Medikamenten-Zoff und Apotheken-Bashing

Es nervt mich, wie aktuell in der Presse wieder Stimmung gemacht wird gegen die Apotheken. Hier die drei neusten Schlagzeilen, alle unter dem Titel „Medikamenten-Zoff“

„Bis zu 400 Prozent teurer – wir zahlen zu viel für Medikamente“
„Kaufst du zu viele Medikamente im Ausland, vernichtet sie die Swissmedic“
„Wir müssen aufhören, Medikamente zu verschwenden“

Woher der Wind weht (respektive, wer da grad lobbyiert) erkennt man dann in den Artikeln (bei 20 Minuten passend unter dem Kapitel Wirtschaft) selber. Im ersten Artikel geht es um die Medikamentenpreise:
„Teure Medikamente treiben die Krankenkassenprämien nach oben. In der Schweiz kosten die Arzneimittel zum Teil deutlich mehr als im Ausland.“ – Während der zweite Teil stimmt, der erste wurde schon mehrmals wiederlegt. Die Krankenkassenprämien steigen nämlich nicht wegen der Medikamentenausgabe durch die Apotheke an die Bevölkerung – die machen einen niedrigen einstelligen Prozentbereich der Ausgaben der Kassen und der Gesundheitskosten aus. Im folgenden wird es etwas präzisiert und sie reden von „Medikamente und Pflegeleistungen in Heimen“ als Treiber für den drohenden Prämienanstieg. Trotzdem doppeln sie später nach: „Überissene Margen etwa von Apotheken führen dazu, dass der Preisunterschied (zum Ausland) schlussendlich noch deutlich höher liege“ – Äh, was? Wir haben schon lange kaum noch Margen auf die – wir reden hier ja von rezeptpflichtigen – Medikamente, die von der Krankenkasse übernommen werden. Die werden anhand eines Vertrages (LOA) mit den Kassen abgerechnet, in denen das genau festgehalten ist. Marge ist da kaum noch drin, unsere Arbeit wird durch Pauschalen abgegolten. Und da wir Apotheken Medikamente vor allem im unteren Preissegment abgeben (60 Prozent der Medikamente, die wir abgeben kosten unter 15 Franken) … dürfte der Vorwurf wiederum vor allem die Medikamentenabgabe in Spitälern und vielleicht Spezialärzte betreffen.
Aber klar – hier werden wieder vor allem Sparmassnahmen auf Kosten der Apotheke vorgeschlagen. Wenn die Preise der Medikamente sinken (und wir haben regelmässig Preisanpassungen durch das BAG), sinkt auch die Marge (was noch übrig ist). Seit 2012 wurde so schon 1,2 Milliarden Franken eingespart.
Natürlich ist da noch Potential drin – aber vielleicht sollten sie mal statt an die eh schon günstigeren Alltagsmedikamente (und Generika) auf die Hochpreiser gehen? Momentan ist da übrigens die neue LOA in Vernehmlassung, die das bringen sollte. Deren Einführung wurde jetzt schon diverse Male verschoben.

AIm zweiten Artikel geht es um den Import von Medikamenten: „Krankenkassen fänden es gut, wenn Patienten … Medikamente im Ausland billiger kaufen könnten. Doch die Zulassungsbehörde bleibt hart.“ Ja, klar. Medikamente und deren Import (und das ist kaufen) unterstehen aus gutem Grund Einschränkungen. Ein in der Schweiz zugelassenes und sich im Handel befindendes Medikament untersteht strenger Qualitätskontrolle, braucht eine Packungsbeilage in 3 Sprachen und bei der Abgabe in der Apotheke werden Gegenanzeigen und Wechselwirkungen angeschaut. Das gilt nicht nur für die rezeptfplichtigen Medikamente. Ganz toll finde ich deshalb die im Artikel aufgeführten Beispiele: „mit einer Bestellung bei einer deutschen Versandapotheke den Monatsbedarf an Nasentropfen überschritten… die gesamte Bestellung wurde von der Swissmedic vernichtet.“
Jo, erstens: Online Apotheken dürfen in der Schweiz nur auf Rezept Medikamente versenden, auch Nasentropfen oder – sprays, die es sonst ohne gibt. Der Grund ist, dass so sichergestellt ist, dass vorher ein Kontakt mit einer Fachperson stattgefunden hat um Gesundheitsprobleme abzuklären. Abschwellende Nasensprays wechselwirken zum Beispiel mit Blutdruckmedikamenten. Allgemein sollten sie nicht länger als 5-7 Tage angewendet werden, da sich sonst rasch ein Gewöhnungseffekt entwickelt und man praktisch abhängig wird davon. Darauf weisen wir in der Apotheke hin und geben Tipps, falls das schon passiert ist, wie man davon loskommt. Selbst ein „Monatsbedarf“ wäre also eigentlich schon ein Kunstfehler.
Auch das Beispiel hat es in sich: „…bezog eine Dreimonatsdosis eines Mittels zur Regulierung von Gewicht und Darmtätigkeit, das in der Schweiz nicht mehr erhältlich war. Sie bekam eine Rechnung von Swissmedic in Höhe von 300 Franken“.
Mittel zum Abnehmen, das es nicht mehr gibt … das dürfte Sibutramin sein. Der Wirkstoff wurde wegen starker Nebenwirkungen und schlechtem Nutzen-Risiko-Verhältnis (inklusive Todesfälle) in mittlerweile allen Industrieländern vom Markt genommen. Mittel damit können aber immer noch online bestellt werden. Allgemein sind Mittel zum Abnehmen, die man online bestellt oft (obwohl als natürlich und pflanzlich angeboten) mit gefährlichen Stoffen versetzt. Mit einer online-Bestellung und Import umgeht man jegliche Kontrollen und Sicherheitsvorgaben.
Bei beiden Beispielen handelt es sich um nicht-rezeptflichtiges und nichts was von der Krankenkasse bezahlt wird. Selbst als Apotheke durfte ich (bis vor kurzem) keine Medikamente aus dem Ausland der Krankenkasse verrechnen – und ein Import ist sowieso nur auf Ausnahmefälle beschränkt. Ich darf es, wenn in der Schweiz nachgewiesen nicht mehr erhältlich. Es ist dann mit einem (enormen) Mehraufwand verbunden, weil die Nicht-lieferbarkeit nachgewiesen sein muss. Was das angeht: die Medikamente die ich bräuchte sind dann oft auch im Ausland nicht erhältlich.

Auch im dritten Artikel geht es um die Medikamentenpreise: „Die Kosten für Medikamente steigen und damit verteuern sich auch die Krankenkassenprämien.“
Neben den schon erwähnten Gründen für die Preisgestaltung in der Schweiz, nach der laut Artikel noch „viel Sparpotential“ vorhanden ist, schieben sie die Preisgestaltung auf „wirtschaftliche Günde, weil die Pharmaindustrie die stärkste Exportindustrie“ sei und volkswirtschaftliche Aspekte gegen Gesundheitskosten abgewogen werden. Die Krankenkassen (so wird vorgeschlagen) soll die Preise verhandeln, da sie ja die Rechnungen zahlen.
Oh weh! – wer wissen will, wie das dann läuft, soll sich mal in das System mit den Rabattverträgen in Deutschland einlesen. Da verhandeln die Kassen mit den Pharmafirmen und machen Verträge (die geheim sind), worauf dann nur noch genau das Generikum dieser Pharmafirma von der Kasse bezahlt wird. Es folgen ständig Wechsel der Medikation beim Patienten (welches Generikum halt gerade einen Vertrag hat), Lagerhaltungs- und Lieferprobleme bei manchem Medikament, wenn die Firmen trotz Versprechen nicht mit dem Produzieren nachkommen, und Retaxationen (die Krankenkasse zahlt der Apotheke das ganze Medikament nicht, wenn es nicht das so vorgeschriebene ist). Das geht dann wieder zulasten der Apotheke und auch der Patienten.
An der Stelle hätte ich einen Sparvorschlag – die Krankenkassen haben nämlich echt hohe Vewaltungskosten und sehr gut bezahlte CEOs … und sie machen jährlich gute Gewinne (!), hauptsächlich mit der Zusatzversicherung. Die obligatorische Grundversicherung müssen sie auch nicht quersubventionieren, so können sie (trotzdem) Prämiensteigerungen rechtfertigen. Es würde auch schon vielen helfen, wenn die Prämien vom Einkommen abhängig gemacht würden (und nicht vom Alter etc.).
Letzter Vorschlag im Artikel: „Wir müssen aufhören, Medikamente zu verschwenden. Wir haben ein Problem mit den Verpackungsgrössen. … ein Fall, wo ein Patient ein Medikament bekam, bei dem die Packung 4000 Franken kostet, er braucht aber nur die Hälfte.“ Das stimmt, wir haben kein System, das darauf ausgelegt ist, Packungen zu öffnen und Tabletten einzeln abzugeben. Grundsätzlich finde ich das keine gute Idee (Siehe hier: Warum Tabletten abfüllen nicht besser ist). Aber auch hier: das ist vielleicht etwas für Hochpreiser und an Orten, an denen man sie danach weiter verwenden kann (Onkologiepraxis? Kliniken?). Da lohnt sich der Aufwand dann und man kann den Rest weiter brauchen.
Momentan dürfen wir übrigens bei bestimmten Medikamenten, die schwer erhältlich sind (Liste beim BAG), Tabletten abzählen und abgeben und den Aufwand sogar der Kasse verrechnen. Die knapp 5 Franken decken kaum die Arbeit, die man damit hat (Abzählen, einpacken, Packungsbeilage ausdrucken, einpacken, etikettieren, dokumentieren im PC und auf Papier für den Rest der Tabletten). Aber schon meldet die Presse, dass die Apotheker das nützen um sich zu bereichern.

Ich hab genug davon. Wäre noch schön, wenn bei den Leuten auch ankommt, dass da die Krankenkassen und Versandapotheken so Meldungen nicht wirklich zum Wohl des Patienten pushen, sondern vor allem zum eigenen.

6 Kommentare zu „Medikamenten-Zoff und Apotheken-Bashing

  1. Man spürt… man fokussiert auf Symbolpolitik, die wenig bringt, aber trotzdem die Emotionen der Leute erregt. Und dann packt man Probleme an, die eher einfach zu lösen sind.

    An die grossen Kostenpositionen wagt sich niemand…

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  2. Das Problem ist aber auch, dass Ihr Apothekerinnen und wir Ärztinnen uns immer mehr gegeneinander ausspielen lassen. Ich habe es zwar schon einige Male (auch hier) geschrieben, muss es aber heute anscheinend ein weiteres Mal anbringen:

    Hier im Kanton SO haben wir den niedrigsten TARMED-Punktwert der gesamten Schweiz. Wann immer unsere kantonale Ärztegesellschaft GAeSO darauf aufmerksam macht, bekommen wir vom BR und der santésuisse zur Antwort, dass wir ja auch eine der umfangreichsten Selbsdispensationen der Schweiz hätten, die das ausgleichen würde, ausserdem seien bei uns ja auch die MPA-Löhne am niedrigsten.

    Zum zweiten Punkt muss ich anmerken, dass ich hier im Grenzgebiet SO/BL schon lange BL-Tarif zahlen muss, um noch brauchbares Personal zu bekommen.

    Und zum ersten Punkt: die Apos hier in der Gegend haben uns schon vor Jahren unser Stammgeschäft mit der Belieferung der Altenheime weggenommen. Reaktion der GAeSO: „Ist doch nicht so schlimm, das gleichen Sie schon aus.“ Sogar unsere ständig wechselnden Kantonsärztinnen haben schon längst gegenüber den Kantonsapothekerinnen den Schwanz eingekniffen.

    Dazu kommt die aggressive Verkaufspolitik der hiesigen Apos, immer mehr Medikamente auf Vorbezug abzugeben und dabei gleich noch 12-Monats-Dauerrezepte einzufordern für Patient*innen, die früher treu ihre Medis bei uns holten.

    Und last but not least hat uns BR Berset in den letzten 10 Jahren immer mehr Abrechnungsziffern genommen bzw. verwässert, während er seit ebensovielen Jahren das neue Tarifsystem TARDOC, welches ja alles für die Hausärztinnen besser machen sollte, blockiert, weil wir pöhsen Grundversorgerinnen nicht bereit seien, ebenfalls einen Teil vom Kuchen abzugeben, um das Gesundheitssystem zu retten.

    Ja wieviel denn noch?!?

    Ich habe mal im letzten Jahr mein Trust-Center eine Berechnung machen lassen: seit meiner Praxisübernahme vor gut 12 Jahren sind die Einnahmen pro Patient*in pro Jahr um satte 17.1 Prozent gesunken! Trotz Inflation und allfälligen anderen Mehrausgaben (s.o.).

    Die 2014 mit grosser Mehrheit angenommene Initiative zur Stärkung der Hausarztmedizin interessiert in Bundesbern niemanden mehr.

    Sorry, aber was dieses Land wirklich braucht, ist eine Gesundheitsministerin, die/der die EIER hat (sorry für den Kraftausdruck), der Bevölkerung zu erklären, dass ab sofort und auf Dauer ALLE Einwohner*innen dieses Landes jeden Monat 100-200 Franken mehr für ihre Krankenversicherung zahlen müssen, um „das System“ zu retten.

    Man vergesse bitte nicht, dass wir hier in Helvetien eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, obwohl die meisten von uns bei weitem nicht einmal jene Versicherungsbeiträge zahlen, die bspw. in Düütschland für ein System der absoluten Minimalversorgung fällig werden.

    Aber anstatt auf die Barikaden zu gehen, lassen wir Leistungserbringer*innen an der Basis uns immer noch gnadenlos von den Oberen gegeneinander aufbringen.

    Sorry für den Rant, aber das musste ich einfach mal wieder loswerden!

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  3. Zitat: „Die Krankenkassen (so wird vorgeschlagen) soll die Preise verhandeln, da sie ja die Rechnungen zahlen.
    Oh weh! – wer wissen will, wie das dann läuft, soll sich mal in das System mit den Rabattverträgen in Deutschland einlesen. Da verhandeln die Kassen mit den Pharmafirmen und machen Verträge (die geheim sind), worauf dann nur noch genau das Generikum dieser Pharmafirma von der Kasse bezahlt wird. “

    An diesem Punkt muss ich teilweise widersprechen. Verhandlungen über Preise ala Rabattvertrag sind ausschließlich bei Arzneimitteln die es schon als Generika gibt möglich. Hier lässt sich sehr gut argumentieren, dass die Rabattverträge langfristig mehr Schaden als Nutzen anrichten.
    Doch den größten Anteil an den Arzneimittelkosten machen PATENTIERTE Arzneimittel aus.

    Ich verweise auf folgende Artikelsammlungen:
    https://www.arznei-telegramm.de/html/2021_12/2112104_01.html

    https://www.arznei-telegramm.de/voll/01regbegriffdirektotto.php3?name1=Arzneimittelpreise&suchenx=0&siehex=85&gefundenunter=gesucht%20unter:%20Preise&xkategorie=&sherkunft=a-t%20Suche%20direkt&ysuch=Preise&ysuchh=01regbegriff1xx

    Ich wünschte mir eine EU/EWR-weite Lösung dieser Modpreise entgegenzugehen, damit das staatliche Gesundheitswesen auch in Zukunft die Kosten der Behandlung stemmen kann. Es wird nur halt erstmal an Personal gespart, wobei ausgerechnet dieses der Grundpfeiler einer Patientenbezogenen Behandlung ist.

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  4. Ja. Immer diese spektakulären Meldungen.
    Zu dem Generika-Chaos in Deutschland kann ich nur sagen, ich bin froh, daß es das in Frankreich so nicht gibt.
    Bei uns ist das abgegebene Generikum allerdings oft von Apotheke zu Apotheke verschieden… und das kann auch gut so sein.
    Ich habe seit Jahren Ramipril. Seit dem Umzug im Sommer ’20 brauchte ich immer höhere Dosen… ich vermute: weil die Apotheke am neuen Ort das Medikament von einem anderen Hersteller bezieht als die alte. Vor einem halben Jahr hat mir der Doc gedroht, wir müßten mal auf andere Mittel umsteigen, weil trotz Tagesdosis 10mg der Blutdruck eher bei 150/100 als bei 130/80 war. Ich habe dann die Apotheke gewechselt – und siehe da, letzte Woche war keine Rede mehr von anderem Mittel, denn der Blutdruck war auf 130/80. Der Doc meinte nur: „ja, die Fachleute behaupten immer, das könne nicht sein. Aber ich sehe so vieles, was angeblich nicht sein kann… schön, wenn es Ihnen damit besser geht.“
    In Deutschland wär ich da ne ganz arme Sau, weil die Krankenkasse natürlich auf Fachleute und nicht auf den Doc hören würde, und ich hätte jedes Mal ein anderes Präparat.

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    1. Die deutschen KrankenKassen sind unbestechlich – die nehmen nicht mal Vernunf an! Geschweige denn auf Fachleute zu hören. Das einzige, worauf in Deutschland noch gehört wird, sind sogenannte „Experten“ – und um ein socher für Arzneimittel zu werden reicht es vermutlich, wenn die Oma mal ein Mittel gegen Husten im Jahr 1977 verordnet bekommen hat, und man als Enkel bei der Einnahme zusehen dürfte…

      Allerdings könntest Du in Deutschland versuchen Deinen Arzt zu überzeugen, auf dem Rezept kenntlich zu machen, dass es nur die Herstellerfirma XY sein darf (mit einem sogenannten Aut-Idem-Kreuz, was genau das Gegenteil meint). Dann muss es nur noch vom Hersteller lieferbar sein…

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      1. …. und dann stellt die Krankenkasse nach ein paar Jahren fest, dass dieses Kenntlichmachen unverhältnismäßig war und fordert eine ausführliche Begründung vom Arzt, warum es unbedingt dieses Medikament sein musste… die Begründung wird dann abgelehnt und der Arzt zahlt die Mehrkosten. Das geht gern gleich mal in die Tausende Euro. Wohlgemerkt Jahre danach!!!! Und mit schlüssiger Begründung. Kein Wunder dass viele Ärzte das Risiko mittlerweile nicht mehr eingehen wollen.

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