aktuell Packungen mit der Aufschrift „ohne rotes Sandelholz“

Das hat aber offenbar nicht ausgereicht. Deshalb ändern sie jetzt noch mehr:
Der Sommer 2020 bringt für PADMA eine grosse Veränderung mit sich. Mit rund 50 Jahren Erfahrung und dem Wissen zur tibetischen Medizin haben wir uns dazu entschieden, die bekannte 28er Rezeptur weiterzuentwickeln. PADMA 28 active ist eine Fortführung der bewährten Rezeptur in gewohnter PADMA-Qualität. Das Nahrungsergänzungsmittel PADMA 28 active unterstützt einen gesunden Kreislauf und das Immunsystem.

Eine gesunde Durchblutung unterstützt die Zellernährung, was wiederum für die Zellgesundheit wichtig ist. Wirkstoffe: Isländisches Moos 40 mg, Amlafrüchte 35 mg, Myrobalanenfrüchte 30 mg, Terminaliabellirica-Früchte 30 mg, Kardamom 30 mg, Vitamin C 28 mg, Nelkenpfeffer 25 mg, Alantwurzel 25 mg, Marmelosfrüchte 20 mg, Calciumsulfat 20 mg, Weissdornblüten und -blätter 15 mg, Süssholz 15 mg, Spitzwegerich 15 mg, Vogelknöterichkraut 15 mg, Gänsefingerkraut 15 mg, Gewürznelken 12 mg, Ingwer 10 mg, Herzgespannkraut 10 mg, Baldrian 10 mg, Gartenlattich 6 mg, Ringelblumenblüten 5 mg, natürlicher Campher 4 mg.

Die Padma 28 active sind nur noch als Nahrungsergänzungsmittel ohne Listung zugelassen. Die Krankenkasse wird dementsprechend auch nichts mehr daran bezahlen. 

Padma 28 ändert also definitiv in Padma 28 active. Ob es das Padmed Circosan weiter geben wird? Unbekannt (aber nicht sehr wahrscheinlich). Momentan haben wir noch Packungen von beiden an Lager, aber wenn das aus ist … :-(

No,no, no: Noch kein Notstand

Ich bin seit ein paar Tagen wieder zurück in der Schweiz – und der Virus hat uns empfangen. Von Juniors Schule ein Infoblatt, dass die Schule stattfindet, mit speziellen Verhaltensregeln (kein Kontaktsport, gestaffelte Pausen, Händewaschlektion), dass aber Leute, die in Italien in den Ferien waren (oder anderen Hochrisikogebieten wie China, Taiwan etc.) zu Hause bleiben müssen: 14 Tage lang. Da Thailand nicht auf der Liste ist, ging Junior also.

Der Rückflug war übrigens ausgesprochen ruhig. Nicht nur, dass das Flugzeug nicht voll war (ungewöhnlich), kaum einer hat gehustet oder geniest oder sich geschneuzt. Entweder waren alle erstaunlich gesund, oder es hat sich keiner getraut. Weder bei der Ausreise in Thailand noch bei der Einreise in der Schweiz wurden irgendwelche Fragen gestellt oder Tests (auch kein Fiebermessen) gemacht. Dafür empfängt uns am Flugplatz das neuste Infoplakat des BAG:

Montag stieg ich in der Apotheke in den „neuen Alltag“ ein. Von Panik würde ich hier nicht sprechen. Aber der Mehraufwand den das Virus uns (jetzt schon) in der Apotheke beschert ist nicht zu übersehen. Die Fragen nach Masken sind Dank Schild („Keine Masken mehr“) auf weniger als 10 pro Tag heruntergegangen, dafür haben wir viele mit Nachfragen nach Händedesinfektionsmittel. Die Markenartikel (Sterillium und Co.) sind aus und wir bekommen auch in absehbarer Zeit keine mehr. Selbst hergestelltes Desinfektionsmittel ist auch aus – und Alkohol zum herstellen ist keines lieferbar. Von Zeit zu Zeit bekommen wir wieder etwas in Grossgebinden, das wir dann in Fläschchen abfüllen. Aktuell sind uns aber auch die Fläschchen am ausgehen. Angebote betreffend Masken und auch Grossgebinde Desinfektionsmittel gibt es immer wieder, aber … puh. Die Preise, die manche dafür wollen! Und andere bieten ihr Produkt als „hochwirksam gegen Viren“ an – und wenn man nachschaut, wurde das nie getestet und der Hersteller selber behauptet das auch nicht.

Wir haben also immer wieder Desinfektionsmittel, aber empfehlen den Leuten Händewaschen – und geben aktuell nur wenige Fläschchen pro Einkäufer heraus. Andere brauchen / wollen das auch. Man sollte auch daran denken, dass es für den Schutz optimalerweise nicht nur den eigenen Einsatz braucht, sondern auch den der Umgebung. Und wenn man alles Desinfektionsmittel selber aufkauft (oder die Seife – mein Mann stand im Supermarkt vor einem leeren Regal), dann ist das auch … suboptimal.

Dann gibt es Leute, die Masken und Desinfektionsmittel wirklich brauchen für die Arbeit (im Spital, Pflegeheim, Zahnärzte) und denen gehen die Sachen so langsam auch aus. Ein Arzt aus einem anderen Kanton hat mir gemeldet, dass sie pro Praxis vom Gesundheitsamt 5 (!) FFP3 Masken geschickt bekommen haben. Die werden aktuell wie der Schatz der Nibelungen gehütet. Bei uns sieht es ähnlich aus. Wir haben für die Mitarbeiter ein Pandemie Set. Das wird aber noch nicht geöffnet. Die Schweiz hat mehr Material bestellt (amüsanterweise aus China) – das hängt jetzt in Deutschland und Frankreich fest, die einen Exportstopp dafür veranlasst haben. Ein weiteres Zeichen unserer Abhängigkeit vom Ausland (und NEIN, ich bin nicht für einen EU Beitritt).

Die nicht lieferbaren Medikamente sonst haben noch nicht merklich zugenommen – aber da sind wir ja schon vor Beginn der Corona-Geschichte nicht wirklich glücklich mit der aktuellen Situation gewesen. Es gibt auch hier Leute, die deshalb Hamsterkäufe tätigen wollen, aber da wir nicht mehr als Mengen für 3 Monate aufs Mal abgeben sollen (schon vorher) ziehen wir das jetzt einfach etwas strenger durch.

Aktuell ist es bezüglich Erkältungen aber recht ruhig in der Apotheke – offensichtlich hält sich die Bevölkerung daran, bei Erkältungssymptomen spezifisch: Fieber UND Atemwegsbeschwerden zu Hause zu bleiben. Manche schicken Verwandte in die Apotheke. Viele verweisen wir dann an die Ärzte: „Bitte rufen Sie ihrem Hausarzt an.“ Der kann auch am Telefon schon einiges triagieren – Fast lustig: jetzt machen sie wohl alle Telemedizin. Unser Telefon läutet genauso unablässig. Bestellungen, Nachfragen, etc. – macht auch Sinn, wenn das dann den Aufenthalt der Leute in der Apotheke (Risikozone) verkürzt. Trotzdem haben wir zusätzliche Schutzmassnahmen ergriffen. Ausser regelmässigem Händewaschen und -desinfizieren, desinfizieren wir die Oberflächen, erledigen mehr im Backoffice, schränken Dienstleistungen die nahen Kontakt erfordern auf ein Minimum ein (respektive tragen Masken dabei). Und seit gestern gibt es auch bei uns Plexiglasscheiben vor der Kasse. Ein (nicht ganz kompletter) Spritzerschutz, besser aber als mit Maske zu arbeiten – das wirkt schon arg abschreckend.

Seit gestern Abend gilt der neue Coronavirus oder COVID-19 offiziell als Pandemie. Das war zu erwarten – was mich fast etwas enttäuscht ist, dass sie dafür noch keinen Trivialnamen haben. Sowas wie die Vogelgrippe oder die Schweinegrippe. Da keine „Grippe“ hätte ich erwartet, dass das Ding etwas wie Schlangenseuche oder Fledermausirgendwas genannt wird, aber vielleicht ist es ganz gut dass das nicht passiert ist – die Tiere können ja nichts dafür.

Es wird weitere Massnahmen geben. Wir teilen unser Personal in Risikogruppen ein. Als Gesundheitspersonal „dürfen“ wir nicht einfach der Arbeit fern bleiben – Soviel zur Frage, ob wir die Apotheke bei einem COVID-19 Fall ganz schliessen müssen. Das wird nicht passieren. Seit heute wissen wir auch, was da zu tun ist:

Gesundheitsfachpersonen mit Patientenkontakt, die privat oder beruflich ungeschützt Kontakt mit einem bestätigten COVID19-Fall hatten, arbeiten weiter, tragen ständig eine chirurgische Maske und achten auf eine einwandfreie Händehygiene. Sie überwachen ihren Gesundheitszustand; beim Auftreten von Symptomen lassen sie sich testen und bleiben der Arbeit fern.

Risikopatienten unter dem eigenen Personal (über 65, respektive mit chronischen Erkrankungen) sollen mehr im Backoffice arbeiten und sich vorne schützen. Wenn wir wegen Ausfällen die Öffnungszeiten verkürzen müssen, muss das dem Kantonsapotheker gemeldet werden. Ansonsten gilt: „The Show must go on„.