Rettung in der Odyssee

Ohne Apotheke_r(3)

Eine Geschichte von einer Leserin, die anonym bleiben möchte – als Beitrag zur Blogparade.

Mein Mann ist HIV positiv, blöd, aber eigentlich heute keine Katastrophe mehr. Blöd nur, wenn an einem Samstag, eine Stunde nach der Schließzeit unserer Stammapotheke, klar wird, dass eines der ART Medikamente alle ist, blöde Depressionen. Ich selber bin nach einer Woche erst von einer Dienstreise zurück gekommen.

Nun ist guter Rat teuer, der Stammarzt ist nicht zu erreichen, die Stammapotheke hat natürlich keinen Notdienst, aber die Tabletten müssen ran.
Das war der Startschuss für eine mittelprächtige Odyssee, erst mal in der nächsten Klinik mit HIV Ambulanz angerufen, die konnten oder wollten nicht weiter helfen, nach diversen Telefonaten in der örtlichen hausärztlichen Notfallambulanz gelandet, wo, zum Glück ein Arzt mit Ahnung saß, der mir ein Rezept ausgestellt hat.

Gut, das hatte ich schon mal, aber wo einlösen? Welche Apotheke kann mir zu der Zeit ein Medikament [Kivexa] besorgen, dass die meisten Apotheken noch nicht einmal dem Namen nach kennen? Also erst mal ab in die nächstgrößere Stadt, die eine Bahnhofsapotheke haben, die Samstags bis 20.00 Uhr und auch am Sonntag geöffnet hat.
Klar, auch die hatten es nicht da, boten mir erstmal an, es auf Montag zu bestellen, nach kurzer Diskussion mit dem Apotheker, was das für ein Medikament ist, sah auch er das Problem.

Also wurde ich auf einen Stuhl verfrachtet, bekam erst mal einen Kaffee und ganz viel Zuspruch (Ja, ich war an dem Punkt schon ziemlich verzweifelt), und der Apotheker klemmte sich ans Telefon um erst mal seinen Großhändler aus dem Wochenende zu scheuchen. Nachdem der leider auch nicht weiterhelfen konnte, bekam ich den nächsten Kaffee und es wurde weiter telefoniert, bis in einer Krankenhausapotheke, ca. 50 Kilometer weiter das Medikament aufgetrieben wurde.

Mit eigens ausgedruckter Wegbeschreibung wurde ich also auf die Autobahn geschickt, um knapp eine Stunde später das benötigte Medikament entgegen nehmen zu können.

Keiner dieser Menschen, die mir heute so großartig geholfen haben, haben daran einen Pfennig verdient! Auch der, unglaublich nette und hilfsbereite, Bahnhofsapotheker hat es abgelehnt, sich für seine Mühe bezahlen zu lassen. Da er mir ja das Medikament nicht verkaufen konnte, hatte ich angeboten, das er mir wenigstens die Beratung und die Arbeitszeit, immerhin fast eine dreiviertel Stunde, in Rechnung stellt. (Ehrensache, dass zumindest eine große Ladung Kuchen und Kekse aus der benachbarten Bäckerei ihren Weg in die Apotheke fand)

Also, liebe Internetapothekenbesteller, das kann keine Internetapotheke leisten, unterstützt eure örtlichen Apotheken, wenn es Knopf auf Spitz steht, werdet ihr sie zu schätzen wissen.

(Un-)Wahrscheinlichkeiten?

"Haben sie einen Beratungsraum?" fragt die etwas gehetzt aussehende Frau um die 40.

Pharmaassistentin (PA): "Ja, dahin …"

Weiter kommt sie nicht, denn die Frau stürmt schon darauf los.

PA mit flehendem Blick zu mir: "Pharmama – könntest Du das nehmen?"

Klar. Wobei – ich bin mir sicher, dass meine PA Probleme riechen kann. Und das hier scheint … problematisch zu werden.

Ich gehe in den Beratungsraum, wo sich die Frau schon eingerichtet hat.

Kaum ist die Tür zu, überfällt sie mich:

"Kann man Aids bekommen, wenn einen der … (überlegt rasch um) … die Romanze mit dem Finger in der Vagina befriedigt hat?"

Ah …

Und während ich mir noch die beste Formulierung meiner Antwort überlege:

"Er hatte keine Wunde an den Fingern. Keine offene jedenfalls … hat er auch gesagt, als ich ihn nachher gefragt habe. Und Oralsex hatten wir auch keinen … und wir hatten auch nicht wirklich Sex, aber …"

kurze Pause

Pharmama: "Also HIV wird übertragen durch Blut und Sperma und die Flüssigkeit von Schleimhäuten. Wenn er also nicht gerade verletzt war – Nein. Nein, denke ich nicht."

Frau: "Sperma …  was, wenn er die Finger vorher an seinem Penis hatte? Ist es eigentlich möglich, dass er schon ein Lusttröpfchen hatte auch wenn sein Penis noch schlaff war?"

Pharmama: "Uh – möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich."

Frau: "Und küssen ist kein Problem habe ich gelesen."

Pharmama: "Das ist richtig."

Frau: "Und ich habe ihm heute telefoniert. Er hat gesagt, er habe keine Wunden an den Händen und wir hatten ja keinen Oralsex und … – denken sie er lügt mich an? Er scheint mir nicht der Typ zu sein, der lügt, aber man weiss ja nie …"

Schulterzucken – da kann ich wirkich nichts dazu sagen.

Frau: "Aber sie denken nicht, dass eine Ansteckung da wahrscheinlich ist?"

Pharmama versucht zu beruhigen: "So wie sie mir das beschrieben haben: nein. Wissen sie – eigentlich ist der HIV Virus nicht ein sehr erfolgreicher Virus. Es braucht erstaunlich viel zur Ansteckung. Deshalb dürfen auch HIV Positive Menschen schmusen – das ist kein Problem."

Frau: "Und wir haben sonst ein Kondom benutzt!"

Pharmama: "Nun, das ist gut. Äh … Ist er denn HIV positiv?"

Frau: "Das weiss ich nicht.  Das habe ich nicht gefragt …

Und er hat auch nichts gesagt."

(Aber über alles andere hat sie ihn ausgequetscht. Interessant.)

Pharmama: "Okay, sehen sie – ich würde mir in dem Fall nicht zuviele Sorgen machen."

Frau: "Wie sieht das aus mit einem HIV Test? Kann ich den auch hier machen lassen?"

Pharmama: "Hmmm … ich habe letztens gelesen von solchen Selbst-Tests. Ich würde aber davon abraten. Lassen sie, wenn es sie zu sehr beunruhigt das beim Arzt machen. Das ist sicherer. Und … man kann das nicht gerade sofort nach einer möglichen Ansteckung machen. Das dauert etwas, bis das anzeigen kann …"

"Für zukünftige sexuelle Kontakte empfehle ich weiter den Gebrauch eines Kondoms – und wenn sie einen festen Partner haben auch ein HIV Test für beide Partner."

Sie ist einigermassen beruhigt und geht wieder.

Puh. So gerne ich die Frau weiter beruhigt hätte: ich kann keine hundertprozentige Aussagen machen über Dinge, die zu viele Variablen haben. Es besteht – wenn auch nur eine geringe Möglichkeit einer HIV Infektion: Falls er HIV positiv ist, falls er frisches Sperma an den Fingern hatte oder eine grössere frische Verletzung, falls bei ihr die Vaginalhaut angegriffen war, falls er einen der aggressiveren Virusstämme hat. Aber die Wahrscheinlichkeit dürfte seeehr klein sein. Und sie macht sich jetzt schon dermassen "einen Kopf" – bei zukünftigen "One Night Stands" (für das halte ich die "Romanze" dürfte sie noch vorsichtiger sein.

Falls sie das je wieder macht. Sie schien einfach nicht der Typ dafür …

Den Schrecken verloren: AIDS

Da ist eine Entwicklung, die ich ziemlich bedenklich finde. HIV ist wieder auf dem Vormarsch – und wie. Man kündet eine Untersuchung an, warum das so ist. Nun, zumindestest einen Grund glaube ich zu kennen: Safer Sex ist (wieder) kein Thema mehr und das liegt vor allem daran, dass die Allgemeinheit HIV heute als eine behandelbare Krankheit ansieht und nicht mehr als die tödliche Seuche.

Und genau das ist nicht richtig!

Mein eigener Bruder hat einmal gesagt: „Inzwischen gibt es ja Medikamente, die wirken“.

Aaarrrgghh!  Ich glaube ich bin ihm an den Kopf gesprungen, so wütend war ich über die Einstellung.

HIV kann man nicht heilen!

Wenn Du es hast, hast Du es Dein Leben lang!

Fast wöchentlich hören wir von Erfolgsmeldungen im Bereich der Entwicklung von HIV Medikamenten. Aber: Was die Medikamente machen, ist im wesentlichen die Vermehrung des Virus im Körper zu unterbinden. Inzwischen kann man die sogenannte Viruslast (die im Blut nachweisbare Menge Virus) unter die Nachweisgrenze drücken. Das heisst nicht, dass das Virus nicht mehr da ist! Es kann offenbar in Körperzellen schlummern und noch Jahre, eventuell Jahrzehnte später wieder ausbrechen.

Die Medikamente können mit der Zeit auch ihre Wirksamkeit verlieren. Und wenn sie jemanden fragen, der einen solchen Medikamentenmix gegen das HIV Virus (denn nur 1 Medi reicht nicht), nehmen muss, dann hören sie eine Menge über die Nebenwirkungen. Die sind alles andere als lustig. Dazu gehören Nervenentzündungen, Umlagerung des Fettes im Körper, Organschädigungen.

Du musst die Medikamente trotzdem nehmen. Ein Leben lang. Hörst Du damit auf, kommt das Virus wieder und Dein Immunsystem verabschiedet sich – was dann zum Tod führt.

Die Medikamente sind auch teuer. Sehr teuer (wie alle Mittel gegen Viren).

Das und die Tatsache, dass auch andere Geschlechtskrankheiten wieder im Vormarsch sind, sollte den Leuten ein Anstoss sein, wieder vorsichtig zu sein. Safer Sex zu praktizieren.

Vor dem ungeschützten Sex mit dem neuen Lebensabschnittspartner (was für ein doofer Ausdruck) einen HIV Test zu verlangen.

Treu zu bleiben.

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