Zwei Gesichter der Abhängigkeit (3)

Ausser den älteren (meist weiblichen) Beruhigungsmittelabhängigen gibt es noch den zweiten Typ Süchtigen. Dieser hat oft schon eine Drogenvorgeschichte (manchmal nur Alkohol, häufig stärkeres) und bekommt das vom Arzt in Form einer Art Substitution. Die Idee hier ist: „anstatt“. Leider ist das häufig ein „dazu“. Ein Beispiel für diesen Typ wäre Herr Xanander.

Herr Xanander ist um die 30, sichtbar tätowiert, gross, sehnig, hat lange Haare und ist allgemein eine … beeindruckende Erscheinung. Nicht unbedingt im positiven Sinn. Ich bin sicher, er hat auf der Strasse immer viel Platz zum laufen. Er weiss das und setzt das gezielt ein um vielleicht mich oder meine Kolleginnen unter Druck zu setzen und einzuschüchtern – in der Hoffnung, dass er so bekommt, was er will. Mit ihm habe ich ähnliche Diskussionen wie mit Frau Dormodalm aus dem Post vorher, mit der Ausnahme vielleicht, dass ich mit ihm nicht diskutieren muss ob er jetzt abhängig ist.

Dafür bekomme ich von ihm anderes zu hören:

Er baut sich vor mir auf, funkelt mich böse an und legt los. Mal wieder.

Herr Xanander: „Ich brauche meine Tabletten. Und sie sollen nicht meinem Arzt anrufen. Der hat gesagt, ihm stinkt das langsam bei mir, dass er ständig Anrufe von Apotheken bekommt!“

Pharmama: „Nun, wir müssten ihm nicht anrufen, wenn sie nicht ihre Medikamente zu früh holen würden. Zum wiederholten Mal.“

Herr Xanander: „Ich war heute bei ihm. Und wir hatten eine Diskussion darüber, was „bei Bedarf“ bedeutet. Er sagt, ich habe pro Tag 2 Tabletten vom Stilnox zu gut. Eine normal und eine zusätzlich bei Bedarf, also sind das 2 pro Tag!“

Pharmama: „Ja. Das haben wir so schon drin als Dosierungsanweisung – und auch so eingerechnet. Trotzdem sind die Abstände regelmässig kürzer gewesen als alle 15 Tage …“

Herr Xanander: „Und ich möchte mich bei ihnen über ihre Kollegin beklagen. Sie wissen schon, die mit (Beschreibung folgt). Sie hat mir das letzte Mal, als ich hier die Stilnox holen wollte, sie mir verweigert!“

Pharmama: „Ja, weil es wieder zu früh war.“

Herr Xanander: „Ja, mag sein. Aber wissen Sie, was sie mir gesagt hat, als ich gesagt habe, dass ich keine mehr habe und ohne nicht schlafen kann?! Sie hat gesagt dass sie auch gelegentlich mal eine Nacht nicht schlafen kann. Das sei kein Weltuntergang!

Ernstes Nicken meinerseits.

Herr Xanander: Ausserdem hat sie gesagt, wenn ich vorher von den Stilnox eine neue Packung will, muss ich den Arzt anrufen – der Arzt will aber nicht, dass ich ihn wegen so etwas störe! Und Sie auch nicht!“

Pharmama: „Nun – ich rufe ihm nicht an, weil es mir Spass macht, sondern wenn Sie sich nicht an die verschriebene Dosierung halten.“

Herr Xanander: „Ich brauche halt gelegentlich etwas mehr. Da ist ja nichts dabei!“

Pharmama: „Doch, weil dieses Medikament stärker kontrolliert wird als ein Aspirin oder so.“

Herr Xanander: „Aber was, wenn ich früher welche brauche? Sie wissen ja, dass man die nicht einfach absetzen soll, da könnte es Epileptische Anfälle geben, hat der Arzt selber gesagt!“

Pharmama: „Ja, aber das ist bei ihnen und in der Dosierung noch nicht unbedingt zu erwarten.“

Herr Xanander funkelt mich böse an.

Pharmama: „Hmmm. Es scheint, als müssten wir da wieder etwas Rhythmus reinbringen. Heute ist der … das heisst, ich kann sie Ihnen geben. Ich schreibe ihnen auf die Packung, ab wann sie die nächste beziehen können … aber wenn das nicht funktioniert wäre auch eine wöchentliche Abgabe einer bestimmten Menge eine Variante. Der Arzt hat das letzte Mal, als wir telefoniert haben das eine gute Idee gefunden. Wenn Ihnen das lieber ist, können wir auch das einführen …“

Herr Xanander: „Nein, nein, ist schon gut. Schreiben Sie mir halt auf die Packung, wann ich die nächsten holen darf. Ich komme dann.“

Ja – da bin ich mir sicher.

7 Kommentare zu „Zwei Gesichter der Abhängigkeit (3)

  1. Die Idee hier ist: „anstatt“. Leider ist das häufig ein „dazu“.<

    Die Ärzte wissen das doch sicherlich auch, die das verschreiben, oder? Die bleiben aber bei der Verschreibung, weil das bequemer ist, als sich mit dem Herrn auseinanderzusetzen, ihm nachzuweisen, dass er immer noch andere Suchtmittel nimmt, alternative Pläne mit ihm durchgeht, von dem jeder weiß, der würde sich sowieso nicht dran halten..?

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    1. Nun, die Ärzte sollten das wissen. Das ist aber sicher nicht immer so. Und: Ja: ein Teil der so abgezweigten Pillen mag auch durchaus auf der Gasse landen und verkauft werden.

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    2. Eine Komilitonin von mir hat mal in der Substitutionsstelle einer großen Suchtklinik gearbeitet. Hier werden die Leute sehr oft kontrolliert (Urin, Schweiß, Blut). Wer einen Beikonsum hat, bekommt dann eskalationsstufenmäßig mehr und mehr Probleme (die genauen Konsequenzen habe ich jedoch nie erfragt). Sehr überrascht war das Personal jedoch als – nach Einführung eines neuen, noch sensibleren Tests – nach einem Feiertag (ich glaube es war Ostern, ich bin mir da nicht so ganz sicher), nahezu alle russischstämmigen Patienten opiat-positiv waren. Der neue Test hatte die Opiatrückstände vom festlichen Mohnkochen gemessen. In der russischen Küche ist es wohl üblich Mohnkuchen zu besonderen Anlässen zu essen. Wenn der Mohn nicht besonders gut gewaschen ist, ist der Opiattest positiv.

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      1. Schaffst Du mit jeden heutzutage gängigen Blut- und Urintest. Einfach zwei Stücke dicken Mohnkuchen vom Bäcker um die Ecke messen, und in eine Polizeikontrolle geraten, bei denen rein zufällig Verdacht auf Drogenkonsum bei Dir besteht.

        Hier http://www.drogenscreening.info/cms/index.php/nachweisverfahren/mohnkuchenstudie ist es wissenschaftlicher…

        Hier http://www.abendblatt.de/ratgeber/auto-motor/article106877181/Drogenfalle-Mohnbroetchen.html wurde das schon mal 2004 berichtet.

        Das Problem besteht schon länger und kan ernste Auswirkungen haben, insbesondere für Ex-Drogensüchtige: http://www.n-tv.de/ratgeber/Kuchen-kann-den-Fuehrerschein-kosten-article15034401.html

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