Lieferunfähig

Endlich komme ich dazu das zu posten. Es folgt ein Gastbeitrag von kelef, die Jahre bei einer grossen (hier ungenannt bleibenden) Pharmafirma tätig war und zwar in der Abteilung „Complaints“ -also: Beschwerden. Viel Spass beim Lesen! Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben …

Aus einem Krankenhaus in der Mitte einer Stadt – einer renommierten Privatklinik – kamen ein paar Fläschchen mit einem Antibiotikum zurück mit dem lapidaren Vermerk „Stopfen in der Flasche“. Nachfragen ergaben, dass beim Anstechen der Flaschen – also beim Versuch, die Nadel zur Entnahme durch den Gummistopfen zu stechen – der Gummistopfen in die Flasche gedrückt worden war. Also nachgeschaut: das Präparat wird weltweit vertrieben und nur von einem Hersteller produziert, der dann weltweit zur Endkonfektionierung (Etiketten, Beipackzettel, Karton) an über 80 Länder liefert. Also nachgefragt: Problem unbekannt, nur aus Österreich gemeldet. Also weiter recherchiert: in der Zwischenzeit Retournierung einiger weiterer Flaschen, eine weitere Charge betroffen. Immer nur aus Österreich. Die Meldungen erfolgten immer nur aus diesem einen Krankenhaus, Krankenhausapothekenleiterin SEHR BÖSE dass ich nachfragte ob denn da noch weitere Details oder irgendein Kontext zu beachten seien. Die retournierten Flaschen mit einem entsprechenden Bericht an den Hersteller geschickt, Hersteller SEHR AUFGEBRACHT: einfach falsch angestochen: so schräg, dass der Stopfen wie vorgesehen in die Flasche rutschen muss, weil die Flasche ja aus Glas ist und bei allzu großem Druck ansonsten in der Hand zerbersten würde.

Ich schreib‘ eine entsprechende Stellungnahme an die Krankenhausapotheke, und denke mir: erledigt.
 

Zwei Jahre später: wegen Erfolgs Wiederholung. Diesmal aber mit einem bitterbösen Brief, so eine große Firma werde doch in der Lage sein ordentlich zu produzieren, etc.. Ich schick die retournierten Fläschchen entsprechend Express an den Hersteller in Übersee, Hersteller retourniert ASAP Stellungnahme mit Photos: falsch angestochen. Ich schreib‘ der Apothekenleitung eine entsprechende Stellungnahme, und denke mir: jetzt werden die das wohl begriffen haben.

Zwei Jahre später: wegen besonderen Erfolgs Wiederholung. Ich krieg‘ einen dicken Hals und schick‘ zwei Leut‘ in das Krankenhaus, damit die einmal nachschauen wie das dort passiert. Des Rätsels Lösung: Auf einer Station ist eine besonders findige Alt-Krankenschwester zugange, die den Nachwuchs einschult – alle zwei Jahre kriegt sie einen neuen Schwung davon. Leider hat die Alte einen besonderen Trick entwickelt, dicke Nadeln von Spritzen zur Entnahme flüssiger Darreichungsformen – z.B. wenn ein Mittel nur verdünnt angewendet werden darf – zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und mit einer schwunghaften und eleganten Drehung mit verdrehtem Arm in den Stopfen der aufrecht gehaltenen Flasche zu stechen, und zwar kerzengerade. Die Zauberlehrlinge vulgo Auszubildenden konnten in der Schnelligkeit diesen Trick nicht erlernen, und: voila. Normalerweise nimmt man die Nadel so in die Hand, dass der Schlauch oder die Spritz zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten werden … Die Fachleute erklären der Alten das, diese nickt, die Fachleute kommen zu mir, ich schreib‘ Berichte und Stellungnahmen an Gott und die Welt, und denke mir: erledigt.

 

Zwei Jahre später: wegen fulminanten Erfolgs Wiederholung. Diesmal jedoch – wegen der besonderen Nachhaltigkeit – Complaint nicht an die Firma, sondern an die zuständige Stelle im Ministerium. Mit Kopien an tutto completto to whom it may (not) concern. Und drei bewohnbare Kartons (eine ganze Euro-Palette voll, um die fünfhundert Flaschen) angestochener und nicht angestochener und zerbrochener und nicht zerbrochener (danke, Post) Flaschen in meinem Büro. Kommentarlos, mit dem „Ersuchen“ um umgehende Kostenrückerstattung.

Also: Verkaufsstopp, Ware nicht lieferbar gestellt, alle verständigt, die volle Maschinerie im Laufen (wir erinnern uns: ein Hersteller weltweit, und alleine die EU hat viele Länder), Dear-Doctor-Letter wurde überlegt, Gefahr im Verzug, ich hatte die pathogene (Antibiotika machen ja sonstwas wenn sie frei in Glasscherben herumschwimmen) Schande immer noch im Büro (kein Lager mehr in Österreich, Versand der retournierten Ware nur als Gefahrengut möglich), Kunden böse, Ärzte böse, Apotheker böse, usw.

Gott sei Dank hatte ich gute Verbindungen zu der zuständigen Stelle im Ministerium – die ich hier wirklich lobend erwähnen möchte. Die hatten nämlich nur EINE Flasche bekommen, und sich die Sache nicht erklären können. Erst als ich sie – mit den entsprechenden Unterlagen aus den Vorjahren – darauf aufmerksam machte dass ich da einen Verdacht hätte und ihnen mehrere angestochener Flaschen aus meiner Sammlung schickte, konnten die entsprechenden Untersuchungen gemacht werden. Natürlich hatte ich recht: die Zauberlehrlinge der Alten hatten wieder zugeschlagen, und die Alte hatte nicht einsehen wollen dass die Firma und deren Vertreter recht hatten, und die Anstaltsapothekerin war schlichtweg bösartig (der war gerade der Mann davongelaufen).

 …

Was das die Firma gekostet hat weiß ich Gott sei Dank bis heute nicht: weder die finanzielle Seite noch der Renommee-Verlust wurden jemals wirklich evaluiert. Wie viele erwachsene Menschen wie viel Zeit in diese Blödheit investiert haben, weiß ich auch nicht. Bei mir allein waren es in Summe mehr als zwei volle Arbeitswochen.

Übrig bleibt nach außen nur: da war doch mal was mit der Qualität, da war das Präparat dann nicht lieferbar …

Wahr, wahr. Mich würde ja interessieren, was das jetzt mit dem Grippeimpfstoff dieses Jahr für ein Problem war.

16 Kommentare zu „Lieferunfähig

  1. „Mich würde ja interessieren, was das jetzt mit dem Grippeimpfstoff dieses Jahr für ein Problem war.“
    Das waren Verklumpungen (ich glaube von Eiweiss-Verbindungen), die naturgemäss entstehen, deren Entstehung bekannt war und die man schlicht und einfach durch leichtes Schütteln auflösen kann. Stand sogar so in der Zeitung.
    Erinnerung der Menschen „da war doch mal was mit dem Impfstoff, den durfte man nicht verwenden, der war verunreinigt“

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    1. Ja – aber … weshalb die Verzögerungen der Zulassung schon im September (oder so) – und und warum wurde dieses Jahr (von mehreren) nicht so viel Grippeimpfstoff produziert wie sonst offensichtlich? Schlechte Planung?

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      1. Es gab dieses Jahr das erste Mal Exklusiv Verträge der gesetzlichen Krankenkassen mit den Impfstoffherstellern….
        Das heisst, Deutschland wurde in Gebiete eingeteilt und für die einzelnen Regionen wurden Ausschreibungen gemacht, wo sich die Hersteller für die Gebiete als Exclusive Impfstofflieferanten bewerben durften.
        Die Hersteller, die nicht zum Zug kamen, haben daraufhin wohl ihre Produktion heruntergefahren, weil Sie dachten, das Sie ja eh nichts verkaufen können.
        Nachdem Novartis die Probleme hatte, haben die Krankenkassen nun auch den anderen Herstellern erlaubt, ihre Impfstoffe auf Kassenkosten abzugeben. Allerdings gibt es nun in allen Gebieten zu wenig.
        Da kommen verschiedene Sachen zusammen.
        Auf die Art und Weise kann man als Krankenkasse auch Geld sparen….

        LG
        Boreal

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      2. Dazu sollte man noch sagen, dass es in D bisher (in den meisten Bundesländern) so lief, dass der geschätzte Bedarf der Ärzte(rechtzeitig, also so ca. ein 3/4 Jahr vorher) mit den Apotheken um die Ecke abgesprochen wurde, und dass die Apotheken dann natürlich nicht den klompletten Bedarf bei einer Herstellerfirma bestellt haben, sondern diese Bestellung auf 2 bis 3 Firmen splitteten. Dadurch erreichte man den Effekt, dass bei LIeferverzögerung einer Firma dieses durch 2 andere Hersteller abgefangen wurde – so dass der „verzögerte“ Hersteller einen Zeitbonus bekam….
        …Dank unserer Spar-Kassen (langsam kann ich nicht mehr Krankenkasse sagen) und den Exklusiv-Ausschreibungen wurde dieses bewährte System natürlich ausgehebelt. Welcher Hersteller produziert denn 10Millionen Impfstoffdosen, wenn er davon ausgehen kann, dass er nicht eine(!) verkaufen wird? Herrlich in diesem Zusammenhang finde ich dann die Aussagen der Krankenkassen („Die Apotheker sind nur zu blöd, den Impfstoff ranzuorganisieren.“ & „Die Exklusivverträge haben das schlimmste Chaos VERHINDERT.“) und die unserer Gesundheitspolitiker („Es ist genug Impfstoff da, es ist nur ein logistisches Problem.“ – Wenn dem so ist, in welchem Lager liegen die Impfdosen denn dann rum?)

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  2. hach, was haben sie mich schön porträtiert, so ziemlich genau hat das ausgesehen, anno dunnemals.

    zum grippeimpfstoff heuer: eiweissverklumpungen gab es immer, da hat irene recht. kann man nur anmerken: „if everything else fails, read the instructions“: bei kühlschranktemperatur lagern, vor der anwendung auf zimmertemperatur bringen und vor der verabreichung schütteln. dass eiweiss bei niedrigen temperaturen zum „flocken“ neigt sollte man irgendwann gelernt haben. früher wurden die grippeimpfstoffe übrigens nicht unbedingt im kühlschrank gelagert, und wenn man dann so weiterdenkt …

    die verzögerte zulassung bei grippeimpfstoffen liegt meist daran, dass der – oder die – gerade virulenten viren von der who identifiziert werden müssen, damit die hersteller dann den entsprechenden impfstoff in den notwendigen mengen herstellen können. das ist immer eine ziemliche hast und hektik. ist man sich bei der identifizierung nicht ganz sicher, dann verzögert sich der rest ebenfalls.

    die zulassung eines grippeimpfstoffes ist prinzipiell nach der ersten zulassung valide, nur müssen die entsprechenden herstellungsänderungen – die durch die jährlich wechselnden viren bedingt sind – jährlich erneut zugelassen werden.

    ist der impfstoff dann einmal hergestellt, müssen die chargen einzeln freigegeben werden, was auch wieder einige zeit dauert.

    je nachdem, wer wie testet können dann schon auch einmal fragen auftauchen: bei den eiweissflocken würde es also u.u. reichen, wenn der eine bei zimmertemperatur untersucht und ordentlich schüttelt, weil er die geschichte ja schon kennt: alles klar im wahrsten sinne des wortes. der nächste, der testet, nimmt den impfstoff aus dem kühlschrank, schaut, sieht ausflockungen und verwirft die charge. dann hört irgendwer irgendwas, sieht flocken und kriegt die panik. profilierungsneurotische informieren dann alsogleich die presse. so einfach kann es auch passieren – ich habe keine ahnung, was wirklich los war, aber offensichtlich liege ich nicht völlig daneben.

    die mengen des zu produzierenden impfstoffes werden gemäss dem vorjahresverbrauch und den von den jeweiligen behörden genehmigten preisen von den einzelnen firmen geschätzt – wenn dann eines der oben angeführten szenarien auftritt, dann ergibt das unter dem strich entweder einen engpass, oder einen überfluss, der im folgejahr wiederum zu einem engpass führen kann. alles nicht so einfach.

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    1. Ach mit so einer schönen Beschreibung, war das ganz einfach :-)
      Danke vielmals für das Teilen des Insiderwissens … ich find’s super-interessant!

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  3. Ist ja unglaublich… Fast hätte ich angenommen, die Geschichte ist geflunkert, aber man kann sich das doch gut vorstellen. Nie, niemals langjährig Berufserfahrene auf wiederholte Fehlhandlungen hinweisen. Endet meist mit einem „Das machen wir schon immer so!“ :-)

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  4. Wobei ich mir echt die Frage stelle, warum der Stopfen überhaupt so konstruiert ist, dass er in die Flasche rutschen kann. (Gesagt wurde, dass die Flasche nicht zerbricht, wenn man es falsch angeht. Aber wenn die Flasche zerbrechen würde, wäre der Lerneffekt für den Fehlbedienenden auf jeden Fall größer :-D).
    Ich kenne solche Flaschen/Ampullen eigentlich nur so, dass der Gummistopfen einen „dicken, überstehenden Rand“ hat, welcher genau mit dem Wulstrand der Flasche abschließt. Diese Überlappung wird dann mit einem Metallband umfasst, so dass man sie nicht ohne Zerstörung öffnen kann („Börtelrand“ oder so). Diese Stopfen kann man auch mit Gewalt nicht in die Falsche/Ampulle schieben. Meist haben diese Stopfen in der Mitte auch eine „dünnere“ Stelle, an der man Kanülen leichter durchstoßen kann, so dass ein „schiefes Ansetzen“ der Kanüle keine so dramatischen Folgen hat.

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  5. Was für ein unglaublicher Blödsinn. Wie Sturrheit nur fremden Menschen so viel Zeit rauben kann. Ich muss sagen, ich verstehe bis heute nicht, warum alte Menschen denken, dass sie alles besser wissen, nur weil sie alt sind.

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  6. Ach herrje, die Arme.
    Obwohl ich auch schon schlechte Erfahrungen mit Pharamunternehmen gesammelt habe.
    Ein Anbieter hat sich geweigert ein Infusionspulver (zur Lösung mit NaCl) zurückzunehmen. Ich hatte es zurückgeschickt weil es sich beim Lösen immer pink verfärbt hatte. Laut Packungsanweisung war das nicht normal und ist vorher auch nie vorgekommen. Aber diese eine Charge hatte es nunmal in sich.
    Und die haben es zurückgeschickt und gesagt wir sollten es trotzdem einfach mal verwenden.
    Ich habe mich geweigert.

    lg

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