Patient mit besonderen Bedürfnissen

Beim kontrollieren der Rezepte vom Vortag fällt mir ein … etwas spezieller Kommentar bei einem Patienten auf. Nennen wir ihn Herr Vacuoli.

Rezept mit …Spritze von der Klinik abgegeben am 4.12 .; wenn er Spritze nicht bestellt bei uns bis 15. Januar bitte ihn anrufen und fragen, ob er Termin bei einem Arzt hat für Spritze und fragen, ob wir für ihn Spritze bestellen sollen. (Er scheint etwas vergesslich und schlecht organisiert).

Huh? Speziell.

Herr Vacuoli ist etwa halb so alt, wie ich. Den Rest der Medikamente vom Rezept der Klinik hat er bekommen. Weil mir das Medikament (die Spritze) so noch nicht sehr bekannt ist, nutze ich die Gelegenheit, mich darüber zu informieren. Das hilft beim Verständnis der Situation: die Spritze wird verwendet als Depotmedikament bei Shizophrenie. Zum Krankheitsbild gehören auch sogenannt kognitive Störungen, womit hier nicht Intelligenzdefizite gemeint sind, sondern Probleme mit Aufmerksamkeit, Gedächtnis und der Planung von Handlungen.

Trotzdem … das ist ein ungewöhnlicher Service, wenn die Apotheke dem Patienten hinterhertelefoniert, ob und wann er einen Arzttermin hat. Den Termin braucht er wegen dem Spritzen des Medis – das kann er kaum selber machen. Und das Rezept war von der Klinik, wahrscheinlich spritzt das aber sein Hausarzt oder Psychiater.

Jedenfalls mache ich einen Vermerk in unserer Agenda, dass man Herrn Vacuoli dann kontaktiert.

Am 13. Januar schaue ich nach: Die Spritze ist noch nicht bestellt, also rufe ich ihm an.

Nach dem Telefonanruf weiss ich, was die Kollegin gemeint hat mit „scheint etwas vergesslich“. Verwirrt trifft es vielleicht eher. Am Telefon kommt Herr Vacuoli direkt etwas „vollgedröhnt“ herüber. Nach der dritten Erklärung, weshalb ich anrufe, scheint die Info aber trotzdem angekommen und er bestätigt, dass er noch keinen Arzttermin hat, sich aber darum kümmern will.

Zur Sicherheit schicke ich ihm ein SMS mit der wichtigsten Info nach: welche Apotheke, Arzttermin, melden bitte … Und hinterlasse nun selber einen Kommentar im PC:

Tel am 13.1. – hat noch keinen Arzttermin. Er soll sich bei uns melden, sobald er einen hat. Ph

Am nächsten Tag bestellt Herr Vacuoli telefonisch die Spritze für uns, damit er sie am Termin den er am 26.1. hat dabei hat.

Alles okay … sollte man denken. Vor allem, als ich ein paar Tage später sehe, dass sie abgeholt wurde.

Nö.

Am Donnerstag 26. Januar abends um kurz vor 7 Uhr steht Herr Vacuoli in der Apotheke. Es ist das erste Mal, dass ich ihn sehe, deshalb bin ich mehr als nur etwas verwirrt, als er nur sagt: „Ich soll … meine Spritze abholen.“

Der junge Mann ist Mitte 20 und macht einen freundlichen, wenn auch etwas abwesenden, vielleicht sogar leicht hilflosen Eindruck. Er ist so der Typ, der in einem unbewusst Mamainstinkte weckt – man will ihm wirklich helfen. Das erklärt für mich auch der Kommentar im Computer. Meiner Kollegin ging es wohl gleich.

Nachdem ich seinen Namen verifiziert habe – und nachgeschaut, dass „seine Spritze“ vor ein paar Tagen wirklich abgegeben wurde – an ihn – äussere ich meine Verwirrung darüber. Erstens dass er sie jetzt nochmals (?) will .. und zweitens: ist es jetzt nicht nach dem Termin mit dem Arzt?“

Herr Vacuoli : „Nein, den Termin habe ich erst morgen, ich habe ihn verschieben müssen. Aber ich habe die Spritze verloren.“

Waaas? Das Ding kostet ein paar hundert Franken … und so klein ist die Packung auch nicht!

Aber es bleibt mir wohl nichts anderes übrig als noch eine zu bestellen.

Dass er sie braucht, steht nicht in Frage, aber … echt jetzt? Verloren?

Das belastet mich tatsächlich so sehr, dass ich mir überlege, ob man die Spritze das nächste Mal nicht besser direkt an den Arzt liefert? Denn wahrscheinlich wird es ein nächstes Mal geben. Das ist zwar eine Depotspritze – also langwirksam – aber mehr als einen Monat wirkt sie auch nicht. Wer sich fragt, weshalb man ihm keine Tabletten gibt (die wären zumindest etwas günstiger)? Nun … ich denke, die Episode oben dürfte das erklären: so unzuverlässig / verwirrt wie er ist, ist kaum anzunehmen, dass er in der Lage ist, die Tabletten regelmässig zu nehmen.

Das gibt noch ein Kommentar im PC:

… Spritze verloren! 26.1. Ersetzt. Für nächstes Mal: Er braucht neues Rp bei neuem Bezug. Ev. beim Arzt selber verlangen (und zu dem bringen?)

Den Empfang lasse ich ihn am nächsten Tag ausserdem visieren: er soll zumindest wissen, was das Teil kostet, das er da verloren hat.

(Wird fortgesetzt?)

7 Kommentare zu „Patient mit besonderen Bedürfnissen

  1. Ich hab eine Vermutung, um was es geht. Wir haben die immer bestellt und gelagert, direkt vor dem Termin beim Arzt zwei Türen weiter haben die Kunden sie dann bei uns abgeholt. Da gab’s dann keine Schwierigkeiten :)

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  2. Ohje … der Arme. Ist echt lieb (und nicht selbstverständlich) dass ihr euch so kümmert. Man kann nur hoffen dass es ihm bald wieder besser geht, so dass das wieder klappt, oder noch eine andere Lösung gefunden wird. So wie ich verstanden habe eine Depot-Neuroleptikum, also nix was man missbraucht oder handelt oder so?

    Ich wollte noch sagen (ich kommentiere hier zum ersten Mal auch wenn ich schon lange mitlese): Ich hatte früher echt Hemmungen und Ängste ApothekerInnen was zu fragen, grad bei „peinlichen“ Sachen/Medikamenten. Hier über deinen Berufsalltag und deine Sicht zu lesen hat echt geholfen das abzubauen. Und wow, man stellt sich vor: Die helfen! Und beißen gar nicht! :D

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    1. Nein – wir beissen nicht :-)
      Und peinlich ist immer relativ. Von unserer Seite her gesehen: Wir haben schon so viel gesehen und gehört, uns ist wenig peinlich. Du bist ziemlich sicher nicht die erste mit dem Problem und nicht die einzige. Und wir wollen ja helfen. Sicher haben wir auch kein Problem mit normalen Fragen (auch intimerer Natur) um Medikamente oder deren Anwendung.

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    2. Gerade in der Apotheke bist Du mit „peinlichen“ Sachen richtig, denn die sind aus unserer Sicht nicht peinlich und ausserdem unterliegen wir der Schweigepflicht.
      Und wie Pharmama schon schreibt: Du bist mit Deinem Thema selten allein, wir haben das meist schon einige Male bis vielleicht Dutzende Male schon gehabt und helfen Dir gern.
      Jeder in der Apotheke freut sich, wenn man mit einer guten Beratung weiterhelfen kann und man merkt, dass es dem Kunden/der Kundin geholfen hat. Dafür haben wir fleissig gelernt und das macht uns Spass am Beruf in der Apotheke.

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  3. Wir haben ne Neurologie in der Nähe, mit der haben wir abgesprochen, dass wir im Zweifelsfall solche Spritzen (beschriftet mit Patientendaten) immer direkt in die Praxis liefern. Weil:
    -der Patient braucht nicht 2x kommen
    -wir wissen, wo das teuere Teil hin ist
    -der Patent kanns nicht verlegen od. verlieren
    -bei Terminverschiebungen sind trotzdem alle vorbereitet.

    Wenn die Praxin weiter weg ist, wirds natürlich schwieriger. Andererseits bieten wir einen ähnlichen Dienst bei Impfstoffen übers gesamte Kleinstadtgebiet an, denn einerseits lassen sich die Termine meist lang genug planen, um solche Touren zu bündeln – und andererseits brauche ich mich dann nicht mit dem Patienten über unsachgerechte Lagerung über 3 Wochen zu streiten… ;-)

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  4. Fortsetzung? Ja, ziemlich sicher.
    Patienten, bei denen sich der Arzt für Neuroleptika-Depotspritzen entschieden hat, haben schon ein eher ziemliches starkes Problem. Die Depotspritze ist dann die sinnvollste Möglichkeit, Therapietreue einigermassen zu gewährleisten. Trotzdem ist ein normales Leben dann nicht einfach. Wer wie Herr Vacuoli offenbar keine familiäre Unterstützung hat, der wird immer damit kämpfen müssen. Das weiss er aber interessanterweise auch, sonst hätte er Euch ja nicht gefragt.

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