Was haben Buchumschläge und Menschen gemeinsam?

Ihr kennt sicher das Sprichwort „Man soll ein Buch nicht nach dem Umschlag beurteilen“? Aber wir machen das täglich, nicht nur mit Büchern, auch mit Menschen. Ich versuche das in der Apotheke zu vermeiden – oder zu aller mindest das Gegenüber das absolut nicht merken zu lassen. Schwierig. Denn das hat mit Erfahrung und Vorurteilen zu tun. Und immer noch häufig werde ich (deswegen) durch die Leute überrascht. Manchmal im positiven, manchmal im negativen Sinne.

Wie ich darauf komme? Weil ich gerade heute zwei Rezepte für Nikotinersatzpräparate hatte. Das … hat sicher mit dem kommenden Jahresbeginn zu tun :-)

Rezept 1 bringt mir eine türkisch aussehende ältere Frau um die 50 mit Kopftuch. Als ich die Nikotinell-Pflaster darauf sehe (für ihren Mann), erwarte ich, dass das Probleme gibt (Verständigung, Finanziellem sowas). Ich erkläre ihr beim eingeben im Computer, dass ich das gerne bestelle, aber dass die Krankenkasse das Mittel zur Unterstützung um aufzuhören zu Rauchen leider nicht übernimmt.

(Kleiner Einschub: Das war dieses Jahr tatsächlich in Diskussion in einer Motion im Bunddesrat: Übernahme der Kosten von Nikotinersatzprodukten durch die Krankenversicherung. Worauf wird gewartet? Geändert hat aber noch nichts. )

Ich fahre also fort: 24 Stück von den Pflastern kosten 155 Franken …

Sie verzieht keine Miene, nickt, nimmt ihr Smartphone aus der Tasche und bedeutet mir, dass sie rasch ihren Mann fragt, ob er es dann will.

Er will (!). Ich bestelle es, sie bezahlt es gerade und das war es damit. Ehrlich: auch ich finde das recht viel Geld. Ich hätte zumindest eine Bemerkung deswegen gemacht, wenn ich das brauchte, aber … bestens.

Kommen wir zu Rezept 2. Praktisch dasselbe: Nicorette Kaudepots. Das Rezept bekommt meine Kollegin in die Hand gedrückt von einem Mann um die 50, augenscheinlich Schweizer, im Anzug (von der Arbeit?). Auch sie informiert ihn darüber, dass die Krankenkasse das Mittel leider nicht übernimmt. Und er fängt erst an zu diskutieren und dann wirklich auszurufen:

Anscheinend hatte er einen kleinen Epileptischen Anfall (?) und der Arzt hat ihm schwer angeraten, mit dem Rauchen aufzuhören. Das solle ja wohl als medizinischer Grund reichen, damit die Kasse das dann übernimmt? (Leider nein. Die zahlen nur das, was in der SL ist, etwas was auf der Negativliste steht wie das hier, übernehmen sie auch nicht, wenn der Arzt es verschreibt).

Nun, wenn er das nicht von der Kasse bezahlt bekommt, dann nimmt er das nicht. Soll sie es halt dann zahlen, wenn er deshalb (und wegen uns jetzt, weil wir es ihm nicht so geben) Lungenkrebs bekommt, das sei ja wohl viel teurer!

Abgang. Zum weiter Rauchen wahrscheinlich. Ist ja auch unsere Schuld, dass er sich jetzt beruhigen muss, wenn wir ihn so aufgeregt haben – oder?

Die Kollegin war übrigens so baff, dass sie ihm nicht mal sagen konnte, dass er ja für die Zigaretten auch Geld ausgibt?

Es gibt Mittel, die inzwischen übernommen werden (Tabletten allerdings, die auf das Suchtverhalten wirken) – vielleicht hat der Arzt sie wegen dem Krampfanfall nicht verschrieben. Aber Grundsätzlich ist all das *unterstützend*. Aufhören muss man immer noch selber und Eigen-Motiviert scheint er ja überhaupt nicht zu sein, da würde wohl jeglicher Stoppversuch schon im Ansatz scheitern.

Jedenfalls: Das waren wieder zwei sehr erhellende Begegnungen, die mir (wieder einmal) gezeigt haben, dass es gar nichts bringt, zu versuchen Leute vorher einzuschätzen. Entweder es ist so wie erwartet, oder nicht. Überraschung!

11 Kommentare zu „Was haben Buchumschläge und Menschen gemeinsam?

  1. Huch – wenn es wirklich ein Krampfanfall war und das einzige, was dem Arzt einfällt ist der Ratschlag, mit dem Rauchen aufzuhören… fehlt da doch etwas Diagnostik, oder?
    Wahrscheinlich fehlte im Hirn dieses Herrn noch der eigentliche Wille, mit dem Rauchen aufzuhören. Und jetzt ist nicht er dran Schuld, sondern wahlweise die Apotheke oder die Krankenkasse.

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    1. Warum kommen die Kollegen eigentlich nie auf Champix? Ich arbeite damit seit Jahren, meine Erfolgsquote ist sehr hoch. Und laut Kompendium soll es bei Krampfanamnese zwar mit Vorsicht angewendet werden, dezidiert kontraindiziert ist es jedoch nicht.

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      1. Champix ist zumindest in Deutschland ein „Lifestyle-Arzneimittel“, und deshalb ist die Kostenübernahme durch eine (gesetzliche) Krankenversicherung ausgeschlossen.

        Dass es so selten verordnet wird, hat m.E. 3 Gründe:
        1. Kosten (vom Patient zu tragen) – Champix IST teuer.
        2. Angst der Patienten vor Gewichtszunahme und abnormalen Träumen/Schlaflosigkeit.
        3. Angst der Verordner vor Verstärkung / Auslösung depressiver Episoden, da von Patienten solcherlei in der Anamnese durchaus mal verschwiegen / vergessen / kleingeredet wird.

        Ich hab in den letzten 4 Jahren 5 Packungen Champix dabei gehabt. Keine großartigen Umsatzzahlen…

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        1. @ knick:

          „Champix IST teuer.“

          Das hat der Patient durch Einsparungen beim Zigarettenkauf aber schnell wieder raus.

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          1. Das mag so sein. Aber diese Berechnung geht kaum ein Raucher mit. Habe ich oft genug schon bei Nicotin-Pflastern (im viel kleineren Maßstab) diskutiert. lieber 7 Tage jeweils 6 Euro als 1×35€ für 7 Tage. Da ist die letzte Antwort übrigens 42. ;-)

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      2. Beim ersten Patienten hatte ich tatsächlich Champix schon in der Patientenhistorie, weniger als ein Jahr her. Die Kasse bezahlt das in der Schweiz, allerdings mit Limitationen: die Anzahl Wochen der Behandlung ist begrenzt.
        Beim zweiten … vielleicht wollte der Arzt das nicht riskieren?
        Aber wir haben Champix-Rezepte. Etwas mehr als bei knick und vor allem Anfangs Jahr, aber : ja.

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    2. Da ich den Herrn noch nicht mit Antiepileptika im System hatte – ja. Da fehlt etwas. Aber ich habe ja nicht alle Informationen. Vielleicht ist das noch in Abklärung, vielleicht ist das ein Arzt, der sonst selbst dispensiert – und mit dem Rezept für etwas das sicher nicht von der Kasse übernommen wird, sozusagen den schwarzen Peter an die Apotheke weiterreicht, die den Patient jetzt darüber informieren darf (plus natürlich die Rauschstoppberatung machen?). Das wäre nicht das erste Mal.

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  2. Also ich frag immer als erstes, wieviele Schachteln es denn so am Tag sind. Und als zweites kalkuliere ich über den Daumen, wie dieser Preis im Verhältnis zum Preis einer Wochenschachtel Nicotinpflaster steht. Als dritten Schritt zucke ich dann mit meinen Schultern…

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  3. Etwas OT, aber Schweizer Gelassenheit:

    Ich frage mich, wie deutsche oder US-amerikanische Polizisten reagieren würden, wenn ihnen ein Sturmtruppler mit einer Schusswaffe vorm Gesicht rumwedeln würde.

    Gelassene Feiertage wünsche ich allen Lesern und Autoren hier!

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  4. Ich habe vor einem Jahr aufgehört, ohne Hilfsmittel, nach 30 Jahren mit 2 Schachteln pro Tag.

    Das Nikotin hat den Körper spätestens nach 72 Stunden verlassen.

    Das ist aber nicht der echte Suchtfaktor:

    Der Raucher ist ein „Pawlowscher Hund“, völlig psychisch abhängig, niemals körperlich.

    Nikotinpräparate sind hier eher Placebos, man „fühlt sich versorgt“.

    Wenn man das einmal von einem Psychotherapeuten, der sich mit der Materie beschäftigt, erklärt bekommt – dann ist das Aufhören leicht.

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