Rechtsdrehend, Linksdrehend, Verdrehend

Eine Frau kommt in die Apotheke mit einem Rezept. Auf dem Rezept: Optifen 800mg

Optifen ist das Generikum von Brufen … wie zum Beispiel Irfen (und etwa 20 andere) mit dem Wirkstoff Ibuprofen.

Unglücklicherweise gibt es aber das Optifen nicht in 800mg,

Pharmama: „Das Optifen gibt es leider nicht in dieser Dosierung, aber ich kann Ihnen Irfen 800mg geben – das ist dann dasselbe und in der richtigen Dosierung.“

Frau: „Nein, das möchte ich nicht. Ich soll unbedingt Optifen haben. Der Arzt hat mir erklärt, dass nur DAS Ibuprofen in linksdrehender Form drin hat und dass das besser ist als das rechtsdrehende in den normalen.“

Rechtsdrehend – linksdrehend, wer da an pendelnde Leute denkt liegt in dem Fall falsch.

Es gibt Wirkstoffe, die sind sogenannt chiral. Das heisst, sie sehen aus wie unsere Hände – sehr ähnlich, aber rechts und links sind nicht gleich wenn man sie übereinanderlegt, sie sehen aus wie Spiegelbilder.

Nun gibt es Wirkstoffe, wo man beide Formen im Gemisch benutzt und dann gibt es solche, wo man nur eine Form benutzt – oft in der Hoffnung, dass die dann zum Beispiel wirksamer sind, oder weinger Nebenwirkungen machen.

Beispiele dafür sind: Zyrtec (Cetirizin = Gemisch) und Xyzal (Levocetirizin)

Oder Antra (Omeprazol=Gemisch) und Nexium (Esomeprazol)

Oder Citalopram (Gemisch) und Cipralex (Escitalopram).

Ob da die isolierte rechts- oder linksdrehende Form auch wirklich wirksamer oder unbedenklicher ist … lasse ich hier mal dahingestellt. Die Studien, die ich bis jetzt gesehen habe, zeigen nicht gerade enorme Unterschiede zum Gemisch. Oft ist es auch so, dass Firmen das als „Trick“ benutzen, um ein bewährtes Medikament, dessen Patent demnächst abläuft neu zuzulassen – und so weiterhin zu profitieren.

Aber zurück zum Ibuprofen… hier ist es so, dass die eigentlich wirksame Substanz im Körper die rechtsdrehende Form wäre. Wenn wir Ibuprofen aber als Gemisch oder als linksdrehendes einnehmen, dann wandelt unser Körper das problemlos in die rechtsdrehende Form um – etwa zu 50% … und das wirkt dann.

Was sie (oder der Arzt) also meinte war Dexibuprofen – das rechtsdrehende Ibuprofen. Das gibt es auch als Inhaltsstoff – zum Beispiel als Seractil. Dann muss man praktischerweise für dieselbe Wirkung nur die Hälfte des Wirkstoffes einnehmen – also statt 800 mg Ibuprofen nur noch 400 mg Dexibuprofen.

(seid ihr noch alle dabei oder war das schon zu viel Info?). Zurück zur Patientin.

Pharmama: „In dem Fall meinte der Arzt also das Dexibuprofen – das ist das rechstdrehende Ibuprofen. Er hat sich aber geirrt, denn das ist in Seractil enthalten, nicht in Optifen.“

Kundin: „Er hat mir aber gesagt Optifen.“

Pharmama: „Vielleicht hat er das richtige aufschreiben wollen, aber vergessen, wie es heisst. Soll ich ihn anrufen und nachfragen?“

Kundin: „Nein heute ist er nicht in der Praxis. Geben sie mir einfach das Optifen 800.“

Pharmama: „Das würde ich gerne, aber vom Optifen gibt es keine 800mg … und selbst wenn: beim richtigen Dexibuprofen entspricht 400mg der gleichen Wirkung.“

Sie hat das Rezept dann wieder mitgenommen um das selbst mit dem Arzt abzuklären.

Ich finde es zwar noch nett, hat der Arzt sich offenbar die Zeit genommen, ein bisschen über den Wirkstoff den er verschreibt und dessen Pharmakologie mit der Patientin zu reden … nur hat das in dem Fall nicht viel gebracht.

Ausser ziemlich viel Verwirrung offensichtlich.

30 Kommentare zu „Rechtsdrehend, Linksdrehend, Verdrehend

  1. Wieder etwas dazugelernt. Vor 5 Minuten hätte ich nicht einmal darüber nachgedacht, ob so etwas bei den üblichen Rennern aus der Riege der NSAR wichtig wäre.

    Das hätte man in der Vorlesung ruhig mal erwähnen können,…

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  2. Sorry, ich finds zwar gut, wenn der Arzt mir alles genau erklärt und dabei auch nicht aus Rücksicht auf meine unmedzinische „Blödheit“ alles formuliert wie für ein Kind, aber WENN er das tut, sollte es doch auch inhaltlich stimmen…

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  3. „(seid ihr noch alle dabei oder war das schon zu viel Info?).“

    Nein, erzähl ruhig noch ein wenig mehr über chirale Zentren, Spiegelbildisomerie und das tägliche Racemat aus R- und S-Kunden, die jeden Tag bei dir vorbeikommen. Da scheint es einige zu geben, die sind wirklich falsch gewickelt… :)

    „Ob da die isolierte rechts- oder linksdrehende Form auch wirklich wirksamer oder unbedenklicher ist … lasse ich hier mal dahingestellt.“

    Ich versuch ein Rezept für Contergan zu kriegen… bis später. ;)

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    1. Anscheinend kursiert immer noch der Irrglaube, Thalidomid (=Contergan) sei als enantiomeren-reine Form unbedenklich (weiss nicht mehr, ob R- oder S-Enantiomer). Tatsächlich findet im Körper eine Umwandlung statt, sodass in jedem Fall beide Enantiomere vorhanden sind. Contergan hätte also auch als enantiomeren-reine Form zu den tragischen Nebenwirkungen geführt.

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  4. Lt. Wikipedia gibt es das in der Schweiz auch als DexOptifen. Vielleicht hat er das gemeint. Wobei dann natürlich immernoch die 800mg im Raum stehen.

    btw: Desloratadin ist Enantiomer des Loratadin, allerdings ein Metabolit. ;)

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      1. Hmmm. Du hast recht mit dem Desloratadin. Das hatte ich wohl falsch im Kopf. Ich korrigiere das mal.
        DexOptifen gibt es, ja -habe ich hier noch nie gesehen/gelesen/gebraucht. Vielleicht hat der Arzt das gemeint … bleibt aber immer noch die falsche Dosierung.

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  5. Wow, das mit dem chiral gilt also auch für Ibuprofen. Interessant zu wissen, vor allem dass es Einfluss auf die notwendige Dosierung hat. Wir hatten das in der Schule nur am Beispiel Talidomid, und da ist es ja schon recht wichtig, welches man (und besonders frau) nun nimmt.

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    1. Ja, wie der turtle of doom schon erwähnt hat … das ist ein Fall, wo es etwas ausmacht, was man jetzt nimmt. Aber … das gehört auch wirklich nicht zu den gebräuchlichen Mitteln heute.

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      1. Wobei m.W. beim Thalidomid der Körper ebenfalls in der Lage ist, das eine Thalidomidenentiomer in das andere Thalidomidenantiomer zurückzudrehen (es wäre also egal, welches Enantiomer man einnimmt, im Körper sind dann doch beide vorhanden). Das kann der Körper nicht mit jedem Enantiomer.

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    2. Soweit ich weiß, wandelt sich im Körper der Wirkstoff wieder in beide Enantiomere um, auch wenn man nur das eine eingenommen hat.

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  6. Grad gesehen: Contergan/Thalidomid wurde schon erwähnt, spar ich mir das. Im Prinzip ist es aber ja schon so, dass der Wirkmechanismus oft über irgendwelche Proteinandockstellen läuft und da ist die Sterik meist dann doch nicht so ganz uninteressant (Metabolismus sei jetzt mal aussen vorgelassen). Da ist es ja dann nicht nur das unendlich grosse Marketinggeschick der Pharmamultis,das da mit reinspielt. (ich gebs zu: bin parteiisch ;-))

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  7. Verwirrung herrscht bei mir auch gerade. Wusste wirklich nicht, dass es bei Medikamenten auch rechts- und linksdrehende gibt. Kenne das bisher nur von Joghurts bzw. diese entsprechende „Getränke“.

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  8. Vielen Dank für die immer mal wieder eingestreuten Lerneinheiten in Pharma(ma)kologie – ich freue mich über Blogs, in denen es was zu lernen gibt.

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  9. hmm. Ich find den Arzt schon cool (frisch von der Uni bzw. Fortbildung?) aber für die Patientin war es wohl too much information ;)
    Dass auch Medis links oder rechts drehen, war mir bis dato völlig unbekannt. (Gut, Schmerzmittel brauch ich vielleicht 1x im Jahr, wenn ich denn doch mal aus unerfindlichen Gründen Kopfschmerzen habe; die letzten 3 Jahre waren es wohl insgesamt 2 Tabletten *hust*)

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    1. Nicht nur Joghurts (bzw. die darin enthaltene Milchsäure) und Medis drehen, sondern sehr viele Moleküle. Nämlich quasi alle, die chiral sind. Allerdings ist es meist so, dass bei chemischen Synthesen ein 1:1 Gemisch zwischen links- und rechtsdrehend entsteht und sich der Effekt dann aufhebt.
      Die Natur synthetisiert ihre Moleküle etwas komplizierter und baut daher oft nur Moleküle mit einer Drehrichtung, z.B. viele Zucker.

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  10. Vor achtzig Jahren (oder so) hat Dorothy L. Sayers einen Krimi geschrieben über spiegelverkehrte Wirkstoffe. Sie schrieb, wenn ich mich richtig erinnere, über die Polarität(?) die nicht identisch war, wenn man synthetisches mit natürlichem Gift verglich. Ich glaube, da gings um das Gift von Amanita muscaria. „Die Akte Harrison“ war das (die neuere Übersetzung heißt „Der Fall Harrison“).
    Ist die von ihr beschriebene Polarität das gleiche wie diese Links- und Rechtsdreherei?

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    1. Ja, da geht es um Muscarin, ein giftigen Stoff aus dem Fliegenpilz. In der englischen Wikipedia ist da sogar drauf verwiesen, allerdings mit einem anderen Buchnamen bei gleicher Autorin: http://en.wikipedia.org/wiki/Muscarine#In_Literature
      Natürlich kommt nur ein Isomer vor. Wenn man bei einer Vergiftung beide Isomere findet, dann kann es nicht vom Pilz ein. Vielleicht handelt da das Buch drüber? Allerdings kann man mittlerweile das natürliche Isomer gut synthetisieren. Nur war das Buch schon lange vor Entdeckung dieses Syntheseweges geschrieben. ;-)

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  11. Uh,
    das war interessant. Wie erkenne ich denn auf dem Beipackzettel, ob das nun rechtsdrehend, linksdrehend oder ein Gemisch aus beidem ist? Wäre für mich gerade bei Ibuprofen sehr interessant.

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    1. Wenn der Wirkstoff gereinigt wurde, dann steht ein „D“ (dexter = rechts) oder L (laevus = links) davor.

      L-Leucin ist also linksdrehendes Leucin (Amminosäuren sind chiral)

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      1. Muss aber nicht unbedingt, wenn man dem einen Enantiomer einen Namen verpasst, siehe Esomeprazol oder Dexibuprofen. Dann kann man das nur erahnen, wenn man sich etwas auskennt.

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  12. Mir stellt sich da noch eine Frage zu der Umwandlung im Körper: Wenn ich nur das rechtsdrehende (=wirksame) Ibuprofen zu mit nehme, wandelt das mein Körper dann nicht auch zum Teil in das linksdrehende (=unwirksame) Ibuprofen um? Muss ich dann nicht doch wieder die „normale“ Dosis zu mir nehmen? Oder nimmt der Körper das schneller auf als dass das Enantiomer umgewandelt wird?

    Und wenn ich mich dann schon mal zu Wort melde: Danke für die amüsanten, unterhaltsamen und informativen Blogeinträge. Ich freue mich über jeden neuen Eintrag!

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  13. Hmmm. Wenn die linksdrehende Form zu 50% in dex-Ipbuprofen umgewandelt wird, heisst das dann nicht, dass 400mg Enantiomer einer Dosis von 600mg Racemat entspricht?

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  14. Bin ich eigentlich der einzige Laie, der sich zuerst etwas… hochgenommen fühlte? Ich dachte bisher, Rechts- und linksdrehend gibt es nur in der Werbung von zu teurem Joghurt.
    :-)

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  15. Hallo! Eine Frage an die Pharmakologen:
    Ist es richtig, dass jemand, der Citalopram nimmt, eine Mischung aus beiden Enantiomeren einnimmt??? Und wenn ja, wo kann ich das nachlesen, falls mein Chefarzt mich fragt, wo ich dieses Wissen herhabe?
    LG

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  16. Hui ich erinnere mich gerade wieder an meine Biochemie Stunden in der Schule zurück. Allerdings tauchen da bei mir nur die D-Zucker. Also rechtsdrehende Zucker. Ich erinnere mich auch wage daran, dass wir von Chiralitäszentren gesprochen haben. Ich glaub ich muss meine alten Schulunterlagen wieder rausholen. 10 Jahre sind eine lange Zeit.
    Vielen Dank auf jeden Fall für diesen sehr informativen Beitrag.

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    1. Der Anfang ist leicht erklärt… mit einem Plastik-Molekülmodell gehts natürlich besser. :)

      Du hast CH3-C – das Grundgerüst. Und am einsamen Kohlenstoffatom hängst du drei Gruppen an, und du stellst dir vor, die Methylgruppe (CH3) würde nach unten in den Tisch hereinragen, wenn du das Molekül vor dir auf den Tisch gelegt hast. (Molekularlupen sind bei Pharmama zu erwerben.)

      Die drei Gruppen im Uhrzeigersinn sind: -OH, -NH2 und -COOH (Carbonsäure).

      Wenn du diese im Gegenuhrzeigersinn anbringst, hast du ein Molekül, das bei allem Drehen und Wenden nicht mit dem ersten deckungsgleich sein kann.

      Wenn etwas linksdrehend ist, wird die Polarisationsebene des Lichtes eben nach links („Laevulose“, L-Glucose) gedreht, bei Dextrose (D-Glucose) eben nach rechts. Hat auch wieder mit Chiralitätszentren zu tun…

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  17. Also, ein Mittel wo (meinem Kenntnisstand nach) der Wirkunterschied durch Studien bewiesen ist, ist Ketanest – wobei es da eher um die Nebenwirkungen geht. Esketanest soll deutlich weniger unangenehme Halluzinationen verursachen und wird deshalb inzwischen bei uns (BaWü) im Rettungsdienst trotz höherer Kosten meist dem Ketanest in Mischform vorgezogen …

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