Einfach Schwimmen (in der Welle)

Momentan wünschte ich mir manchmal Dorys Kurzzeitgedächtnis. Dann könnte ich gewisse Dinge einfach vergessen.

Dass die zweite Welle hier in vollem Gang ist.
Dass jeder zweite, den man fragt, für wen die Lutschtabletten oder das Schmerzmittel ist antwortet, dass es für den Covid-positiven Verwandten oder Freund ist.
Dass wir Berichte von sehr kurzen Spitalbesuchen bekommen. „Blutige Entlassung“ trifft es schon nicht mehr … momentan wird alles, was nicht grad lebensbedrohlich ist, angeschaut und baldmöglichst wieder weggeschickt. (Erbrechen bis zur Dehydration? Hier ein Motilium und ein Rezept. Trinken Sie mehr. Wiedersehen.)
Dass wir Anrufe zum beliefern ebendieser Rezepte bekommen. (Und Vorsicht bei der Auslieferung. Ich bin Covid-positiv)
Dass wir von Kunden und Patienten immer mehr Berichte von kürzlich (an Covid) verstorbenen Verwandten und Bekannten hören.
Dass der Vater der Mitarbeiterin im Altersheim an Covid gestorben ist, nachdem er vor einer Woche positiv getestet wurde. Sie konnte ihn nicht mehr sehen.

Dass es währenddem wir das jetzt so direkt mitbekommen rechts und links und gestern und heute es immer noch Leute gibt, die da stehen und behaupten: dass es das Virus gar nicht gibt / das Virus gar nicht so schlimm ist / das alles nur gemacht wird um dem Staat mehr Einfluss zu geben und die persönlichen Freiheiten zu beschneiden / dass es ja eh nur die älteren trifft / man halt an irgendetwas sterben muss. (Kotz).

Dass die Leute nicht testen gehen, obwohl sie Erkältungssymptome haben. Man will ja nicht ausfallen bei der Arbeit. Und Quarantäne ist nervig, einsam und deprimierend … und so schlimm habe ich es ja nicht.

Dass die ganzen Einschränkungen (Öffnungszeiten und Mengenbeschränkung in den Restaurants, keine sportlichen und kulturelle Veranstaltungen über 15 Personen, Discos etc. geschlossen, Maskentragepflicht in den Innenräumen) zwar umgesetzt werden, aber man das Gefühl hat, dass viele den Grund nicht wirklich sehen, den Vorschriften vielleicht den Buchstaben nach folgen, aber nicht verstanden haben um was es geht und es darum unmotiviert und nur das Minimum machen. Das sieht man schon darin, wie die Masken getragen und gehandhabt werden (über die Nase ziehen! Nicht vorne anfassen! Die Hände vor und nach dem Berühren waschen / desinfizieren).
Dass sich immer noch zu viele privat treffen … und dabei die ältere Generation anstecken.

Dass die Wirtschaft daneben wirklich leidet. Restaurants, Kulturschaffende, Sportveranstaltungen, Hotellerie, … Nicht „Systemrelevant“ ist so ziemlich alles Schöne, Interessante, Angenehme – das fällt jetzt weg und das merkt man dann gut an der allgemeinen gedrückten Stimmung. Sich etwas „gönnen“ ist schwierig in diesen Zeiten. Und langsam hängt es jedem an.

Die Impfung ist ja eigentlich ein Lichtblick, aber …. immer noch zu weit weg. Immer noch zu viele Unsicherheiten. Und jetzt schon unmögliche und unnötige Diskussionen von wegen „Impfzwang“ und „Impfen ist gefährlich“.

Und was machen wir währenddessen? Weiterschwimmen … äh, arbeiten.

Ich summe jetzt Dories „einfach schwimmen, schwimmen, schwimmen ….“ und mach weiter. Gibt ja nichts anderes.

26 Kommentare zu „Einfach Schwimmen (in der Welle)

  1. Unglaublich gut geschrieben! Arbeite in einem Alters- und Pflegeheim, bisher zum Glück keine positiven Bewohner aber viele Mitarbeiter die ausfallen, in Isolation oder Quarantäne sind! Ein Onkel meines Mannes an Corona gestorben und ich kann das ganze wie wir bestraft werden durch die Massnahmen und und und einfach nicht mehr hören und schwimme, schwimme, schwimme…. 10-12 stunden täglich!!
    Danje für den Text!!

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    1. Die Situation in den Pflegeheimen ist sicher unglaublich schwierig. Vor allem wenn man es mal „drin“ hat: so viele vulnerable Personen grad da :-(. Schwierig auch für die Bewohner, wenn sie keinen oder fast keinen Besuch empfangen dürfen und auch untereinander der Kontakt eingeschränkt werden muss (wegen Fällen auf der Station). Bei meiner Arbeitskollegin ist das genau so passiert. Erst lange keine Fälle, trotzdem vorsichtshalbe Besuche eingeschränkt, dann vereinzelt positive bei der Belegschaft, aber noch keine bei den Bewohnern – da wurden die einzelnen Etagen isoliert. Dann immer mehr erkrankte und Einzelisolation im Zimmer. Dann hat es ihr Vater auch bekommen und es ist ihm rasch schlechter gegangen.Ich glaube am Schluss wollte er auch nicht mehr. Ist auch Sch….

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  2. Wir alle hatten es in der Hand, es nicht so weit kommen zu lassen.

    Dass Bars- und Restaurantbesuche und grosse Parties so lange möglich waren, lag zum grossen Teil an denen, die sich zurückhielten. Sonst wäre die Lage noch früher explodiert. Solange man keinen direkten Kontakt zu gefährdeten Mitmenschen hat, kann man ja die Sau rauslassen…

    grrrrr

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  3. Und in der Bibliothek habe ich heute erfahren, dass die Kindertheater-Aufführungen, die kürzlich ausgefallen sind, weil die Künstlerin erkrankt war (negativ getestet mittlerweile) nachgeholt werden. Noch dieses Jahr, weil wir das Budget nicht übers Jahresende rübernehmen dürfen. Und die maskenlosen Kleinkinder sind ja viel weniger ansteckend als Erwachsene.
    Ich habe uns auf jeden Fall mal auf eigene Kosten FFP2-Masken gekauft.
    Für Februar und März werden auch schon fröhlich Veranstaltungen geplant.
    „schwimmen, einfach schwimmen…“ ich summe mit.

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    1. Ja, dass Kinder weniger ansteckend sind, konnte ich noch nie glauben. Vor allem, wenn man die Situation zu Hause ansieht – so wie meiner immer an mir hängt (und das ist mit Corona überall eher mehr geworden), stecken angesteckte Kinder zumindest sicher die Eltern mit an (und umgekehrt).
      Ich denke, „draussen“ hast Du trotzdem gute Chancen, vor allem mit Abstand und Masken. Und irgendwie sehe ich auch, dass es ein bisschen „soziales“ auch braucht.
      Gutes Weiterschwimmen!

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  4. Dass sich viele Leute nicht testen lassen, hat aber diverse Gründe, nicht nur Pandemie-Müdigkeit oder Angst vor Quarantäne. Oftmals sind die Testcenter nämlich an praktischen, aber nicht unbedingt an gut erreichbaren Orten eingerichtet, was einen Test ziemlich erschweren kann. Meine Tochter und ich hatten vergangene Woche beide typische Symptome (Fieber, Gliederschmerzen, etwas Husten). Die Kinderärztin meinte nur, dass da im Kindergarten was Harmloses rumgeht, sie wollte die Kleine nicht mal sehen. Die 4 Hausärzte im Dorf und jene 3 im Nachbardorf testen alle nicht und haben mich nach Bern an die grossen Testcenter verwiesen. Nur, wir haben kein Auto, wie also kommen wir dorthin? Die meisten Testcenter sind Drive-Ins, die fallen von vorneherein weg. Die nächste Gelegenheit wäre in der Nähe des Berner Hauptbahnhofs. Ich müsste also mit Fieber und Husten 20-30 Minuten S-Bahn und Bus fahren, nur um Gewissheit zu haben, welchen Virus wir uns da eingefangen haben. Zumal ich im Falle eines positiven Schnelltests nicht mal mit dem ÖV zurückfahren DARF, ich müsste also mit Fieber 10 km Fussmarsch bewältigen. Oder ein Taxi nehmen, womit man den Taxifahrer unmittelbar nach der Fahrt 14 Tage in Quarantäne schicken müsste. Ist es da erstaunlich, dass meine Entscheidung gegen den Test ausgefallen ist? Und so wie mir geht es vielen in meiner Umgebung. Die alte Dame in der Nachbarschaft, die umweltbewusste Familie, der sportliche Typ, der normalerweise alles mit dem Rennrad macht, die alleinerziehende Mutter – sie alle können nicht einfach so zu einer Teststelle fahren, sei es, weil sie kein Auto besitzen, sei es, weil sie niemanden haben, der sie fahren würde, und sie mit Fieber und Kopfschmerzen nicht selber fahren wollen. Und nein, wir leben nicht in der Pampa, sondern in einem netten kleinen Vorort von Bern, der beste ÖV-Verbindungen hat und wo ein Auto eigentlich überfüssig ist – ausser es ist Pandemie. Aber solange eine Testmöglichkeit nicht fussläufig erreichbar ist, lassen sich viele eben nicht testen, weil der Aufwand zu gross oder für die Mitmenschen zu gefährlich wäre. Dazu müssten allerdings deutlich mehr Arztpraxen und Apotheken bereit sein, die Tests auch selbst durchzuführen…

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    1. Du sprichst da auch wichtiges an. Ich hatte selber schon Mühe die erkrankte Patientin testen zu schicken, weil ich weiss, dass sie aktuell ein paar Stunden in der Kälte stehen wird. Umgeben von anderen eventuell positiven Leuten. Zumindest gibt es jetzt aber auch die Möglichkeit sich in manchen Apotheken (auf Voranmeldung meist!) testen zu lassen.

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  5. Ich bekomme inzwichen immer mehr den Eindruck, dass in den Köpfen der Entscheidungsträger nur noch Corona vorhanden ist – dass es, gerade in dieser Jahreszeit, auch noch jede Menge andere Erkrankungen gibt, fällt irgendwie immer mehr hinten runter. Und wie die Hausärzte den Winter überleben sollen, wenn sie jeden mit Atemwegssymptomen gleich zum Corona-Test schicken, konnte mir auch noch keiner erklären.

    Aber auf die Schnelltests warten wir noch immer. :(

    Bei mir läuft die Nase übrigens im Moment fast permanent. Und ich niese viel. Das ist bei mir zu dieser Zeit des Jahres aber normal, das ist meine Hausstaubmilbenallergie. Und wegen der renne ich sicherlich nicht ins Testzentrum.

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    1. Du sprichts auch wichtiges an. Die Leute gehen aktuell wegen anderer Sachen (wieder) nur ungern zum Arzt. Und die gibt es noch. Schlaganfälle, Herzinfarkte und was ins Spital gehört ist das eine, das andere sind Sachen wir Gürtelrose, Hautkrebs, Ekzeme, Pilze … alles was nicht als grad obernotdringlich erscheint wird grad einfach aufgeschoben selbst wenn es das nicht sollte – ich hab schon ein paar darauf hingewiesen, dass die Ärzte weiterhin auch da sind dafür und sie bitte doch (bald) gehen sollen.

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      1. Und irgendwo sind noch so banal erscheinende Dinge wie Quick-Kontrollen, Blutzucker-Messungen, Blutdruck-Verläufe usw. Kann gut gehen, das eine Weile aufzuschieben, aber leider auch furchtbar schief.

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  6. Sehr toller Text. Was ich aber ein bisschen vermisse ist die Situation in den Schulen. Da wird teilweise bei einem positiven Test in der Klasse derjenige heimgeischickt für 7-14 tage und der Rest der Klasse muss aber trotzdem kommen, ohne tests oder Quarantäne. Hier bei mir in Frankreich ist es auch teilweise so das die Testzentren (kleines auf dem Dorf) das sie ohne Symptome nicht testen, egal ob derjenige viel Kundenkontakt hat und wichtig für die Bauern ist (Landhandel mit 2 Mitarbeitern, beide wollten sich testen lassen).

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    1. Ohhh die Situation in den Schulen. Ja. Das ist allerdings so uneinheitlich gehandhabt dass da eh schwierig drüber zu schreiben ist. Bei uns hat sich das zumindest etwas beruhigt. Es fehlt zwar imer mal wieder jemand in der Klasse vom Junior, aber offenbar bisher keine positiven Fälle mehr. Und da sie Masken tragen jetzt auch im Unterricht (und sonst überall) fühle ich mich doch etwas sicherer. Frustrierend ist aber das drumherum: auch da wird alles abgesagt. Schwimmunterricht, Freizeitsport, Veranstaltungen, Aufführungen …Bei Junior ist es langsam wie bei mir: entweder Arbeit (Schule) oder er ist zu Hause.

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      1. Da bin ich unendlich dankbar, dass unsere Jungs wenigstens 1x pro Woche 30 Minuten zum Schwimmunterricht gehen können. Die Schwimmschule hat ein sehr gutes Hygienekonzept, der Unterricht erfolgt in Kleinstgruppen mit nur je 3 Kindern in einem grossen Becken..

        Vorgestern haben die beiden das Seepferd bzw. den Pinguin bestanden – das ist eine wunderbare Ablenkung vom drögen Corona-Alltag. Die beiden waren stolz (und ich erst)!

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    1. Die Welle ist schon längst da, sie ebbt aber auch schon wieder ab. Und zwar trotz wesentlich laxerer Massnahmen deutlich schneller als in den Nachbarländern.

      Es wird wieder so sein, wie im Frühjahr: der Peak war heftiger als in anderen Ländern, auf die Dauer mitteln sich die höheren Todesfallzahlen aber wieder raus.

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      1. Ich bin vorsichtig optimistisch. Aber … der Winter dauert noch etwas. Ich hab das Gefühl das wird erst mit wärmeren Temperaturen wirklich gut.

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  7. Das –
    „Dass es währenddem wir das jetzt so direkt mitbekommen rechts und links und gestern und heute es immer noch Leute gibt, die da stehen und behaupten: dass es das Virus gar nicht gibt / das Virus gar nicht so schlimm ist / das alles nur gemacht wird um dem Staat mehr Einfluss zu geben und die persönlichen Freiheiten zu beschneiden / dass es ja eh nur die älteren trifft / man halt an irgendetwas sterben muss. (Kotz).“
    – genau das läßt einen dann fast verzweifeln. Ich begrefe einfach nicht, wie man solcherlei ob der nachweislich vielen Toten immer und immer wieder behaupten kann. Und dafür noch Glaubende findet.

    Und es macht es ja nicht besser. Für alle nicht, wenn sich die Leute derart verantwortungslos benehmen – is j a nur ne kleine Erkältung, geh ich mal ruhig weiter arbeiten. Und das Virus verteilen. Aber bis dahin reicht das Denken schon nicht mehr.

    Scheinbar rafft es einigen das letzte bisschen Klugheit.

    Und die Betroffenen, ganz besonders die Risikopatienten – ja, die tun mir leid. Isolation bis zum geht nicht mehr und dann ggf. doch versterben, weil die aufmunternden Worte fehlen. Traurig. Wirklich.

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    1. Was viele Leute die sich über lasche Massnahmen beklagen nicht verstehen ist, wie einschneidend ein Arbeitsverbot ist. Ich musste im Frühling zwei Monate von meinen Reserven leben, die nicht ewig halten. Habe brav mein Geschäft geschlossen, Abstand gehalten und gewartet. Wir lassen niemanden im Stich, hat es geheissen, aber der Erwerbsersatz deckt nichtmal Miete und Leasing, der Mieterlass steckt fest. Jetzt im Herbst verdiene ich normal mein Geld und Lebe mein Leben. Corona ist für mich, jung, gesund, vor allem eine wirtschaftliche Gefahr. Solange die mit den sicheren Einkommen und den Vermögen nicht bereit sind zu teilen, bin ich mit meinen Gesundheitsreserven auch nicht bereit runterzufahren.

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  8. Ich bin aktuell unendlich dankbar, bin ich nicht allein. Habe ich meinen Mann und meinen Sohn. Wir arbeiten wieder im Home-Office, schicken zwar unseren Sohn in die Kita – aber anders wäre es nicht machbar. Der Lockdown hat mich da an die Grenzen des Erträglichen gebracht, zwei Pensen mit Kleinkind… Also gehen wir das Risiko ein, reduzieren aber alles andere bis auf das unbedingt notwendige. Und schwimmen weiter. Und ärgern uns, wenn wir uns mal wieder auf eine Diskussion mit Skeptikern einlassen…

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  9. „Weiterschwimmen“ – das trifft’s sehr gut. Die Nase über’m Wasser halten und den Blick fest aufs Land richten. Wir werden da ankommen, irgendwann.
    Danke für diesen guten Text!

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