Dies und das …(2)

Manche Dinge machen mich in der Apotheke etwas unglücklich. Zum Beispiel, wenn ich mit Patienten über Vorschriften diskutieren muss, weil sie es einfach nicht verstehen wollen (nicht können).

Natürlich ist das doof für die Frau, aber – ich versuche tatsächlich nur nett mit ihr zu sein und zu helfen. Wenn sie mitmacht, dann kann ich ihr das vielleicht geben, wenn nicht … dann kann ich auch zum hartliner werden und schicke sie zurück zum Arzt.

Es geht um ein Rezept über Isotretinoin Kapseln für eine Frau.

Der Arzt hat uns dieses Rezept per email zugeschickt (Email ersetzt hier doch so langsam das Faxrezept, was eigentlich gut ist). Das war aber vor 3 Wochen.

Isotretinoin ist ein Wirkstoff, der besonderen Verschreibungs- und Abgabevorschriften untersteht. Deshalb:

Isotretinoin ist stark TERATOGEN. Es besteht ein extrem hohes Risiko für schwerwiegende und lebensbedrohliche kindliche Missbildungen, wenn es während der Einnahme von Isotretinon – unabhängig von der Dosierung und Anwendungsdauer – zur Schwangerschaft kommt. Potenziell können alle exponierten Feten betroffen sein.

Darum darf Isotretionoin bei Frauen nur nach sorgfältiger Aufklärung und Absicherung verschrieben werden. Die Frau muss meist einen Schwangerschaftstest beim Arzt machen, zeigen, dass sie das Risiko verstanden hat, eine (besser 2) geeignete Verhütungsmethoden während der Einnahme benutzen und Dauerrezepte sind hier deshalb nicht möglich. Eine neue Packung (nach 1 Monat) braucht ein neues Rezept.

Und: Das Rezept muss innert 7 Tagen nach Ausstellen eingelöst werden (!!!).

Steht auch alles in der Fachinformation und in der Packungsbeilage.

Deshalb stehe ich jetzt hier und rede mit der Frau, die jetzt sofort gerne „einfach ihre Tabletten haben möchte“.

Nach 3 Wochen.

Klar, ich verstehe, dass sie „die auch schon hatte“ (aber weshalb der Unterbruch?), dass sie „nicht blöd ist und die Anwendung versteht“ (da Frage ich besser nochmal nach, vor allem im Hinblick auf die Verhütung) und dass „der Arzt das ja verschrieben hat, also …“ (richtig, aber weiss der, wann sie es holen kommen?) ….

Und wenn sie vernünftige Antworten gibt und ich sicher sein kann, dass sie nicht inzwischen schwanger sein könnte (eventuell ist sogar ein Schwangerschaftstest angezeigt) – dann gebe ich ihr das Medikament trotz der Vorschriften.

Nur behandeln Sie mich nicht wie einen Medikamentendispenser-Automaten. Meine Arbeit besteht nicht nur aus „Rezept rein, Medikament raus“. Das richtige Medikament, zum richtigen Zeitpunkt, an die richtige Person. Das ist es, was ich hier mache.

6 Kommentare zu „Dies und das …(2)

  1. Wieso würdest Du ihr das Medikament trotz der Vorschriften abgeben, wenn sie vernünftige Antworten gibt?

    Ist die Vorschrift bei Isotretinoin nicht so, dass zwingend beim Arzt ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden muss? Ist die Vorschrift nicht so, dass das Rezept zwingend innerhalb von 7 Tagen eingelöst werden muss?
    Warum sendet der Arzt Dir das Rezept per Mail zu? Für mich liegt der Verdacht nahe, dass die Frau bei der Rezeptausstellung nicht beim Arzt war, so dass hier kein Schwangerschaftstest durchgeführt worden ist.

    Ich würde das nach sieben Tagen nicht mehr abgeben – ohne Ausnahme. Wenn ein behindertes Kind auf die Welt kommt, wäre man als Apotheker ein Leben lang schadensersatzpflichtig, falls sich die Frau zur Klage entschließt (was ich bei den Folgekosten eines behinderten Kindes für durchaus wahrscheinlich halte). Und eine Behinderung tritt statistisch bei 2-5% der Kinder auf, unabhängig von einer Isotretinoineinnahme. Mir wäre das zu heikel.

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    1. Du bist aus Deutschland / deutscher Apotheker, richtig? Ich würde (könnte) das abgeben, weil bei uns die gesetzlichen Grundlagen anders sind, Einerseits liegt hier viel mehr in unserer Kompetenz / Verantwortung, so dass ich als Apothekerin nach gründlicher Abklärung tatsächlich rezeptpflichtige Medikamente gegebenenfalls auch ohne Rezept abgeben darf. In „begründeten Ausnahmefällen“.
      Und das mit den 7 Tagen etc. steht so in der Packungsbeilage vom Isotretinoin, nicht in einem Gesetz an sich. Natürlich fällt das dann unter verschiedene Gesetze und auch Verträge mit den Krankenkassen. Zum Beispiel macht das die Verschreibung als Dauerrezept (durch den Arzt an eine Frau) oder meine Abgabe ausserhalb der 7 Tage Frist zu „off Label Anwendung“ (ausserhalb der Vorgeschriebenen Anwendung laut Packungsbeilage). Das bedeutet, die Krankenkasse müsste das nicht mehr übernehmen. Weil die Krankenkasse bei uns aber (im Gegensatz zu in Deutschland) Nicht (!) das Recht hat, das korrekt abgegebene Produkt dann der Apotheke einfach nicht zu zahlen*, habe ich da kaum Probleme, das abzugeben. Ich weise die Patientin aber darauf hin, dass die Kasse das Geld dafür von ihr zurückfordern könnte.
      * Eure sogenannten Rabattverträge und dass Retaxationen an die Apotheke bei Euch rechtlich sind, finde ich hier ja einen unhaltbaren Zustand. Die Kassen haben bei Euch zu viel Macht … und die Apotheker viel zu wenig Kompetenzen. Im Endeffekt leiden die Patienten darunter und ihr seid als unfreiwillige Vermittler der Gesetze und Vorschriften auch noch immer Schuld.
      Ich habe übrigens keine Bedenken von wegen „wenn sie dann doch schwanger wird“ – einerseits kläre ich das ja hier noch extra ab (und halte das Fest) und andererseits hat eine mündige Patientin doch noch etwas Eigenverantwortung.

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      1. Bezüglich der Gesetzeslage in Deutschland:
        Die Abgabe von Retinoiden ist in der Arzneimittelverschreibungsverordnung festgehalten.
        AMVV §3b Absatz 2

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        1. Hans Olo: Danke für den Hinweis.

          Auch an Pharmama: So wie Du schreibst, wird die Nummer in der Schweiz anscheinend recht lax gehandhabt, wenn das wirklich so ist, dass das bei Euch nicht mal in einer Verordnung festgehalten ist.

          Ich verstehe das fachlich nicht. Isotretinoin ist wirklich stark fruchtschädigend. Den Vergleich mit Thalidomid (Contergan) finde ich da nicht übertrieben. Das Ganze bei einer Erkrankung wie Akne, die irgendwie so ein klein wenig pillepalle ist – verglichen beispielsweise mit dem Antiepileptikum Valproinsäure, welches ja ebenfalls stark fruchtschädigend ist. Das Ganze bei einem Patientenkreis, der infolge des Alters von ca. 14-22 Jahren eh noch ein wenig unerfahren mit Verhütungsmitteln ist, vielleicht manchmal auch ein wenig sorgloser bei der Verhütung ist und vielleicht eher auch mal zu spontanem Geschlechtsverkehr neigt (zumindest verglichen mit uns „alten Säcken“).

          Hier in Deutschland ist es an und für sich vorgeschrieben, dass vier Wochen vor Beginn der Behandlung ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden muss und dieser in vierwöchentlichen Abständen weiter durchgeführt werden muss. Der Test muss zwingend beim Arzt durchgeführt werden; es reicht nicht aus, wenn die Patientin versichert, dass sie nicht schwanger wäre. Zumindest soweit die Theorie.

          Falls es interessiert, anbei der Leitfaden des BfArM zu Isotretinoin: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Service/aktuelles/isotret/leitfaden.pdf?__blob=publicationFile&v=3

          Das ist so grob der Grund, warum ich das nach sieben Tagen nicht mehr abgeben würde – hintricksen könnte ich das sicherlich mit einer Rückdatierung des Datums auf dem Rezept; die gesetzliche Kasse würde das dann auch so zahlen. Die Gründe der Nichtabgabe sind bei mir eher ethischer, moralischer und ja … auch fachlicher Natur.

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          1. Offenbar sind wir Deutschen daran gewöhnt alles in Verordnungen zu haben. Nimmt uns die fachliche Bewertung ab, kann man mögen, muss man nicht. Die Schweiz gibt den Apotheken mehr Freiraum. Das Tretinon & Co. nicht in einer Verordnung festgeklopft sind bedeutet ja nicht dass man das in der Schweiz nicht fachlich sauber – z.B. auf Basis der Fachinfo – abgibt.
            Ich persönlich finde die Entscheidungsspielräume in der Schweiz für unseren schönen Beruf sehr angemessen.

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  2. Solche Kundschaft ist immer ganz wunderbar. Einen Fehler machen und dann der Apotheke (oder wahlweise einem anderen Lieferanten oder Dienstleister) arrogant an’s Schienenbein treten wollen.
    Für mich disqualifiziert sich diese Dame für ein Ausreizen der Schweizer Möglichkeiten sofort. Eine vernünftigte Kontrazeption scheint mir nicht sichergestellt. Und das würde ich ihr auch so auf freundliche Art und Weise leicht durch die Blume aber auch sagen. Vielleicht wäre sie aber nicht intelligent genug dafür das zu verstehen.
    Für mich das Heikle an der Sache: Solche Patienten sind die, die einem eine Armee Anwälte auf den Hals hetzen wenn dann doch etwas schief geht. Das brauche ich nicht. Also keine Kapseln von mir (wenn ich in der Offizin stehen würde), sorry.

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