Zwei Gesichter der Abhängigkeit (4)

Im Prinzip ist so eine Abhängigkeit fast eine Neverending-Story. Zumindest etwas, das im Normalfall nicht von einem Tag auf den anderen vorbei ist. Es ist nicht einfach von etwas körperlich abhängig machendem wegzukommen … selbst wenn man wirklich gewillt ist.

Unsere beiden Patienten in den Beispielen, die ich gebracht habe: Frau Dormadalm, die ältere Frau mit der Schlafmittelabhängigkeit und Herr Xanander der neben dem Schlafmittel wohl noch anderes konsumiert sind da beide (noch?) nicht wirklich bereit dazu. Für den Moment haben auch beide neue Vermeidungstaktiken gefunden.

Frau Dormadalm hatten wir eigentlich soweit stabil – das heisst, sie kam eine Zeitlang (mehrere Monate) wirklich ziemlich regelmässig und nicht überaus zu früh (über zwei, drei Tage zu früh sehe ich da hinweg). Dann fing sie wieder an über eine Woche zu früh zu kommen –und als meine Kollegin ihr die Abgabe verweigerte bis 3 Tage später, hat sie uns in der Nachbarschaft schlecht gemacht. Wir wissen das von der Nachbarin, die sie 2 Tage (nicht 3 Tage) später geschickt hat, das für sie holen. Die hat es (da immer noch zu früh) auch nicht bekommen, aber wir haben angeboten, das zu bringen, wenn sie nicht selber kommen kann. Das wollte sie nicht. Aber nach dem was wir zurück gehört haben, sind wir natürlich die bösen Apotheker, die ihr das lebenswichtige Medikament vorenthalten (kein Wort natürlich, um was es sich handelt) und dass sie wegen uns jetzt noch einmal kommen muss, dabei sei sie so schlecht zu Fuss!

Im nächsten Monat wieder dasselbe Spiel – viel zu früh. Dann bestand Frau Dormadalm lautstark darauf, dass wir das Rezept an eine andere Apotheke schicken …. mit denen habe sie sicher weniger Probleme als mit uns.

Natürlich schicken wir der anderen Apotheke ihr Rezept (sie hat schliesslich freie Wahl des Leistungserbringers) – und wir schicken auch die Information mit, wie die Dosierung und der Abgabemodus bei ihr ist und dass sie das Medikament das letzte Mal am (Datum) bezogen hat.

So wie ich unsere Patienten kenne, wird es ein paar Monate dauern, bis sie merken, dass das woanders auch nicht „besser“ ist – und dann haben wir sie wieder.

 

Herr Xanander ist ein anderes Kaliber – und auch er hat für sich eine „Lösung“ gefunden, auch wenn die wohl nur vorübergehend bleiben wird. Angefangen hat das, als sein letztes Dauerrezept abgelaufen ist. Man hat ihm dann einen Vorbezug einer kleinen Packung des Beruhigungsmittels gemacht, mit der Auflage das Rezept baldmöglichst nachzureichen. Das sei kein Problem, er habe demnächst auch einen Termin beim Arzt. Das Rezept kam nicht, dafür er selber 2 Wochen später, weil er eine neue Packung brauche. Da das nun nicht mehr an einem Samstag war, hat man den Arzt direkt angerufen und erfahren, dass dieser Herrn Xanander beim Besuch letzte Woche das neue Dauerrezept direkt in die Hand gedrückt hat. Zurück mit der Info zu Herrn Xanander. Sagt der: „Oh, das Rezept habe ich verloren.“ (Ja. Klar.)

Der Arzt hat sich dann bereit erklärt uns ein neues Dauerrezept zu schicken, direkt, als Fax …. und dass wir das in Zukunft jetzt so handhaben werden, dass dieser Patient das Rezept nicht in die Hand bekommt, sondern es an eine Apotheke seiner Wahl gefaxt wird. Denn … hat er das andere Rezept verloren … oder liegt das jetzt in einer anderen Apotheke und er bezieht das Medikament auch dort?

Ich vermute stark, dass letzteres der Fall ist. Vor allem weil Herr Xanander seitdem viel entspannter das Medikament holen kommt. Lies: nicht genau zum Termin und er versucht es auch nicht mehr ein paar Tage zu früh … im Gegenteil … jetzt ist er immer ein paar Tage „zu spät“ dran und lässt Kommentare vom Stapel wie „ich habe keine gute Übersicht, ist es schon so weit?“.

Grummel. Am liebsten würde ich ja ein paar Apotheken in der Gegend anrufen und nachfragen – nur ist das nicht wirklich legal.

Aber – wie gesagt, die Lösung ist nur temporär „gut“ für ihn. Spätestens wenn die Dauerrezepte in 6 Monaten abgelaufen sind, kommt er wohl hart auf dem Boden auf.

Zwei Gesichter der Abhängigkeit (1)

Zwei Gesichter der Abhängigkeit (2) – Frau Dormodalm

Zwei Gesichter der Abhängigkeit (3) – Herr Xanander

 

13 Kommentare zu „Zwei Gesichter der Abhängigkeit (4)

  1. Besteht eigentlich bei solchen Patienten und einem Arzt der Gewillt dazu ist das nachzuhalten die Möglichkeit das der auf das Rezept schreibt, dass die Apotheke sich vor Erstabgabe auf dem Dauerrezept sich einmal kurz telefonisch bei ihm Melden soll?

    Damit sowas mit Doppelabgabe wegen „Verloren“ nicht passieren kann?

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  2. Genau deswegen würde ich es gut finden man hätte eine Datenbank von Patienten solcher Mittel, mit der Abgabe, wie in den USA.

    Wenn das ganze vernünftig eingerichtet wird, muss man da auch gar keinen Einblick in die Daten geben. Sondern einfach nur ein „Moment der hat gerade bei einer anderen Apotheke das selbe Mittel auf Dauerrezept“ oder ähnliches.

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    1. So eine Liste gibt es in der Schweiz ja. Zumindest in dem Kanton in dem ich gearbeitet habe. Wenn jemand es zu arg treibt kommt er da drauf und dann darf nur noch eine Apotheke und 1 Arzt dieses Medikament für denjenigen abgeben, bzw. aufschreiben. Da hat derjenige dann aber auch keine Wahl mehr.

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      1. Das scheint dann aber so eine Art schwarze Liste zu sein. In den USA ist das soweit ich weiss unabhängig vom Status und somit nicht erst wenn man es übertreibt. Besser wäre ein System das solche Ausuferungen von vornherein unterbindet.

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      2. Die kantonalen Sperrlisten taugen nur so lange etwas, so lange die selbstdispensierenden Ärzte auch regelmässig draufschauen (bei den Apotheken klappt das wesentlich besser).

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      3. Diese Sperrlisten sind kantonal. Wenn man über die Kantonsgrenzen geht, weiss weder Arzt noch Apotheke wenn jemand da drauf ist … obwohl sie sich vielleicht wundern, weshalb das Rp jetzt so weit vom Wohnort eingelöst wird …
        Dass das bei den Apotheken besser funktioniert liegt daran, dass wir auf die Listen nicht nur draufschauen, sondern die Patienten mit Infokommentar im PC eingeben. Jedenfalls machen wir das so. Um auf so eine Liste zu kommen, muss allerdings schon einiges passiert sein.

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  3. Aus dem Grund durften in D eine Zeit lang Rezepte die „Duplikate“ waren nicht beliefert werden und wurden auch von den Kassen nicht erstattet.
    Dann hat man sich eine schöne neue bürokratische Bezeichnung einfallen lassen die draufstehe musste. Die ist jetzt zwar weggefallen aber es muss draufstehen das es eine Zweitschrift ist und aus welchem Grund sie ausgestellt werden musste, wann usw. Beliefern darf man das zwar, taucht aber das erste Rezept doch wieder auf und wird eingelöst, gibt es Probleme mit der Abrechnung, die ja sehr oft über uns als Apotheke läuft und es ist uns untersagt retaxiertes Geld vom Kunden oder Arzt einzuholen wenn es diesen geschuldet ist (Ausnahme falsch angekreuzte Rezeptgebühr, das bekommen die Apotheken abgezogen, dürfen es aber der Praxis in Rechnung stellen)…
    Darum wird es oftmals von manchen trotzdem nicht beliefert oder nur als Privatleistung, es sei denn es ist innerhalb der Praxis oder auf dem Postweg Praxis > Apo verloren gegangen.

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  4. Der Herr Xanander wird wohl in ein paar Monaten wirklich eine böse Überraschung erleben mit schlaflosen Nächten. Aber wer sich für schlauer hält der muss es vielleicht spüren. Das Verhalten beider ist aber sehr typisch für abhängige Personen. Wie auch bei Alkoholikern ist keine Besserung zu erwarten solange die Sucht als solche vom Patienten nicht selbst anerkannt wird.

    Generell wäre ein vernünftiges Management des individuellen Arzneimittelververbrauches etwas was die Menschheit stark voranbringen könnte und die Möglichkeiten des schönen Apothekerberufes endlich mal vernünftig nutzen könnte. Ich meine damit gar nicht so sehr die süchtigen Problemfälle Frau Dormadalm & Co, sondern allgemein. Europa würde mit verbesserter Compliance, Vermeidung von Doppelverschreibungen usw. sicherlich eine sechsstellige Zahl Tote einsparen, Kranke mal ganz aussen vor.
    Leider stellen alle beteiligten Gruppen sich gegenseitig ein Bein und kriegen einfach nichts auf die Reihe, unsere eigene Standesvertretung leider eingeschlossen. :-(

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    1. Ja, da hat Herr Xanander wohl einen unschönen „Absturz“ mit unangenehmen Entzugserscheinungen in Aussicht. Leider funktioniert das mit der Selbstkontrolle bei wirklich Abhängigen (die eben auch oft keine Einsicht zeigen) nicht.

      Die elektronische Gesundheitskarte ist bei uns immer noch in Aufgleisung. Jetzt schon sieht man aber, dass das nicht einfach wird. Einerseits soll der Zugriff darauf nur mit Patienteneinwilligung möglich sein … und gerade darauf wird ein herr Xanander aus … nachvollziehbaren Gründen verzichten. Andererseits müssen nicht alle Mitspieler im Gesundheitssystem mitmachen. Das heisst: für Apotheken wird sie „obligatorisch“, also wir müssen Daten hochspielen können, Spitäler auch, aber Hausärzte werden ausgenommen (Denn man bekommt voraussichtlich die alten Hausärzte sowieso nicht dazu sich da ein neues oder überhaupt ein Computersystem anzuschaffen, also verzichtet man bei ihnen besser auf das Obligatorium).

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  5. Bei vielen älteren Ärzten ist die Sensibilisierung hinsichtlich der Suchtgefahren von Benzodiazepinen noch nicht sonderlich weit vorangeschritten. Da wird leider immer noch viel zu viel verharmlost. Und bevor der Patient den Hausarzt wechselt, weil er sein Leckerli nicht mehr beim bisherigen bekommt, gibt man ihm lieber noch eine Schachtel ab.

    Ich habe von meinem Praxisvorgänger gleich ein ganzes Heer von Benzoabhängigen übernommen. Einen Teil habe ich recht schnell an andere KollegInnen verloren (weil ich, dank des Umstandes, dass ich als Assistenzarzt eine Zeit lang in der Psychiatrie mit Süchtigen gearbeitet habe, da ziemlich restriktiv bin), einen geringen Teil habe ich von dem Zeug weggebracht. Der Rest läuft jetzt so irgendwie mit, zumeist deutlich jenseits der 70, und irgendwie fehlt mir da die Motivation, da noch übermässig Kraft in Aufklärung und Sensibilisierung zu investieren.

    Vor etwa einem Jahr übernahm ich einen Polytox-Patienten, der in unsere Gegend gezügelt war. Dieser war mit Sevre-long substituiert, ausserdem nahm er das sattsam bekannte Dalmadorm. Nach eigener Aussage 4 Tabletten pro Tag. Eine telefonische Rücksprache mit dem Vorbehandler ergab, dass der Patient eigentlich nur 1 Tablette pro Tag nehmen sollte. Er hatte sich allerdings zuletzt wohl vermehrt Dalmadorm auf der Gass‘ bzw. bei anderen Ärzten besorgt. Ich besprach daraufhin mit ihm, dass er von mir zunächst max. 2 Tabletten pro Tag bekommen würde, Tendenz fallend. Der Patient war damit einverstanden.

    Nur eine Woche später rief mich der Patient an, er habe die Schachtel mit dem Dalmadorm in der Tram verloren, ob er eine neue haben könnte. Da ich die Arzt-Patienten-Beziehung nicht gleich von Anfang an zu stark belasten wollte, stimmte ich, nachdem sich der Patient noch zu einer Konsultation zu mir bemüht hatte, zu. War ein Fehler! Denn interessanterweise verstarben kurz darauf in sehr enger Folge ein Freund und zwei Familienangehörige, der Patient musste natürlich auch auf die entsprechenden Beerdigungen, musste ausserdem sehr oft Freunden beim Zügeln helfen usw. Dafür brauchte er jedes Mal (wegen des enormen Stresses) eine zusätzliche Schachtel.

    Ich habe dann das Arzt-Patienten-Verhältnis kurze Zeit später beendet und den Patienten noch auf die kantonale Sperrliste setzen lassen (damit sich der nächste Kollege, bei dem der Patient aufschlägt, zumindest mit mir in Verbindung setzen muss – ist aber bislang nicht passiert (vielleicht ist der Patient schon wieder in einen anderen Kanton gezügelt?)). Ging nicht anders!

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      1. Nette Sammlung – zum Glück muss ich sowas nicht oft hören. Wir geben Methadon als Tabletten ab, das funzt prima. Und Tabletten können glücklicherweise nicht in die Auslegware einsickern.

        Apropos Methadon – haben Dich eigentlich auch schon Patienten nach dem neuen „Wundermittel“ gegen Krebs gefragt?

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