Alt, Uralt, Vintage?

Vorausschickend: Alcacyl ist ein ziemlich altes Mittel mit Acetylsalicylsäure in der Schweiz. Dicke Tabletten im Metallröhrchen (immer noch). Eigentlich sind die auch nicht zum schlucken gedacht (zu gross, kleben ziemlich nett im Hals) sondern zum suspendieren in einem Glas Wasser und so einnehmen. Ich denke, das machen auch heute noch viele, die dieses (alte) Mittel nehmen falsch. Aber … darum ging es in dem Gespräch nicht:

Mann in der Apotheke: Er ist ein schon lange pensionierter Arzt, mit dem ich gelegentlich gerne fachsimple. Heute allerdings …

„Ich habe da zuhause noch 2 Röhrchen Alcacyl gefunden, kann ich die noch nehmen? Die von Wander …“

Huh? Ich bin etwas verwirrt. Ich kenne Alcacyl: Die sind von Hänseler.

Er: sieht wohl mein leicht verwirrtes Gesicht und will elaborieren: „ … grüne Packung …“

Das hilft mir jetzt nicht, heute sind die rot-orange. Bis vor 2 Jahren waren sie durchgehend orange …

Er: „… und das Verfalldatum ist 1987.“

Neee – echt jetzt?!

Pharmama: „Ah – haben Sie da schon mal dran gerochen? Die stinken sicher nach Essig.“

Er: „Ja genau – dann denken Sie also auch, ich soll die nicht mehr nehmen?“

Pharmama: „Jaaa – die sind doch etwas alt. Die Acetylsalicylsäure baut sich nämlich zu Essigsäure ab … deshalb der Geruch. Bei denen merkt man es wenigstens.“

Ich habe ihm also abgeraten, aber angedeutet, dass ich die Packungen wirklich gerne für mein Packungsmuseum hätte … und habe sie bekommen!

alcacyle

unten: rot-orange, Packung 2017 / mitte rechts: orange, Packung bis 2015 / mitte links: türkis-orange: Packung bis ca. 2000? / oben: türkis, Packung bis ca 1990`?

Wer das besser weiss, wie die Jahrgänge sind: bitte melden!

Wie stelle ich ein Rezept aus – Anno 1936 (7)

Aus dem Buch Rezeptierkunde – Leitfaden zum Verschreiben und Anfertigen von Rezepten von Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Das hatten wir schon:

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (1) Einleitung

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (2) Zusammenarbeit mit Apotheken

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (3) – wie sieht das Rezept aus?

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (4) – Anwendung und lateinische Formulierung

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (5) – Dosierungsangaben und Aufschreiben von Arzneistoffen / Spezialitäten

Wie stelle ich ein Rezept aus – Anno 1936 (6) – wie finde ich die richtige Dosierung

und heute: Spezielle Dosierung bei Schwangeren und Kindern

Bei schwangeren Frauen denke man daran, dass die meisten Arzneien auch auf den Fötus übergehen. Auch bei stillenden Frauen ist es besser, tunlichst jede Arzneimedikation zu vermeiden, denn viele Arzneien gehen in die Milch über.
Bei Frauen und Greisen pflegt man überhaupt mit der Dosis herunterzugehen.

Durch die Einnahme der Arznei in verzettelter Dosis (dosis refracta) kann die Wirkung gesteigert werden (Bürgi), so dass man zuweilen mit kleineren Mengen auskommen kann …

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Aus heutiger Sicht ist das nur mehr als logisch. Wirkstoffe haben pharmakologisch gesehen 2 „Grenzen“, die man beachten muss – gemessen im Blutspiegel. Die untere Grenze ist der für die Wirkung benötigte Mindestspiegel, die obere Grenze ist der Spiegel ab dem es für den Körper giftig wird. Um zwischen diesen Grenzen zu bleiben ist es tatsächlich sinnvoll, Medikamente in mehreren (teils kleineren) Dosen zu verabreichen als einmal am Tag eine Riesen-Menge zu geben – je nach Stoff schiesst man da nämlich erst mal oben über die Toxizitätsgrenze und fällt dann – je nachdem, wie schnell das abgebaut wird – mehr oder weniger rasch wieder unter die Wirkgrenze.

Dann folgt ein längerer Exkurs über Die Dosierung in der Kinderpraxis.

Das Problem hier besteht noch heute: Man weiss noch immer bei vielen Medikamenten nicht wirklich, wie man die Dosieren soll – es gibt zuwenig Tests und wenig Erfahrensberichte bei den meisten.

So hinterlässt mich das Kapitel nicht viel weiser ..

Leider gibt es keinen richtigen, allgemein befriedigenden Schemata für die Arzneidosierung in der Pädiatrie. Einen gewissen Anhaltspunkt bietet das Körpergewicht …

Jung hat eine Formel aufgestellt, nach der die Menge folgendermassen berechnet werden kann:
Alter des Kindes /Alter des Kindes + 12

D.h. Ist das Kind 2 Jahre alt, dann ist seine Dosis: 2/2+12 = 2/14 = 1/7
= somit 1/7 der Dosis des Erwachsenen

Oder man gibt dem Kind soviel Zwanzigstel von der Dosis vom Erwachsenen als das Kind Jahre zählt.
Ein 2 jähriges Kind bekommt 2/20 = 1/10 der Dosis des Erwachsenen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Man sieht schon: ein ziemlicher Unterschied. Viel mehr bringen auch die Tabellen, die er danach bringt nicht – verschiedene Ansätze, verschiedene Ergebnisse.

Von 1/8 bis 3/10 bis 1/5 der Erwachsenendosierung … alles Daten für 2 Jährige.

Und er warnt auch.

Bei der Anwendung dieser Formeln darf man aber nicht vergessen, dass das Körpergewicht und das Alter des Kindes keineswegs genügende Kriterien für die Dosierung sein können. Manche Arzneien werden vom Kinde besser vertragen als vom Erwachsenen in der entsprechenden Dosierung

Die folgenden Arzneien werden dem Kinde in entsprechend grösseren Dosen gegeben als dem Erwachsenen: Sulfanilamide, Avertin, Antipyrin, Natriumcacodylat, Belladonna, Bromide, Vitamin K, Vitamin D2 (Vaille Presse Medicale 1943)

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Es gbt aber durchaus auch das Gegenteil, auch wenn er da hier nicht darauf eingeht. Die Aufnahme und Verteilung ist beim Säugling nämlich auch anders als beim Kind und beim Erwachsenen. Der Darm ist noch anders aufgebaut, die Enzymaktivität im Körper ändert, Wasser-und Fettverteilung des Körpergewebes … es ist unglaublich komplex.

Am besten wäre es, wenn man in der Säuglings- und Kleinkinderbehandlung stets in refracta dosi ordinieren könnte. D.h. in wiederholten, tastenden kleinen Gaben bis zum Eintritt der Wirkung. Eine grosse Vorsicht ist auf alle Fälle bei der Säuglingsdosierung am Platze.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Und das kann ich unterschreiben. Damit beenden wir das heutige Kapitel Rezeptierende :-)

Wie stelle ich ein Rezept aus? Anno 1936 (6)

Aus dem Buch Rezeptierkunde – Leitfaden zum Verschreiben und Anfertigen von Rezepten von Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Heute befassen wir uns mit der Frage: wie komme ich auf die richtige Dosierung? Man bedenke, dass es damals noch kaum Fertige Spezialitäten gab – und dementsprechend auch keine Packungsbeilagen und Fachinformationen zum Medikament.

Der Arzt kann entsprechend der Indikation jede Arznei verschieden oft einnehmen lassen. Gewöhnlich pflegt man die Digitalis in Form eines Infusum 2-stündlich zu verabreichen. Brom wird bei der Epilepsiebehandlung auf den Tag verteilt gegeben.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Fingerhut-Tee?! Brom?! Uiuiui.

Fingerhut fällt heute klar unter die Giftpflanzen – wegen der stark wirksamen Inhaltstoffe. 2 Blätter reichen für eine tödliche Vergiftung. Verwendet wurde der Fingerhut wegen der enthaltenen Herzglykoside gegen Herzschwäche und damit verbundene Ödeme sowie zur Senkung der Herzfrequenz. Die Dosierungen müssen aber sehr genau kontrolliert sein, da man wegen der geringen therapeutischen Breite rasch zu viel geben kann und dann wirkt er eben giftig. Bei der Gabe von Tee … der je nach Ziehdauer und verwendeten Pflanzenteilen sehr unterschiedliche Mengen Inhaltsstoffe haben kann ist das kaum gegeben. Aber das war der Vorläufer der späteren Digoxin Tabletten – die aber heute wegen Nebenwirkungen und besserer Alternativen auch kaum mehr verwendet werden.

Und Brom war früher sehr beliebt in Arzneimitteln, zum Beispiel als Kaliumbromid ind Narkose-Beruhigungs und Schlafmittel und es war das älteste Antiepileptikum. Heute ist es obsolet. Lies: Bitte NICHT mehr brauchen! Es führte vor allem, weil es zu hoch dosiert wurde häufig zu chronischen Bromvergiftungen mit Nervenschäden und Hautproblemen…

Will der Arzt die maximale Dosis von vornherein verabreichen, oder sie gar überschreiten, so muss er ein Ausrufezeichen bei der Dosis anbringen. Z.B.
Morphini hydrochlorici 0.04 (!).
Dabei muss die Menge auch noch in Worten ausgeschrieben werden. Der Apotheker weiss dann, dass der Arzt die grössere Menge verabreicht haben möchte und darf mit ruhigem Gewissen die Arznei abgeben. Die Verantwortung trägt in diesem Fall nur der Arzt.

Die Dosis maxima, d.h. die Dosis, die noch ohne Gefahrgegeben, aber nicht überschritten werden darf, liegt zwischen der Dosis therapeutica und der Dosis toxica. Man kennt noch die Dosis letalis minima und die Dosis letalis.
So z.B. ist die
Dosis medicinals für das Morphin. Hydrochl. 0,005 bis 0,01
Dosis maxima pro dosi 0,03!
Dosis medicinalis pro die 0.03
Dosis letalis minima 0,1
Dosis letalis oberhalb von 0,1
Das heisst, dass bei 0,1 eventuell schon der Exitus eintreten kann. Der Patient vermag aber möglicherweise davonzukommen. Der Arzt tut gut, mit möglichst kleinen Mengen anzufangen, so beim Morphin mit 0,005.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

"Der Exitus" = "der Abgang" ist eine Bezeichnung für den (plötzlichen) Tod des Patienten.

Irgendjemand muss auch die letalen Dosen mal getestet haben. Im Buch sind Tabellen mit den therapeutischen und den Maximaldosen für die verschiedenen Wirkstoffe enthalten. Ziemlich übersichtliche Liste von 4 Seiten Länge …

Heute hat man nicht nur mehr Arzneistoffe, man weiss auch mehr über sie. Speziell die neuer entwickelten wurden und werden vor und nach Markteinführung genau untersucht. Wir kennen übliche Dosierungen und Maximal-Dosierungen, wir wissen, was bei Überdosierung passiert, kennen den / die Wege im Körper und auch wie sie wirken.

Letale Dosen findet man indirekt vielleicht noch bei den Chemikalien – heute allerdings in versteckter Form bei der Einteilung der Warnsymbole.

Aber was mir immer wieder auffällt ist meine eigene Reaktion, wenn ich die damals verwendeten Mittel sehe: Uh, ehrlich?! Etwas primitiv, nicht? Und manches wirklich gefährlich – heute weiss man es besser.

Aber ist das wirklich so? Gut, wir wissen besser Bescheid über manche der verwendeten Stoffe, haben viel gelernt, wie der Körper funktioniert und wo die Stoffe eingreifen. Nur: wie sehen wir das wohl in 70 Jahren? Vielleicht schauen wir dann auf manches heute verwendete gleich zurück.

Das Wissen ändert.

Das muss man sich immer vor Augen halten.

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (1) Einleitung

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (2) Zusammenarbeit mit Apotheken

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (3) – wie sieht das Rezept aus?

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (4) – Anwendung und lateinische Formulierung

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (5) – Dosierungsangaben und Aufschreiben von Arzneistoffen / Spezialitäten

Wie stelle ich ein Rezept aus – Anno 1936 (4)

Aus dem Buch Rezeptierkunde – Leitfaden zum Verschreiben und Anfertigen von Rezepten von Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Was muss alles auf das Rezept?

Die Anwendung:

Später folgt das S: Signa oder signetur, die Angabe des Arztes für den Patienten. Der Apotheker schreibt diese Vorschrift des Arztes für den Patienten ab: wie oft und auf welche Weise er das Mittel einnehmen soll, vor dem Essen oder nach dem Essen, mit wieviel Wasser oder ohne Wasser usw. Der Arzt kann es vermeiden alles auf das Rezept schreiben zu lassen, dann soll er aber nicht vergessen den Patienten auf das genaueste aufzuklären: schon mancher Patient hat sich die grösste Mühe gegeben, eine Tablette ohne Wasser herunterzuschlucken oder auch ein Suppositorium, ohne es vom Stanniol zu befreien, in das Orificium ani zu stecken. Der Apotheker schreibt in diesem Falle auf die Arznei: Nach Bericht zu nehmen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Tabletten ohne Wasser? Genau angeben, wieviel Wasser? Heute fast nicht mehr verständlich … immerhin gehören Tabletten zu den häufigst angewendeten Arzneiformen – da fällt das wohl unter Allgemeinbildung. Aber auch ich hatte schon Leute, die Kapseln gekaut haben. Und Zäpfchen versucht haben zu schlucken … von dem her finde ich das ‚zu nehmen’ in der Beschreibung auch nicht optimal .

Die Sprache des Rezeptes ist, wie gesagt, lateinisch. Bei den mangelnden Kenntnissen in lateinischer Sprache ist auch das Latein kein reines Latein mehr, sondern ein Gemisch von lateinischen und landessprachlichen Worten, eine Art „Barbarismus“. So z.B. liest man auf einem Rezeptformular:
„Detur in einem braunen Glas“ oder „Adde einen Tropfer“ usw. Diese lateinisch-deutsche Sprachmengerei hat sich aber so eingebürgert, dass kein Arzt oder Apotheker an ihr Anstoss nimmt …

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Heute ist das Latein weitgehendst aus dem Rezept verschwunden. Man findet es höchstens noch bei Rezepturen oder Anmerkungen …

Die Arzneimittel werden verschrieben im Genitiv. Z:B. Rp. Kalii iodati 4.0
Soll heissen: Recipe quattuor grammata Kalii iodati, Nimm des Kalii iodati 4 g

Im allgemeinen ist es nicht statthaft, das Rezept zu stark abzukürzen. So z.B. wenn der Arzt das Kalium chloratum (KCl) abkürzt als Kal. Chlor., so könnte der Apotheker wenn er nicht daran denken würde, das Kalium chloricum abgeben (KClO3), das ein starkes hämolytisches Gift ist.

Der Arzt kürzt überhaupt sehr gerne ab, besonders wenn er nicht den Genitiv ableiten kann, was leider sehr oft der Fall ist: da hilft der Punkt aus. So machen z.B. die meisten Studierenden einen Fehler beim Genitiv der Kalomels: man liest sowohl Calomeli, wie auch bei den besser orientierten Calomelani trotzdem ist beides falsch: richtig ist Calomelanos.
Schreibt der Arzt Calomel., so ist der Punkt ein Helfer in der Not: dem Apotheker nimmt er die Gelegenheit sich im Stillen über den ungebildeten Doktor lustig zu machen, und dem Arzt gibt er die Möglichkeit, seine Unkenntnis zu verbergen.
Abkürzungen sind somit gestattet, sofern sie zu keinen Verwechslungen mit anderen Substanzen oder zu Irrtümern Anlass geben können.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Jetzt mal Hand hoch, liebe Apotheker: wer von Euch hätte die richtige Form des Genetivs gewusst? Irgendwelche Lateiner unter Euch? Ich muss zugeben: ich hatte Latein … aber 20 Jahre später – und ich wusste das auch nicht mehr. Mit Abkürzungen muss man aber auch heute noch sehr vorsichtig sein. Nicht jeder Apotheker kann wissen, dass TDF Tardyferon heissen soll – auch wenn das vielleicht in dem Spital üblicherweise so abgekürzt wird.

Das Calomel. hat mich interessiert – sagte mir so gar nichts, also habe ich es nachgeschlagen:

Kalomel = Quecksilber(I)-chlorid (von altgriechisch kalos ‚schön‘ und melas ‚schwarz‘, also „schönes Schwarz“; früher auch süßes Quecksilber, Quecksilberchlorür oder Quecksilberhornerz) ist ein farbloser Feststoff, der sich in Wasser nur sehr wenig löst und bei ca. 380 °C sublimiert. Die Summenformel lautet Hg2Cl2.

Da es wegen seiner äußerst geringen Wasserlöslichkeit vom Körper kaum resorbiert wird, fand es vielfältige Anwendung in der Medizin: gegen Entzündungen in Nase und Rachen, als Abführmittel, zur Anregung der Gallenfunktion, gegen Brechdurchfall, bei Wassersucht, Milz-, Leber-, Lungenleiden und gegen Syphilis, sowie äußerlich gegen Hornhautflecken, Geschwüre und Feigwarzen.

Außerdem wurde es bis in die 1990er-Jahre als Spermizid in chemischen Verhütungsmitteln eingesetzt.

– Umm, noch etwas, was heute ausser vielleicht in Homöopathika nicht mehr zu finden ist. Brrrr. Aber damals noch gang und gäbe.

​Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (1) Einleitung

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (2) Zusammenarbeit mit Apotheken

Wie stelle ich ein Rezept aus – anno 1936 (3) – wie sieht das Rezept aus?

Wie stelle ich ein Rezept aus – Anno 1936 (3)

(Jetzt wird's spannend :-)

Aus dem Buch Rezeptierkunde – Leitfaden zum Verschreiben und Anfertigen von Rezepten von Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Das Rezept (wahrscheinlich aus praeceptum = Vorschrift, und nicht aus recipe entstanden) bedeutet eine Vorschrift, eine Anweisung an den Apotheker. Es wird in lateinischer Sprache abgefasst und zum Zeichen der guten Beziehungen zwischen Arzt und Apotheker wendet sich der Arzt an den Apotheker per Du:
Rp. – Recipe = Nimm.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Das habe ich leicht anders gelernt :-) obwohl ich diese Erklärung noch süss finde. Das Recipe ist nämlich ein Imperativ, also die Befehlsform (das Ausrufezeichen kam erst später – so um 1700 in die Schrift), es heisst also nicht nur Nimm. Sondern: Nimm! … und das ist dann nicht mehr ganz so nett.

Das Rezept ist ein Dokument nicht nur im landläufigen Sinne. Denn wenn der Apotheker oder der Arzt oder meistens beide zusammen wegen einer Vergiftungsvermutung zur Verantwortung gezogen werden, wird das Rezet zu einem richtigen Dokument im juristischen Sinne und zu einem Verhandlungsgegenstand. Kobert sagt auch auf Grund eines Vergiftungsfalles in Strassburg vom Rezept: „Ein so unscheinbares Papier es auch ist, so kann es doch 3 Menschen unglücklich machen, nämlich – den Patienten, den Apotheker und den Arzt.“
Der erste, der zur Verantwortung gezogen wird, ist der Apotheker; denn er hat Zeit, sich in aller Ruhe das Rezept anzusehen und er kann auch die Rezeptvorschriften nach der Pharmakopoöe nachkontrollieren. Im Falle einer undeutlichen Dosierung oder Überdosierung hat er die Pflicht, den Arzt zuerst anzufragen. Nur wenn der Arzt das Rezept deutlich ausschreibt und dem Apotheker genau zu verstehen gibt, dass er eine grössere Menge verabreicht haben möchte, ist der Apotheker von seiner Verantwortung befreit und die Schuld wird dann auf den Arzt übertragen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Interessant, dass er praktisch mit den rechtlichen Sachen anfängt. Im übrigen ist das heute auch noch so … auch wenn der Apotheker nicht „zwingend“ zuerst haftet … aber auch!

Aktuelles Beispiel im Apotheke-adhoc.de – wobei ich da finde, dass die Apotheke wirklich nachlässig gehandelt hat – hatte sie doch tatsächlich alle relevanten Informationen. Tabletten für ein Einmonatiges Kind? Das muss auffallen! Weil es Tabletten sind für so einen Winzling. Weil die Dosierung nicht stimmt Von daher finde ich in dem Fall das Urteil gerecht. Es gibt Grenzfälle – wie wenn die Diagnose dem Apotheker nicht bekannt ist. Wenn die Interaktion mit einem Medikament von einem anderen Arzt ist -und die Apotheke nicht informiert wurde, dass das Medikament auch genommen wird und ähnliches.

Wie jedes offizielle Dokument muss das Rezept mit Tinte oder Tintenstift geschrieben werden. Das gewöhnlich verwendete Papierformat ist 1/8 Bogen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Tinte? Okay – sehe ich heute noch, ist aber inzwischen eher die Ausnahme. Aber es ist schon klar warum: Kugelschreiber? Eigener Drucker? Was ist das? (Immerhin ist die Zeit 1936). 1/8 Bogen dürfte – wie heute noch oft gebräuchlich A6 sein

Wie auf jedes Dokument gehört auch auf das Rezept unbedingt das Datum. Dieses wird gegenwärtig kaum mehr vergessen, weil die Ärzte vorgedruckte Rezeptformulare verwenden, auf welchen der Name des Arztes und die Eintragungsstelle für das Datum angegeben sind. Gewöhnlich werden die Rezepte in die Mitte des Blattes geschrieben, um dem Apotheker noch Platz zu lassen für Notizen, Taxpreise und andere Bemerkungen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Rezeptvordrucke werden bei uns neben Computerausdrucken auch heute noch verwendet, nur dass es kein eigenes Feld mehr für das Datum gibt – was wahrscheinlich erklärt, dass das gelegentlich (wieder) fehlt. Was schlecht ist.

Und noch heute haben viele Rezepte auf der linken Seite ein Band als „Platzhalter“ dafür, auch wenn wir das immer weniger brauchen. Wichtiger heute wäre genug Platz für die Etiketten zu lassen, die drauf kommen – und wo so ziemlich alles draufsteht: abgegebene Artikel, Preise, Patientenname, Apothekenname, Krankenkasse, Strichcode.

Das Rezept muss in gut leserlicher Schrift abgefasst werden.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Könnten das Bitte alle Ärzte noch einmal lesen, damit das auch im Gedächtnis bleibt!

Die Mengen besonders für Narkotika, Venena usf. muss man genau und deutlich angeben, damit der Patient nicht die Möglichkeit hat, die Zahlen abzuändern. Jede Abänderung wird übrigens wie eine Urkundenfälschung geahndet.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Offenbar kannten sie auch dort schon das Problem von Rezeptfälschungen?

Genug für Heute.

Nächste Woche: Wie schreibe ich die Produkte / Inhaltsstoffe … auf das Rezept?

Wie stelle ich ein Rezept aus – Anno 1936

Die Erwähnungen diverser alter Rezept-formularien im "Blaue Salbe" Post hat mich daran erinnert, dass ich noch ein Buch habe, das sie in der Apotheke entsorgen wollten und das ich nach Hause "gerettet" habe. Es ist das "Rezeptierkunde – Leitfaden zum Verschreiben und Anfertigen von Rezepten" von Prof. Dr. Med T. Gordonoff – ursprünglich vom Jahr 1936.

Und dann konnte ich es nicht mehr weglegen. Das war so interessant – die Unterschiede, das immer noch gleiche. Ein Einblick in eine andere Zeit … und ich frage mich unwillkürlich, wie ich mich damals wohl als Apothekerin gemacht hätte.

Der Autor Anton (Toni) Gordonoff wurde 1893 in Russland geboren und starb am 29. Dezember 1966. Gordonoff hat Pharmakologie studiert an den Universitäten von Bern und Nancy. Er wurde ein Professor für Pharmakologie und Toxikologie, hat diverse Bücher geschrieben – und ist offensichtlich vor Gericht als Pharmakologie-Experte aufgetreten, am bekanntesten seine Verteidigung der angeblichen Gift-Mörderin Maria Popescu, 1953 – was wohl zu ihrer (späten) Freilassung geführt hat.

Aber zurück zum Buch – zu dem ich Euch ein paar Einblicke geben will.

Die Grundlagen der Rezeptur werden dem Medizinstudenten in der Schweiz nur während eines einzigen Semesters in speziellen Kursen beigebracht …
In den verbreiteten Lehrbüchern der Pharmakologie … wird die Rezeptur gar nicht besprochen…

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Ja, das ist heute mit dem Ausstellen der Rezepte nicht anders – allerdings handeln sie das inzwischen in einer einzigen Stunde ab … denn schliesslich geht es nicht mehr um das zusammenstellen von Anleitungen zur Herstellung, sondern um das Abgeben von Fertigen Arzneimitteln … mit bekannter Wirkung.

Auf zahlreiche Anfragen von Studierenden hin, welches Buch man zum Erlernen der Rezeptur verwenden könnte, habe ich mich entschlossen, einen solchen Leitfaden für die Rezeptologie zu schreiben. Er enthält die wichtigsten Grundlagen der Rezeptur, des Rezeptverschreibens und der Rezeptausstellung, wie sie in der Pharmacopoe Helvetica V angegeben sind. Das Büchlein ist somit in erster Linie für die schweizerischen Mediziner bestimmt. Möge es vom Studenten, wie auch vom jungen Praktiker recht viel konsultiert werden, damit er schon während seiner Studienzeit, bzw. zu Beginn seiner praktischen Tätigkeit, die Ars formulas praescribendi richtig erlernt.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Oh, die Pharmacopoe 5! Die habe ich bei mir sogar noch in der Apotheke, wo sie im Regal vor sich hingilbt … inzwischen sind wir aber bei Ausgabe … Moment, ah ja: 11!

Der angehende Arzt wird dann nicht mehr gezwungen sein, seine Rezepte blindlings abzuschreiben; er wird ferner auf diese Weise sich nicht nur vom Rezepttaschenbüchlein sondern auch vom Fabrikreisenden unabhängig machen können, und schliesslich wird er auch nicht mehr auf die grosse Menge von Spezialitäten angewiesen sein. Einen grossen Teil von Arzneispezialitäten, besonders die vielen Fabrikkombinationen kann und soll der Arzt durch das eigene Rezept ausschalten. Denn nur auf diese Weise wird er seine Therapie individuell gestalten. Und Individualisierung in der Therapie ist die Grundlage der Behandlung! Dadurch würde er auch das Apothekerwesen fördern und ebenso die Behandlung des Patienten in den Händen behalten. Zu alledem soll ihm die „Rezeptierkunde“ verhelfen.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Fabrikreisende? – Ich schätze, die heute Form davon ist der Vertreter der Pharmafirma. Und die erwähnten Spezialitäten, das sind die Fertigarzneimttel, vertrieben durch die Pharmafirmen. Er redet von 'grosser Menge', aber das war 1936? Da hatte es wirklich noch nicht sehr viel. Vor allem, wenn man es mit heute vergleicht. Bei weitem das meiste wurde erst danach entdeckt und vertrieben … und vieles, was damals auf dem Markt war – war nicht so gut getestet vor der Einführung wie heute. Das grosse Umdenken da begann erst richtig nach dem Thalidomid-Skandal.

Mal überlegen, was gab es da wohl schon? Aspirin und opioide Schmerzmittel und Hustenmittel, das Penicillin und die Antibiotika kamen erst später (nach 1940?), dafür hatten sie so "Desinfektiva" auf Azofarbstoff-Basis, Barbital als Beruhigungs- und Schlafmittel, Insulin von Tieren … wobei erst beginnend. Alles an Blutdrucksenkern kam nachher … nee, nicht viel.

Es hat keinen Sinn, über die Spezialitäten zu wettern und zur gleichen Zeit ihr Überhandnehmen durch ihre Verordnung zu fördern. Die Spezialitäten sind ein absolut notwendiges Übel! Und auf manche Spezialitäten kann der moderne Therapeut überhaupt nicht mehr verzichten, ganz abgesehen von den Hormonen und Vitaminen, für deren Wirksamkeit nur ein grosses Werk die Garantie zu übernehmen vermag.
Aber Kombinationspräparate soll der Arzt in den meisten Fällen selber praescribieren.

Prof. Dr. Med T. Gordonoff

Ja, Vitamine und Hormone … und überhaupt die meisten komplizierter zusammengesetzten Sachen – das kann der Apotheker nicht in seinem Labor synthetisiseren. Aber interessant, dass gerade diese beiden erwähnt sind. Die Vitaminpräparate wurde inzwischen von den Lebensmittelhändlern anektiert und die Hormone haben ihre Hoch-Zeit lange hinter sich und man geht heute wieder viel vorsichtiger damit um.

Das war die Einführung. Nächste Woche geht es wirklich los!