Dafür ist keine Zeit!

Das war eine unglaublich hektische Woche. Speziell der Freitag.

Ein jüngerer Mann rennt in die Apotheke, er schaut … zerzaust aus und hat riesige Schweissflecken auf dem T-Shirt.

„Ich brauche Hilfe. Ich muss etwas haben, um jemanden zum erbrechen zu bringen, ansonsten stirbt er!“

Wa…?

Pharmama: „Da kenne ich leider gar nichts mehr (früher gab es noch Ipecac Sirup). Sie sollten sofort mit ihm in den Notfall gehen, oder die Sanität rufen, wenn es so schlimm ist.“

Verschwitzter Mann: „Dafür ist keine Zeit, er wird sterben!“

Und rennt wieder raus. Keine Ahnung, wohin.

Ich verstehe nicht ganz, wie man in einer Situation sein kann, wo es zu spät ist für die Sanität/den Notfall, aber etwas, das man in der Apotheke kauft, kann ihn noch retten? Ehrlich, ich hoffe, er war etwas dramatisch – vorher gesehen habe ich ihn noch nie.

heisse Suppe

Eine junge Frau mit schreiendem Baby im Kinderwagen stürmt in die Apotheke:

„Bitte helfen Sie mir – mein Baby hat sich verbrannt!“

Pharmama: „Was ist passiert?“

Frau: „Wir wollten im Restaurant etwas essen – und da hat sie als die Suppe kam am Tischtuch gezogen … die Suppe ist ihr über das Bein …“

Autsch. Ich versuche einen Blick auf das Bein zu werfen und schäle es aus Überdecke und Kleidchen…

Pharmama: „Haben Sie schon gekühlt?“

Das freigelegte Bein ist bedeckt mit etwas weissem … Creme?

Frau: „Ja, im Restaurant haben wir etwas Wasser darüber gelassen … und die Serviererin hat etwas Salbe darauf gemacht …“

Ich sehe nicht wirklich viel unter der Cremeschicht. Es ist etwas rot, wie Sonnenbrand, aber sonst? Mir gefällt nicht, wie das Baby schreit.

Pharmama: „Wie lange? Das muss wirklich ausgiebig gekühlt werden, nicht mit sehr kaltem Wasser, aber lange … am besten, wir nehmen sie nach hinten und wir kühlen noch etwas, dann kann ich das auch anschauen.“

Beim Lavabo wasche ich vorsichtig die Creme mit kühlem Wasser ab … es ist etwas mühsam, weil ich ihm ja auch nicht noch mehr weh tun will. Der Mutter fällt wohl mein Stirnrunzeln auf.

Frau; „War das nicht gut? Hätten wir besser Butter darauf gemacht?“

Raah!

Pharmama: „Nein! Keine Butter, nichts derartiges. Zuallererst ist kühlen wichtig, damit eventuelle Gewebeschäden durch die Verbrennung nicht weiter gehen und zur Schmerzstillung.“

Das Baby schreit immer noch. Wie ich ihr Bein weiter freilege sehe ich auch weshalb: das Bein ist oben rot … und weiter unten löst sich gar die Haut ab. Handflächengross – ziemlich gross also.

Die Mutter sieht das auch: „Oh weh! Können wir nichts gegen die Schmerzen tun?“

Pharmama: „Ja. Aber erst : mehr Wasser.“

Ich setze das Baby an den Rand des Waschbeckens und lasse die Mutter es festhalten, Das Wasser lassen wir langsam über das Bein laufen und unten mache ich den Abfluss zu – damit ein Bad entsteht und das ganze Bein im Wasser ist.

Dann gehe ich den Algifor Sirup holen. Das Baby ist älter als 6 Monate (8 sagt die Mutter) und das wirkt schnell und stark (Brandverletzungen schmerzen enorm) und es ist entzündungshemmend.

Das Baby schreit jetzt nicht mehr, es weint nur noch. Ich gebe ihm den Sirup und es wird noch etwas ruhiger. Die Mutter auch. Das Wasser wirkt. Trotzdem:

Pharmama: „Das sieht nicht gut aus. Die Haut löst sich.“

Frau: „Ich hab’s gesehen. Ich gehe mit ihr ins Spital.“

Pharmama: „Ja. Ich rufe im Notfall an und melde es an und dann rufe ich ihnen ein Taxi. Bis das da ist kühlen wir – und dann wickeln wir für den Transport ein nasses Tuch darum.“

Das machen wir dann. Bis das Taxi hier ist, ist das Baby – vom schreien so erschöpft und dank wirkendem Sirup am einschlafen. Gut so – im Spital wird das einen Moment unangenehmer, bis die Wunde richtig versorgt ist.

Pharmama: „Sagen Sie denen im Spital, was wir ihm schon gegeben haben“ (tatsächlich hat sie den Sirup bezahlt und nimmt ihn jetzt mit)

Sie bedankt sich und die beiden verschwinden mit dem Taxi.

Es vergehen ein paar Wochen, dann kommt eine Mutter mit Baby im Kinderwagen in die Apotheke.

„Erinnern Sie sich noch?“ fragt sie mich.

Ich schaue die beiden an … ich bin nicht sehr gut mit Gesichtern … besser mit Geschichten, aber irgendwie … ja?

„Die Suppe – sie haben uns geholfen, als Mia sich verbrannt hat!“

„Oh ja!“ sage ich – und schaue mir das Baby an – das sitzt im Wagen und strahlt mich an … vorher habe ich es (mit Grund) ja nur schreiend gesehen … „Wie geht es ihr und dem Bein?“

Frau: „Schauen Sie selber!“

Das besagte Bein ist zwar immer noch rot, vor allem unten, aber die Haut ist schön wieder drüber … es sieht nicht so aus, als ob da etwas zurückbleibt. Obwohl es noch dauern wird, bis man gar nichts mehr sieht. Ich sage etwas in die Richtung.

Frau: „Ja, und das ist nur ihr Verdienst – Danke vielmals! Ich hätte mir das nie verziehen, wenn da eine Narbe geblieben wäre.“

Ich winke ab: „Das ist so schnell passiert. Das nächste Mal wissen sie: nichts drauf-machen, aber lange, lange mit Wasser kühlen. Es muss nicht speziell kalt sein.“

Das war toll – speziell, dass sie zurückgekommen sind. Mir zeigte es nur wieder, dass immer noch viele nicht wissen, was man bei so einem Notfall machen muss (kühlen!)

Streikende Apotheken

2013-02-11-Plakat_190x178So … gestern haben die Apotheken in Deutschland gestreikt.

Das heisst … so wirklich streiken war das nicht, oder?

Sie haben zwischen 12 und 13 Uhr die Kunden nur durch die Notdienst-klappe bedient. 1 Stunde lang … in der Mittagspause.

Und die Apotheken auf dem Land, die mittags geschlossen haben – meist zwischen 12.30 Uhr und 13.30 Uhr … für die war das nicht einmal nur eine Stunde, sondern nur eine halbe Stunde.

Hmmm.

Ich verstehe den Grund des Aktion sehr gut:

Um mal ein paar Stimmen aus dem Netz zu zitieren:

Im Jahr 2012 haben wir an 26 Tagen für Sie hier Notdienst gehabt – 16 Nächte, 1 Feiertag, 15 Wochenenden – Lebenszeit, die wir gerne einsetzen, damit Ihnen im Notfall geholfen ist. Für diesen Dienst an der Gemeinschaft erwarten wir eine angemessene Entschädigung.

Hintergrund der Kampagne ist, dass die Politik die zugesagte Notdienstpauschale zum 1.1.2013 immernoch nicht umgesetzt hat. Aktuell darf eine Apotheke im Notdienst eine Pauschale von 2,50 € erheben. Würdet IHR dafür Eure Nachtruhe unterbrechen? Dass hiervon noch nicht einmal die Personalkosten gedeckt sind leuchtet ein!

Beim Schlüsseldienst bezahlt  man ausserhalb der regulären Öffnungszeiten mindestens 50 Euro – plus den Weg. Beim Klempner dasselbe. Aber der Apotheker soll für 2.50 € pro Abgabe bereitstehen. Die ganze Nacht und das Wochenende über – mehrmals im Jahr.

Ich frage mich nur: ein so kurzer „Streik“? Bringt das überhaupt etwas?

Also Fragen an Euch:

Habt ihr von dem Streik gewusst?

Habt ihr selber etwas davon mitbekommen? – und wie?

Unterstützt Ihr die Apotheker in ihrem Ansinnen?

Lassen Sie mich durch, ich muss zum Gemüse!

Vom Einkaufszentrum nebenan kommt eine Mitarbeiterin in die Apotheke gerannt:

„Kommen sie schnell, da ist eine Frau vor der Gemüseabteilung umgefallen!“ 

Ich packe Handschuhe und Traubenzucker (die zwei Sachen brauche ich meistens) und spurte los. Als ich ankomme, ist schon eine Ärztin vor Ort, die wohl auch einkaufen war und bereits dabei ist, die bewusstlos am Boden liegende ältere Frau zu untersuchen. Aufgrund deren Leibesfülle hat sie ziemlich Mühe damit:

„Ich kann keinen Puls finden!“ sagt sie zu mir.

Zuerst ist unklar ob wegen der Fettschichten oder ob keiner vorhanden ist, aber als die Frau aufhört zu atmen wird die Frage überflüssig. Wir drehen sie auf den Rücken. Sie beginnt mit der Herzmassage und fragt nach Unterstützung:

„Haben Sie keine Beatmungsmasken oder einen Defibrillator?“

Doch! Rennen und holen.

Wir schliessen den Defibrillator an die Frau an. Das Ding ist wirklich super, auch wenn ich es noch nicht brauchen musste bisher. Es redet einen durch den Prozess: „Kleben Sie die Elektroden an die bezeichneten Stellen“„Kein Herzschlag vorhanden“. „Bitte zurücktreten, Schock wird ausgelöst“. „Jetzt Schockknopf drücken“ Bzzzzt! Und nochmal „Bzzzt!“

Während wir uns abmühen und die Mitarbeiter vom Kaufhaus mit Tüchern einen Sichtschutz um uns erstellen, bekomme ich nur im Hintergrund mit, wie die Kunden reagieren. Da wird natürlich versucht etwas zu sehen und herumgestanden – es passiert ja so selten etwas aufregendes. Noch mehr, als die Sanität eintrifft und einen grösseren Defibrillator mitbringt.

Und dann gibt es diesen einen Mann im Anzug, den nur eines interessiert (und das bekommen auch wir hinter dem Tuch mit): „Lassen Sie mich durch! Ich muss zu meinem Gemüse da hinten!“

Leider hat es die Frau trotz aller Bemühungen nicht geschafft. Und der Mann auch nicht – jedenfalls nicht an dem Tag zum Gemüse.

Kleine Nothilfe

Eine junge Frau kommt sehr nervös und kurz vor dem Weinen in die Apotheke.

Frau: „Hallo? Ich brauche Hilfe – ich werde verfolgt! Könnte ich ihr Telefon benutzen?“

Pharmama. „Sicher.“

Ich denke sie will die Polizei anrufen. Sie nimmt aber ihr Portemonnaie hervor, durchsucht es -wohl nach einer Telefonnummer- und sagt dann (jetzt fast schon panisch): Oh nein, ich habe die Nummer nicht dabei!“

Pharmama: „Kann ich sie vielleicht für sie nachschauen?“

Immerhin habe ich den Computer mit Internetverbindung grad nebendran und das directories (das Internet-Telefonbuch) ist wirklich praktisch.

Frau: „Oh, ja, bitte! Ich brauche die Nummer vom ….“ (einer Unterkunft mit psychiatrischer Betreuung).

Ich wundere mich nur etwas, suche die Nummer heraus, wähle und gebe ihr das Telefon. (Seit ein paar Betrüger über Telefone in Geschäften gebührenpflichtige Nummern angerufen haben, wähle ich grundsätzlich selbst für die Kunden).

Wenig später wird sie abgeholt.

Aber was ich schön finde ist: dass sie uns als „sicheren Hafen“ erkannt und genutzt hat.

Kokser missbrauchen Apothekennotfalldienst

Ein Artikel aus 3-min von Heidi Mühlemann

Apotheker C. … hat Notfalldienst. Nachts um zwei wird er aus dem Schlaf gerissen. Ein Mann klagt über starke Migräne. Er habe das sonst nie, aber jetzt sei es ganz schlimm. Er brauche ein Medikament, egal was, Hauptsache, es hilft. Apotheker C. fährt also mitten in der Nacht in seine Apotheke. Dort lässt ihn der angeblich so sehr an Migräne leidende Kunde eine halbe Stunde warten. Dann fährt er mit dem Taxi vor. Apotheker C. fragt nochmals nach den Symptomen und empfiehlt dem Mann ein Mittel gegen Migräne. Ganz beiläufig meint der Mann, wenn er schon mal da sei, könnte er auch gleich etwas Natron mitnehmen, er habe ab und zu etwas Magenbrennen. Nach gut einer Stunde liegt Apotheker C. endlich wieder im Bett.

In der folgenden Nacht reisst ihn erneut ein Anrufer mitten in der Nacht aus dem Bett. Migräne, ganz stark, geht nicht mehr ohne Medikamente. Apotheker C. wird hellhörig. Das Päckchen Natron von vergangener Nacht kam ihm rückblickend schon reichlich merkwürdig vor. Ein zweites Mal lässt er sich nicht reinlegen. Diesmal verlangt er die Telefonnummer des Anrufers und stellt klar, dass er kein Natron verkaufe, falls dies allenfalls auch noch gewünscht wäre. Das wirkt. Der Anrufer ist nicht mehr überzeugt, dass er seine Telefonnummer angeben will. Unvermittelt meint er, seine Frau habe soeben noch etwas gefunden gegen seine Migräne, und legt auf.

Natron wird verwendet, um aus Kokainsalz die zum Rauchen besser geeignete Kokainbase herzustellen. Das wissen Apotheker. Aber selbstverständlich ist nicht jeder, der Natron oder Zitronensäure verlangt, ein Drögeler. Apotheker werden also bestimmt nicht bei jedem dieser an sich harmlosen Wünsche ein inquisitorisches Gespräch mit dem Kunden führen. Wenn allerdings Leute mitten in der Nacht etwas völlig anderes vorschützen, um ganz nebenbei auch noch Natron oder Zitronensäure zu kaufen, ist Zurückhaltung angesagt. Für solche Spielchen ist der Apothekennotfalldienst nicht da. Es ist Missbrauch einer kosten- und arbeitsintensiven Dienstleistung. Apotheker C. jedenfalls verkauft in der Nacht grundsätzlich kein Natron mehr und empfiehlt seinen Kolleginnen und Kollegen dringend, ebenfalls konsequent zu sein. Die Kokser werden dennoch zu ihren Substanzen kommen. Aber sie sollen zumindest wissen, dass man Apotheker nicht für dumm verkaufen sollte.