Ich bin Coronamüde. Ich geb’s zu. Ich schwanke täglich zwischen den Extremen – auf der einen Seite bekommt man im täglichen Leben aktuell hier nicht mehr so viel mit von der Covid-Situation. Die Erkrankten verschwinden still in den Spitälern (die gelegentlichen Sanitätsautos die man jetzt irgendwie häufiger sieht, ignoriert man gekonnt). In unserer Kundschaft hören wir weniger von Verstorbenen. Die Läden haben mehrheitlich wieder offen. Nächste Woche machen die Restaurantterassen wieder auf. Man könnte meinen, wir seien auf dem Weg aus der Covid-krise. Endlich.
Auf der anderern Seite sehe ich in meiner Twitter- und Facebook Bubble immer mehr Klagen von Ärzten, Sanitätern und Pflegepersonal, die kämpfen: mit bis über die Kapazität gefüllten Intensivstationen und Suche nach noch offenen Plätzen und Verschiebungen zwischen den Spitälern. Mit Überarbeitung und der ganzen psychologischen Belastung, die das mit sich bringt.
Twitter ist sehr schnell im informieren. Leider sind die Sachen auch so schnell wieder „weg“. Ich finde den Tweet nicht mehr von dem Sanitäter, der in 19 (!) Spitälern anfragen musste, bis er einen Platz für seinen Patienten fand. Hier und weg. Manchmal verschwinden solche Tweets auch, wegen dem enormen Gegenwind, den sie bekommen. Da gibt es so Reaktionen auf derartige Hilfeschrei-Tweets:
Ich höre und lese davon, dass die Leute, die jetzt auf die ITS kommen oder beatmet werden müssen nicht mehr die Grosseltern-Generation ist, nicht mal mehr die Eltern-Generation … das sind vermehrt Leute in meiner Altersklasse (Tendenz noch niedriger). Mütter und Väter von kleinen Kindern. Und die sterben genau so, wie die alten in der zweiten Welle. Das liegt nicht nur an der (in der höheren Altersklasse erfolgreichen) Impfung. Das liegt auch an den ansteckenderen (und gefährlicheren?) neuen Virusmutationen, die im Umlauf sind.
Auch der Tweet irgendwo von einer, die eben ihren 23 jährigen Cousin verloren hat. Er war zu Hause wegen Covid, offenbar gab es eine abrupte Verschlechterung seines Zustandes – er starb alleine. Die Sauerstoffsättigung kann ziemlich schnell schlecht werden … und hat akute Auswirkungen nicht nur auf den Allgemeinzustand, sondern auch auf die Entscheidungsfähigkeit. „Happy Hypoxie“ ist ein Begriff, der umgeht – man merkt den Sauerstoffmangel nicht / zu spät.
An was liegt das, dass es jetzt vermehrt jüngere trifft? Daran, dass das Ansteckungsgeschehen jetzt „unter uns“ stattfindet. Kinder können angesteckt werden und stecken dann die Eltern an …. Schulen und Kitas sind nicht mehr nur potentielle Infektionsherde. Ich lese von besorgten Eltern, die ihre Kinder nicht mehr da hin schicken wollen, deshalb – und davon, wie in manchen Schulen damit umgegangen wird. Bei uns finde ich das noch einigermassen vernünftig: einmal pro Woche wird klassenweise getestet (im Pool) – ist der Test positiv, wird benachrichtigt, in Quarantäne gesetzt und die Kinder einzeln getestet. An anderen Orten gibt es keine Tests, wird bei positivem Befund … gar nichts gemacht? Überall ist es unterschiedlich, die Behörden kommen aber (selbst wenn) kaum mit dem Benachrichtigen der Kontaktpersonen nach. Die Covid-App … funktioniert die eigentlich noch?
So das haben wir: auf der einen Seite das Erleben der Mitarbeiter im Gesundheitsdienst, die an den Spitaleingängen sehen, wie das Infektionsgeschehen ist. In derselben Richtung die besorgten Eltern, die mitbekommen, wie die Schulen geöffnet werden, die Inzidenz steigt, klassenweise Ansteckungen stattfinden – und nicht wirklich etwas dagegen unternommen wird, die Ansteckungsketten zu unterbrechen / die Eltern zu schützen (auch wenn positive Kinder zum Glück selber immer noch wenig Symptome haben, Folgeschäden sind auch hier ein Thema). Und auf der anderen Seite diejenigen, die halt im Alltag kaum etwas davon mitbekommen, ausser den Einschränkungen, denen sie unterliegen. Das scheint auch die Politik zu sein …oder wie erklärt man sich, dass in der Situation nicht adäquat reagiert wird? Oder zumindest richtig informiert? Statt dessen wird geöffnet und erleichtert.
Ich bin Coronamüde. Ich wäre sehr dafür, dass das bald vorbei ist. Aber: die Situation ist nicht gut im Moment. Die Krankheit ist (immer noch) da, und (immer noch) gefährlich. Ich will nicht angesteckt werden. Ich möchte eine Impfung, dass ich auch geschützt bin (ich würde auch Astra Zeneca nehmen). Ich möchte auch nicht, dass sich andere anstecken, krank werden und eventuell im Spital landen. Ich möchte nicht in einer Zeit leben, in der man eigentlich keinen Unfall haben darf oder sonst krank werden, weil kein Platz und keine Leute, keine Kapazitäten mehr frei sind, die sich im Fall um einen kümmern können. Weil das Gesundheitssystem überlastet – und keiner redet darüber (ausserhalb der Bubble) in der Öffentlichkeit, weil „Panikmache“ und Fake News und was einem sonst noch alles vorgeworfen wird.
Also (auch wenn das ausserhalb „meiner“ Bubble kaum jemand lesen wird und ich denke, die sind schon vernünftig und informiert) – Auch wenn jetzt geöffnet wird. Das passiert gegen jegliche Vernunft und Evidenz. Das bedeutet nicht, Covid ist weg. Nicht mal, dass es jetzt besser ist mit den Ansteckungen und den Spitaleinweisungen. Bitte bleibt vorsichtig!